Wortgeschichten — Eine sprachgeschichtliche Zeitreise

Zum Auftakt des Podcasts Schon gewusst? möchte ich heute eine kurze Wortgeschichte erzählen. Eine Frage, die ich im Lehrwerk nämlich immer wieder höre, ist: „Wo kommt denn eigentlich das Wort deutsch her?“

Das ist eine gute — und spannende — Frage. Auch wenn sie nicht einfach zu beantworten ist. Denn immer wenn wir nach der Herkunft eines Wortes suchen, begeben wir uns in die Gefilde der Etymologie, also der Wortherkunft. Beim Begriff Etymologie selbst handelt es sich um eine Entlehnung aus dem Altgriechischen, wo étymos so viel wie wirklich oder wahrhaft bedeutet hat.

Als wissenschaftlicher Disziplin geht es der Etymologie heute aber schon lange nicht mehr um die wahre Bedeutung von Wörtern, sondern um die Rekonstruktion von Entwicklungsgeschichten diverser Einzelsprachen und Sprachwandel im Allgemeinen. Man sucht also nicht mehr nach der eigentlichen Bedeutung einzelner Wörter, sondern untersucht, unter welchen gesellschaftlichen und politischen Umständen sich ganze Sprachen historisch verändert haben.

Und wie in jeder Wissenschaft gibt es auch in der Etymologie unterschiedliche Meinungen über, Interpretationen zu und Antworten auf ein und dasselbe(n) Frage.

Geschichten über die Herkunft von Wörtern sind also immer mit Vorsicht zu genießen. Eine wortgeschichtliche Herleitung ist immer nur eine Beschreibung, und zwar eine mögliche Beschreibung, historischer Prozesse und darf nicht dazu dienen, in der Gegenwart über richtigen oder falschen Sprachgebrauch zu urteilen.

Wörter wandern mit der Zeit und passen sich an die jeweilige Lebenswelt an.

In diesem Sinne also viel Spaß mit unserer ersten Wortgeschichte.

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Deutsch international

Deutsch kennt viele Fremdbezeichnungen. Im englischsprachigen Raum dienen die germanischen Völker als Vorlage für German.  Im Finnischen stehen die Sachsen Pate für saksa. Im Polnischen und anderen slawischen Sprachen wird deutsch vom Wortstamm stumm abgeleitet: niemiecki.

Die romanischen Sprachen sind da wieder ein bisschen konservativer und beziehen sich auf einen anderen germanischen Stamm: die Alemannen. Wir kennen zum Beispiel allemand, alemán oder almao. Einzig und allein tanzt hier das Italienische aus der Reihe: Dort heißt es nämlich tedesco. Warum das so ist, werden wir in dieser Folge herausfinden.

Aber davor wollen wir uns dem Wort deutsch widmen. Wo kommt das denn her?

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Deutsch und seine Wurzeln

Im neuhochdeutschen, also in unserem heutigen, deutsch steckt die urindogermanische Wurzel teuh, mit der Bedeutung anschwellen, anwachsen, gedeihen. Diese Wurzel hat auch zu anderen urindogermanischen Wörtern geführt, wie stark oder mächtig, weil man zur damaligen Zeit eben stark war, wenn man viele war, also wenn man eine Gemeinschaft gebildet hat, die Schutz bietet. Heute kennen wir zum Beispiel noch das Wort Tumult, aber auch Wörter wie Tumor oder Daumen zum Beispiel, die aus dieser Wurzel teuh hervorgegangen sind.

Auch das urindogermanische Nomen teutá stammt von dieser Wurzel. teutá war die Abstraktion von wachsen, also Wachstum, aber auch damals schon in der Bedeutung Menschenwachstum, und zwar nicht im Sinne von Größe, das heißt individuellem Wachstum, sondern im Sinne von Menschenansammlung, Menschenmenge.

Aber gehen wir noch ein Stück weiter in der Sprachgeschichte. Im Urgermanischen hat man dann schon das Wort þeudó für Volk gekannt. Und dieses urgermanische Wort hat sich im Althochdeutschen schließlich zu diot weiterentwickelt und später dann zu diet, wie in Dietrich oder Dietmar, nur eben mit Zwielaut, also nicht ie, sondern i-e, di-et.

Jetzt man könnte meinen, wir hätten es schon fast geschafft. Schließlich hört sich diet schon sehr nach deut an; diet, dietsch, deutsch, fertig.

Aber nein: Sprachgeschichte ist immer mehr als einfach nur die rekonstruierten Wörter einer Sprache.

Sprachgeschichte ist immer auch Geschichte im weiteren Sinne, also politische, gesellschaftliche Geschichte.

Um also herauszufinden, wie das Wort deutsch entstanden ist, das wir heute nicht nur als Bezeichnung für die Staatsangehörigkeit, also das Volk, der bundesdeutschen Bürgerinnen und Bürger verwenden, sondern auch für die Sprache, die von vielen Menschen in Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz gesprochen wird, müssen wir noch einmal kurz zurückreisen in der Geschichte, nämlich bis zur Zeit von Karl dem Großen, dem König der Franken.

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Die (sprach-)politische Geschichte des Wortes deutsch

Karl der Große hat im frühen Mittelalter über ein riesiges Reich geherrscht, das heute von Spanien teilweise, über Frankreich, bis nach Deutschland, Österreich und Mittelitalien gereicht hätte. Das heißt er hat über unzählige kleine Völker geherrscht, die unzählige kleinere Sprachen und Dialekte gesprochen haben. Zum Teil waren diese untereinander verständlich, zum Teil nicht.

Im westfränkischen Reich wurden eher romanische Sprachen gesprochen — daher kommen dann heute das Französische und das Italienische zum Beispiel. Im ostfränkischen Reich eher germanische Sprachen, also das Fränkische, das Bairische, das Alemannische, das Sächsische — allesamt Vorläufer des heutigen Hochdeutschen.

Und um diese Menschen, diese verschiedenen heidnischen Stämme, zumindest sprachlich zu vereinen, hat Karl der Große in Anlehnung an das urgermanische þeudó ein neues Wort geschaffen, nämlich theodisce. Dieser Begriff hat damals einfach nur bedeutet eine heidnische Sprache sprechend, und zwar eine germanische Sprache und keine romanische. Theodisce hat sich also ausschließlich auf Sprache bezogen, und war in Abgrenzung zum Lateinischen, also zur Gelehrtensprache, zu verstehen.

Theodisce wurde anfangs allerdings nur in lateinischen Texten verwendet. Im 10. Jahrhundert ungefähr taucht dann aber zum ersten Mal auch eine deutsche, genauer genommen eine althochdeutsche, Entsprechung für den lateinischen Begriff auf: nämlich diutisk, zum Volk gehörig. Und zwar war das keine eigenständige Ableitung von diot, also dem Wort für Volk, das es ja auch gegeben hat, sondern eine einfache Übersetzung von theodisce. Zuerst wurde auch damit nur die Gemeinsamkeit der germanischen Sprachen bezeichnet, rund einhundert Jahre später aber langsam auch das Volk.

Ungefähr zu dieser Zeit, also im 10. oder 11. Jahrhundert, wurde dann die alte lateinische Bezeichnung theodisce von einem anderen lateinischen Wort abgelöst: teutonicus, also das, was uns heute noch als teutonisch bekannt ist.

teutonicus hat sich allerdings nicht aus dem Wort theodisce heraus entwickelt, sondern war eine lateinische Übersetzung des althochdeutschen diutisk. Genau genommen handelt es sich dabei um eine Rückübersetzung, also eine Übersetzung in die Ursprungssprache zurück, weil ja diutisk — wie wir gerade gesehen haben — selbst vom Lateinischen abgeleitet worden ist.

teutonicus geht zwar auf den germanischen Volksstamm der Teutonen zurück. Wo genau sich der Begriff teutonicus herleitet, ist bis heute aber unklar.

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Von theodisce zu deutsch

Also noch einmal zum Mitdenken: Es gibt im Urgermanischen ein Wort theudó mit der urindogermanischen Wurzel teuh und der Bedeutung Volk. Im Frühmittelalter nimmt dann Karl der Große diesen Wortstamm und erfindet quasi ein lateinisches Kunstwort: theodisce, mit dem er die Sprachen aller germanischen Stämme in seinem Reich bezeichnet. Im Lateinischen wird theodisce dann spätestens im 11. Jahrhundert von teutonicus abgelöst und im Althochdeutschen von diutisk.

Im Laufe des Mittelalters entwickelt sich das Wort diutisk auch lautlich weiter. Für die heutige Aussprache deutsch ist vermutlich die Entwicklung im südlichen deutschsprachigen Raum ausschlaggebend, also heutiges Süddeutschland, Österreich, die Schweiz.

Zuerst hieß es diutisch, dann entweder diutsch oder dütsch, und schließlich de-utsch, deutsch.

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Woher stammt tedesco?

Diejenigen von euch, die bis hier aufmerksam gelesen haben, sollten gemerkt haben, dass wir die Frage vom Anfang noch gar nicht beantwortet haben. Warum heißt es im Italienischen nicht wie in anderen romanischen Sprachen allemand oder alemao, sondern tedesco? Woher stammt diese Bezeichnung?

Richtig, vom lateinischen theodisce. tedesco hat also vermutlich die selben Wurzeln wie unser heutiges Wort deutsch.