Neues Jahr, altes Thema

Willkommen im neuen Jahr. Bei Schon gewusst? geht es um Sprache. Zweimal pro Monat beantworte ich hier im Podcast Fragen rund um die wahrscheinlich schönste Erfindung der Menschheit. Ich spreche darüber, wie wir reden, warum wir reden und was mit uns und der Welt um uns passiert, wenn wir reden.

Sprache ist überall. Wir sprechen sie, wir hören sie. Wir lesen sie und schreiben sie. Wir lernen sie und manchmal vergessen wir sie auch wieder. Wir machen uns Gedanken in ihr und über sie. Wenn auch viel zu selten.

Aber genau deswegen sind wir ja hier. Hier im Podcast sprechen wir über Sprachwissen, das uns im Alltag oft fehlt. Wissen, das uns aber helfen könnte, ein besseres Gefühl für unsere Sprache zu bekommen, aber auch für die Sprache oder die Sprachen der anderen. Was Sprache eigentlich bedeutet. Für uns und für unsere Beziehung zu anderen Menschen. Manchmal arbeiten wir an grammatischen Themen, manchmal geht es um Wortschatz, manchmal um viel größere Zusammenhänge zwischen Sprache und Gesellschaft. Denn Sprache hört nie einfach so bei Grammatik oder Wortschatz auf. Ein gutes Beispiel sind die wahnsinnig beliebten Folgen zum Konjunktiv (Teil 1 und Teil 2) aus der ersten Staffel oder auch die Folge zum deutschen Sprachwandel.

Ich weiß, dass mit Jahresende noch einmal einige neue Hörer·innen zu uns gestoßen sind. Wer die alten Folgen aus dem letzten Jahr noch nicht kennt, kann trotzdem diese Folgen hier zuerst zu Ende hören und dann im Player nochmal zurückspringen. Erstens, weil die Folge heute nicht ganz so dicht werden wird wie die anderen. Und zweitens, weil das heutige Thema einen guten Einstieg in den Podcast allgemein bieten sollte. Aber auch für diejenigen, die schon länger dabei sind, könnte diese Folge interessant werden. Wir werden nämlich genau dort anschließen, wo wir letztes Jahr aufgehört haben: bei der Mehrsprachigkeit. Und der Tatsache, dass niemand von uns vor ihr sicher ist.

Auch ich nicht. Wir sprechen hier bei Schon gewusst? zwar auf Deutsch, und meist auch über Deutsch, wenn es um konkrete Fragen geht. Aber ich kann nicht nur Deutsch. Und auch die Frage: Was heißt Deutsch in meinem Fall, ist nicht ganz einfach zu beantworten.

Und genau aus dem Grund möchte ich mich und mein sprachliches Repertoire heute noch einmal bei euch vorstellen. Wer den Titel der Folge aufmerksam gelesen hat, wird wissen, worum es heute geht: um meinen Weg von der Sprachwissenschaft in den Deutschkurs. Und das, obwohl ich Folge um Folge immer wieder predige, dass Sprachwissenschaft per se nichts mit Grammatik zu tun hat. Ja, schon auch. Wir alle haben einmal Nominalphrasen in Syntaxbäume eingezeichnet. Aber keine Angst, darum wird es heute nicht gehen.

Worauf ich hinaus will: Man muss nicht Sprachwissenschaft studieren, um Deutsch zu unterrichten. Schon gar nicht in der Erwachsenenbildung. Aber es kann nicht schaden. Im Gegenteil: Sprachwissenschaftliches Wissen kann im Deutsch- oder einem anderen Sprachunterricht unglaublich wertvoll sein und neue Zugänge zur Zielsprache erschließen. Und damit sind wir auch schon bei den beiden zentralen Fragen, die wir heute versuchen werden zu beantworten:

  1. Wie kommt man von der Sprachwissenschaft in den Deutschkurs?
  2. Wie kommt die Sprachwissenschaft in den Deutschkurs?

Diese Folge ist vielleicht ein bisschen persönlicher als ihr es bis jetzt gewohnt seid, aber sie ist ein guter Einstieg in diese zweite Staffel, in der es ganz stark um Dinge gehen wird wie Sprachen lernen, Sprachen sprechen, und darum wie Sprachen und Sprechen in einer Gesellschaft ermöglicht werden können.

Meine Sprachbiographie

Ich möchte heute nicht die ganze Zeit aus dem Nähkästchen plaudern. Trotzdem möchte ich auf jeden Fall noch einmal kurz sagen, wer ich eigentlich bin. Diejenigen, für die das hier schon Folge 9 ist, dürfen also gern die nächsten zwei Absätze überspringen. Nein, im Ernst: Bitte nicht überspringen. Niemals überspringen.

Mein Name ist Verena. Ich bin, das ist nach dieser langen Einführung wohl allen klar, Sprachwissenschaftlerin. Vermutlich Soziolinguistin, wenn ich mir ein Label geben müsste. Muss ich zum Glück nicht mehr. Diskursanalytikerin vielleicht auch. Poststrukturalistin? Wie dem auch sei. Ich habe 2015 meinen Doktor an der Uni Wien gemacht und leite seit 2016 das Lehrwerk, ebenfalls in Wien, wo ich zur Zeit Lernhilfe für Schüler·innen, Textarbeiten und eben Deutschkurse für Erwachsene anbiete. In der Zwischenzeit haben wir unser Familie um zwei kleine Buchwürmchen erweitert. Die beiden werden in dieser Staffel vermutlich ein bisschen öfter hier in den Folgen vorkommen. Der große, den ich aus persönlicher Überzeugung hier — und zwar nur hier — im Podcast Nono nennen will, ist mittlerweile vier. Und Mimi — die auch in Echt nicht so heißt — wird bald eineinhalb. Mit ihrem ersten Geburtstag habe ich dann letztes Jahr angefangen, diesen Podcast hier aufzunehmen und bin also momentan neben der Arbeit im Lehrwerk, die ich, damit ich mehr Zeit für die Kinder habe, aktuell deutlich reduziert habe, eben auch in der Wissenschaftskommunikation im Bereich Sprache am Werk.

Ich hab mir schon mein ganzes Leben lang Gedanken über Sprache gemacht. Angefangen bei den Büchern in meiner Kindheit, über meine Auslandsaufenthalte und die anschließende Rückkehr nach Hause, bis hin zu meiner Entscheidung für ein Linguistikstudium. Aber ich greife vor. Beginnen wir am Anfang.

Ich bin Mitte der 80er in einer Kleinstadt in Kärnten geboren. Für alle, die nicht aus Österreich zuhören, oder für alle, die zuhören und nicht wissen, wo Kärnten liegt: Kärnten ist das südlichste österreichische Bundesland, Seen, Fasching, Haider. Sowas halt. Sprechen gelernt habe ich also im Dialekt. Ich hab irgendwann mal ganz alte Kassetten gefunden, auf die ich Kinderlieder hätte singen sollen, aber dann zwischendrin immer wieder hineingesprochen hab, wie mäßig Lust ich eigentlich grad auf diese Aktivität hab. Sehr süß, wenn man bedenkt, dass ich heute überhaupt keinen Dialekt mehr spreche.

Ich bin dann, relativ früh, mit meinen Eltern nach Wien gezogen. Und der erste Meilenstein sozusagen auf dem Weg zur Sprachwissenschaft, war sicherlich der Schuleintritt. Weil hier zwei wichtige Dinge passiert sind, die meine spätere Biographie bzw. meine Sprachbiographie geprägt haben. Nummer eins: Ich habe dort zum ersten Mal bewusst mitbekommen, dass ich trotz Kindergarten, immer noch ein bisschen anders bin als die anderen. Das ich hie und da Wörter verwende, die andere nicht kennen. Das ich Strangalan essen und Woaza, und das bei uns zu Hause immer alles gach passiert. Und Nummer zwei: Mir wurde klar, dass ich gern lerne — vor allem lesen und schreiben.

Das hat sich eigentlich auch während meiner restlichen Schullaufbahn nicht geändert. Ich hab den Sprachunterricht immer gemocht, hab neben Englisch und Französisch ab der Unterstufe und Latein ab der Oberstufe auch Italienisch im Wahlpflichtfach besucht, mit der Betonung auf besucht. Ich traue mich gar nicht einzuschätzen, wieviel bis heute von den letzten beiden hängen geblieben ist. Aber — und das ist das worauf ich heute hinauswill — der Unterricht in diesen beiden Sprachen ist und bleibt Teil meiner Sprachbiographie. Egal, wie gut oder schlecht ich heute Italienisch sprechen kann.

Dann kam mein Auslandsjahr in Frankreich mit fünfzehn. Also für mein Französisch war dieses Jahr natürlich ideal. Ich war jung, niemand dort konnte Englisch, geschweige denn Deutsch, ich war ein Jahr lang in einem absoluten Sprachbad, natürlich hat sich das sehr stark auf meine Französischkenntnisse ausgewirkt. Die Rückkehr nach Österreich war hier eigentlich schwieriger als das Weggehen. Ganz besonders ist mir in Erinnerung geblieben, dass ich, wo ich vor dem Aufenthalt in Frankreich, immer ein Sehr gut in Deutsch hatte, danach eine Zeit lang immer nur ein Gut bekommen habe, weil meine Lehrerin mein Deutsch nicht mehr als deutsch genug befunden hat. Was auch immer das heißt, ich wusste es damals nicht, ich weiß es auch heute noch nicht. Das hat sich aber zum Glück gelegt und bis zur Matura hatte ich dann wieder mein sehr gutes Deutschniveau erreicht. Aus heutiger Sicht natürlich interessant, was da passiert ist, damals hab ich einfach nicht verstanden, was die Lehrerin von mir will. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich noch genauso schreibe, wie ich immer geschrieben habe.

Wie dem auch sei, nach der Schule hab ich mich in Sprachwissenschaft und Französisch an der Uni inskribiert, mich damit abgefunden, dass weder ich noch irgendwer sonst wusste, was das eigentlich ist und was man damit dann macht, und wie das bei uns auf der Romanistik damals üblich war, noch eine zweite romanische Sprache gelernt, bei mir war das das Portugiesisch. Und weil mein damaliger Partner und heutiger Vater meiner beiden Kinder skandinavische Wurzeln hat, hab ich auch für ein paar Semester einen Norwegischkurs belegt.

Gegen Ende meines Studiums war ich dann noch einmal ein Jahr im Ausland, diesmal in Québec, wo ich ein Semester lang einen Kurs in LSQ, in der Québecer Gebärdensprache, besucht, und wo ich auch meine Diplomarbeiten geschrieben habe. Ein Thema, das mich damals einfach wahnsinnig fasziniert hat, begeistert und erschüttert gleichzeitig, waren Minderheitensprachen und Sprachenrechte. Da war natürlich Kanada der ideale wissenschaftliche Spielplatz, wobei ich mich nicht primär mit dem Verhältnis Französisch-Englisch auseinandergesetzt hab, sondern mit dem Verhältnis der Sprachen der Inuit zur bilingualen Sprachenpolitik in Kanada allgemein und dann noch einmal mit der einsprachig Französisch ausgerichteten Sprachenpolitik in Québec und ihren Einfluss auf das Inuktitut.

Ich hab danach ein Jahr lang meinen Freund nach Nottingham, in England, zum Studium begleitet, wollte dann aber auch selbst meinen Doktor machen und bin dafür wieder zurück nach Wien gekommen, wo ich bei einer ehemaligen Professorin von mir mein Diplomarbeitsthema nach Österreich geholt hab. Das heißt ich hab mich für mein Dissertationsprojekt mit der Sprachenpolitik in Österreich auseinandergesetzt und mit kritisch-diskursanalytischen und sprachbiographischen Methoden zum öffentlichen Minderheitensprachdiskurs auf der einen Seite und individuellen sprachbiographischen Erzählungen von slowenischsprachigen Menschen in Wien gearbeitet. Und nebenbei einen Slowenischkurs an der Volkshochschule besucht.

Ich habe nach meinem Abschluss natürlich mit dem Gedanken gespielt, an der Uni zu bleiben. Vor allem weil auch mein Freund damals wieder aus England zurück war. In Wien gab es aber damals keine freien Stellen. Ich hätte zwar nach Südtirol gehen können, was vor allem für mein Forschungsgebiet sicherlich sehr produktiv gewesen wäre, aber ich habe mich dann letztendlich dazu entschieden, hier in Wien zu bleiben und stattdessen mein eigenes Lerninstitut zu gründen, eine Ausbildung zur Basisbildnerin zu machen. Und ein paar Kinder.

Ich hatte damals also nach einigen Jahren praktischer Erfahrung als Kursleiterin für Deutsch als Fremdsprache, dann also auch noch einen Doktortitel in Sprachwissenschaft, eine zusätzliche Ausbildung, ein eigenes Unternehmen und zwei kleine Kinder am Rockzipfel.

Und wer mich kennt, weiß, dass ich mich grundsätzlich nur sehr schwer entscheiden kann. Pizza oder Pasta. Pizza oder Pasta. Pizza, Pasta. Pizza, Pasta.

Was mach ich also? Alles auf einmal. Verrückt? Vielleicht. Erfüllend? Absolut.

Und genau so ist schließlich auch die Sprachwissenschaft, die ich jetzt schon so lange mit mir herumschleppe, auch in den Deutschkurs gelangt. Und um ehrlich zu sein, hätte es, hätte ich’s geplant, und nicht nur verabsäumt mich zu entscheiden, nicht besser kommen können.

Sprachwissenschaft im Deutschkurs

Ich habe auch schon vor der Gründung des Lehrwerks, in den Kursen, die ich an den Deutschinstituten geleitet habe, einen sehr speziellen Zugang zum Sprachunterricht gehabt. Das ist mir vor allem gegen Ende hin immer stärker aufgefallen, als ich auch Seminare für angehende Deutschlehrer·innen übernommen habe, wo ich noch gewissenhafter als sonst reflektieren musste, was ich im Kurs eigentlich mache. Da sind dann Fragen aufgetaucht, wie Warum dieses Material, warum dieses nicht? Warum so viel Arbeit und Zeit in selbst gemachtes Material stecken?

Vieles hatte damals auch schon mit dem Thema Mehrsprachigkeit zu tun.

Wie kann ich meine eigene Sprachbiographie für den Unterricht nutzen?
Wie gehe ich mit anderen Sprachen im Kurs um?
Wie anders gestaltet sich der Kursalltag in sprachlich eher homogenen oder eher heterogenen Gruppen?
Und warum war in all den Jahren, in denen ich bereits unterrichtet habe, niemals auch nur eine einzige Unterrichtsstunde gleich?

Diese intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Arbeiten hat dann schließlich dazu geführt, dass ich — obwohl ich die Arbeit in der Lehre·innenausbildung sehr genossen habe und als sehr angenehm gefunden habe — mich durch dieses Transparentmachen der eigenen Überzeugungen, Methoden, Anforderungen, Wünsche absolut nicht mehr wohl gefühlt hab im regulären Kursbetrieb. In einem Arbeitsumfeld, in dem es allein um Profit (für die Institute, nicht für das Lehrpersonal wohlgemerkt) gegangen ist, und wo diese Art von Reflexivität zwar gern gesehen war, aber weder finanziell noch in irgendeiner Form von rechtlicher Absicherung wertgeschätzt wurde. Und aus dieser Unzufriedenheit heraus und in der Hoffnung, mit dem, was ich mache, Sinnvolleres erreichen zu können, ist dann schlussendlich auch die Idee mit dem Lehrwerk entstanden.

Ich habe, was Deutschkurse angeht, mittlerweile einen relativ treuen, sprich stabilen, Kund·innenstamm. Momentan, muss man vielleicht dazusagen, einen auch sehr akademisch geprägten Kund·innenstamm. Also sehr viele sehr gut ausgebildete, junge Menschen, die nach Österreich gekommen sind, um hier zu arbeiten. Im Wissenschaftsbetrieb oder in der freien Marktwirtschaft, im Gesundheitswesen etc.

Ich habe mich extra als Vorbereitung auf diese Folge noch einmal hingesetzt und überlegt, was es denn jetzt konkret für Dinge sind, über die ich mir in der Vorbereitung, Nachbereitung und während dem Unterricht so meine Gedanken mache; also abgesehen von den konkreten Fragen wie Wie erkläre ich jemandem die deutsche Adjektivdeklination? Bei Fragen diesbezüglich, also bei Fragen zur Adjektivdeklination oder anderen Grammatikthemen, dürft ihr mir gern eine Nachricht schicken: wissen@lehrwerk.at oder über das Kontaktformular. Vielleicht wird ja daraus auch noch einmal eine eigene Folge?!

Als diese Liste nach und nach Gestalt angenommen hat, hat sich irgendwann herauskristallisiert, dass ich die Dinge, die da am Papier stehen, schon viel länger mit mir herumschleppe, als ich eigentlich Deutsch unterrichte. Dinge, die mich sicherlich schon seit dem Studium begleiten, vielleicht sogar noch länger, weil ich mir eben so gern Gedanken mache — über Sprache, wie sie funktioniert, wie wir sie lernen können, was wir von ihr lernen können, was wir noch alles lernen müssten, um sie wirklich zu verstehen.

Auf meiner Liste stehen also Dinge wie: Ja, natürlich, Wissen über die deutsche Sprache, ohne das geht es natürlich nicht. Aber das kann man sich antrainieren, das ist nicht die Schwierigkeit. Aber es stehen auch Dinge darauf wie:

  • Mehrsprachigkeitspädagogik
  • Sprachliches Repertoire
  • Sprachbewusstheit

Das sind alles Aspekte, die teilweise weit über unsere Vorstellung vom Deutschlernen hinausgehen; weil sie im Grunde nichts mit der Vermittlung von Wissen über das deutsche Sprachsystem zu tun haben. Trotzdem nehmen sie bei mir im Kurs viel Platz ein — explizit oder implizit.

Vielleicht als Beispiel: Nehmen wir die Phonetik. Das heißt wenn es um eine „schöne“ deutsche Aussprache geht, stoße ich als Sprachtrainerin oft an meine Grenzen. Zum einen ist das Thema Aussprache für viele sehr emotional behaftet. Es geht hier nicht nur darum grammatische Strukturen richtig anzuwenden oder sich Wörter richtig zu merken. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um die eigene Stimme, um ein Stück Persönlichkeit, etwas sehr Intimes. Dazu kommt, dass man Menschen anhand ihres Akzents sehr leicht etikettieren kann, auch ausgrenzen kann: Du bist nicht von hier. Das ist schon mal die erste Schwierigkeit. Das heißt Aussprachetraining ist nie einfach nur Sprachtraining.

Zum anderen hängt die Frage, wie Aussprachetraining effektiv sein kann, sehr stark von der bzw. den Herkunftssprachen der Lerner·innen ab. Der Erwerb des Lautsystems einer Sprache, aber auch die Wahrnehmung von sprachlichen Lauten, die in diesem System relevant sind, beginnt bei uns allen — egal mit welchen Sprachen wir aufwachsen — sehr früh, und ist auch im Vergleich zu anderen Sprachbereichen relativ früh abgeschlossen. Was unter anderem auch dazu beiträgt, dass sich die Art und Weise, wie wir klingen und wie wir verstehen, was wir hören, später nur noch schwer ändern lässt. Das bedeutet nicht, dass sich nicht auch erwachsene Lerner·innen mit der Zeit eine “muttersprachliche” Aussprache aneignen können. Nur, dass es schwieriger ist, als Grammatik oder Wortschatz zu lernen.

Und eine Methode, die sich gerade aus diesem Grund bewährt hat, ist das sprachvergleichende phonetische Training, wo darauf geachtet wird, die deutsche Aussprache mit der muttersprachlichen zu kontrastieren, um so auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufmerksam zu machen, und, hoffentlich, das Erlernen deutscher Besonderheiten zu erleichtern. Diese Herangehensweise ist nicht immer leicht, weil sich viele Sprecher·innen schwer tun, über diese Dinge (genauso wie bei Grammatik oft) in ihrer eigenen Sprache zu reflektieren. Aber es gibt mittlerweile schon sehr gute Materialen, auf die man zurückgreifen kann, und wenn man hier wirklich in die Tiefe geht und vermittelt, warum diese Vergleiche und damit auch die Arbeit an der Muttersprache sinnvoll sind und nicht nur Zeitverschwendung, kann man damit sehr gute Ergebnisse erzielen, sowohl was das Sprechen betrifft als auch die Sensibilisierung für Sprache an sich.

Der dritten Punkt, den man bei der Aussprache nicht vergessen darf, ist, dass ich als Deutschlehrerin in Österreich auch immer bedenken muss, dass Aussprache vor allem in deutschsprachigen Gebiet regional geprägt ist. Und zwar sehr stark. Wir haben das schon im Folge 6 zum Thema Sprachwandel und Variation besprochen. Die Plurizentrik und Dialektvielfalt der deutschen Sprache macht, dass es mitunter sehr große Unterschiede in der Aussprache von Region zu Region gibt. Einerseits schon einmal zwischen den deutschsprachigen Ländern: Österreich, Deutschland, die Schweiz und so weiter. Andererseits auch innerhalb der nationalen Grenzen. Das heißt für mich, wenn ich hier in Wien Deutsch unterrichte, bedeutet das nicht, dass die Aussprache, die meine Schüler·innen hier von mir mitnehmen, auch in Salzburg, in Tirol oder gar in Vorarlberg als “normal” oder “schön” angesehen wird.

Das Gleiche gilt, wo wir schon bei der Pluralität sind, auch für den Wortschatz oder bestimmte Grammatikstrukturen. Allein schon weil ich in Österreich Deutsch unterrichte, muss ich auf bestimmte sprachliche Phänomene hinweisen, die vielleicht im deutschen Standarddeutsch nicht richtig klingen, und deswegen auch im Lehrbuch — das ja meistens aus Deutschland stammt — nicht behandelt werden, die aber in Österreich vollkommen korrekt, um nicht zu sagen normal, sind. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn hier in Wien die bundesdeutschen standardsprachlichen Varianten verwendet werden, klingt man, ganz im Gegenteil, eben nicht authentisch. In Wien hört man eben kaum Dinge wie an Weihnachten oder sie hat gestanden oder wir waren gefahren. Auf diese sprachliche Pluralität muss ich im Unterricht einfach hinweisen — aus praktischen Gründen.

Was dabei aber passiert, ist, dass über diese Hinweise hinaus auch Wissen über die deutsche Sprache generiert wird, das nichts mit dem eigentlichen Sprachsystem zu tun hat. Metasprachliches Wissen also, das uns hilft, über eine Sprache zu sprechen, nicht notwendigerweise in dieser Sprache.

Manche würden diese Themen vielleicht in einen Topf mit sogenanntem interkulturellen Wissen werfen. Aber für mich ist das ganz klar metasprachliches Wissen, das uns nicht nur hilft, in einer konkreten Kommunikationssituation das passende sprachliche Mittel auszuwählen, also dass ich in Wien zum Beispiel Jänner sage anstatt Januar, sondern das eben auch das Verständnis der Lernenden für die Vielschichtigkeit und die Variabilität von Sprache an sich vergrößert.

Ein anderes Thema im Bereich der Grammatik ist die teilweise Vergleichbarkeit von Erst- und Zweit- bzw. Fremdspracherwerb. Es wurden in der Sprachlehr- und Lernforschung bereits eine ganze Reihe von sprachlichen Phänomenen identifiziert, die im kindlichen Spracherwerb und in Sprachlernprozessen im Erwachsenenalter ähnlich ablaufen. Ich will heute eigentlich gar nicht lange bei diesem Thema bleiben, weil dazu bereits eine eigene Folge in den Startlöchern steckt. Vielleicht nur ein kurzes Beispiel zur Veranschaulichung: Nehmen wir die Bildung des Partizip II. Auf Deutsch haben wir zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Erstens die regelmäßige Bildung, also zum Beispiel lernen → ich habe gelernt, mit einem -t am Ende, und zweitens die unregelmäßige Bildung lesen → ich habe gelesen, mit einem -en als Endung.

Jeder der Kinder hat oder mit Kindern zu tun hat, arbeitet und so weiter wird wissen, dass da manchmal Dinge in den Raum geworfen werden wie das hab ich schon gelest, anstatt gelesen. Das ungeschulte Ohr könnte in diesem Fall jetzt annehmen, das Kind wüsste es halt noch nicht besser. Doch in Wahrheit ist genau das Gegenteil der Fall: Dieser spezifische “Fehler” taucht in der Sprachentwicklung in der Regel erst dann auf, nachdem das Kind den Unterschied zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Leben bereits kennt. Das Kind verwendet also schon einige Zeit lang die korrekten Partizipformen, und macht erst eine Weile später plötzlich wieder Fehler.

Der Grund dafür liegt darin, dass das Kind zu dem Zeitpunkt, an dem es wieder anfängt gelest zu sagen statt gelesen, bereits eine wichtige Beobachtung gemacht hat, nämlich dass es zwar regelmäßige und unregelmäßige Verben auf Deutsch gibt, dass aber — was ja stimmt — die regelmäßigen viel häufiger vorkommen als die unregelmäßigen. Was macht es also? Es übergeneralisiert diese Beobachtung und macht in der Folge einfach jedes Verb, egal aus welcher der beiden Kategorien, zu einem regelmäßigen: also gelest, gegesst, getrinkt, gehelft.

Und als ob das allein noch nicht interessant genug wäre, hat man herausgefunden, dass erwachsene Lerner·innen genau das Gleiche tun. Sie lernen zuerst mühsam jede einzelne Form (vermutlich auswendig), freuen sich über ihren Fortschritt, und plötzlich schleichen sich wieder Fehler ein — ganz viele Fehler. Das verunsichert natürlich und lässt einen an den eigenen Fähigkeiten zweifeln. Aber ich erzähle dann immer von diesen Studien und mittlerweile auch von meinen eigenen Kindern, an denen ich diese Lernprozesse quasi live mitverfolgen kann und diese Entwicklungsschritt selbst miterlebe. Und ich sage natürlich immer dazu, dass sich dieser “Rückfall”, diese zeitweise Übergeneralisierung, mit der Zeit verwächst. Das mit dem gelest und dem gegesst geht irgendwann vorbei — sowohl bei den Kindern als auch bei den Erwachsenen. Weil es sich dabei nicht um spezifisch deutsche Besonderheiten handelt, sondern um allgemeine Lernprozesse, wie die Beobachtung, die statistische Auswertung, die Generalisierung. Diese Dinge sind nicht auf den Erwerb des Deutschen beschränkt, sondern Teil unserer generellen kognitiven Disposition, und eben auch konkret Teil unser gesamtsprachlichen Fähigkeiten.

Der Blick auf das gesamte Sprachrepertoire ändert natürlich nichts daran, dass ich in erster Linie Deutsch unterrichten muss. Das ist schließlich der Sinn und Zweck eines Deutschkurses. Die Frage ist lediglich wie Deutsch als Sprache bzw. als Fähigkeit konzeptualisiert wird. Die wenigen Beispiele bisher haben, denke ich, bereits gezeigt, dass ein ganzheitlicher Blick auf sprachliche und metasprachliche Ressourcen nicht nur ein wertvoller Beitrag zu einem entspannteren Verhältnis zur eigenen Mehrsprachigkeit ist, sondern auch im praktischen Kursalltag konkrete positive Effekte auf den Lernfortschritt haben kann.

Ein letztes Beispiel für heute soll das noch einmal illustrieren: Ja, viele meiner Schüler·innen kommen bereits mit Deutschkenntnissen zu mir. Haben also schon vorher einen, ein paar Kurse gemacht. Und ich wechsle aus diesem Grund auch sehr schnell zu Deutsch als Kommunikationssprache im Kurs, ich sag manchmal auch gern als “Plaudersprache”, weil Deutsch, die Sprache ist, in der wir eben plaudern. Also wenn es nicht gerade um, sagen wir, Grammatik geht oder um andere innensprachlichen Strukturen, Wortstellung, Aussprache und so weiter, immer dann passiert ungezwungene Kommunikation auf Deutsch.

Aber genau in diesen Gesprächssituationen kommen eben auch oft Selbstzweifel auf; und zwar anders als bei Grammatikübungen zum Beispiel. Da fühlt man sich dann irgendwie nicht gut genug, um Dinge auszudrücken, ohnmächtig vor der Tatsache, dass freie, mündliche Kommunikation uns viele unserer vermeintlichen Defizite instantan und parallel aufzeigen. Man ringt nach Worten, fühlt sich in der Aussprache unsicher, weiß nicht, wo man die Verben hintun soll, und neben all den auf die deutsche Sprachstruktur bezogenen Aspekten, kommt erschwerend hinzu, dass natürlich, wie in jeder Gesprächssituation, auch die Gesprächskonventionen — auch die kulturspezifischen und situationsspezifischen — eingehalten werden müssen. Und irgendwann laufen diese Gespräche scheinbar mittendrin ins Leere, die Schüler·innen unterbrechen sich selbst, es scheint ihnen die Sprache verschlagen zu haben, es wirkt fast wie eine kleine Ohnmacht diesen vielen Gesprächsanforderungen gegenüber. Und das egal auf welchem “Sprachniveau” sie sich gerade befinden.

Diese Ohnmacht ist in der soziolinguistisch geprägten Mehrsprachigkeitsforschung tatsächlich ein immer wiederkehrendes Motiv, wenn es darum geht, wie Sprecher·innen Machtgefälle in sprachlichen Interaktionen erleben, wie sie sich selbst Defizite zuschreiben, die aus der Hierarchisierung zwischen Sprachen in eben diesen Interaktionen entstehen, Hierarchisierungen, die wiederum in viel größere gesamtgesellschaftliche Sprachideologien eingebettet sind. Hier handelt es sich ganz deutlich die Vorstellung, Deutsch als Zielsprache — und gleichzeitig Amtssprache, Nationalsprache, offizielle Sprache Österreichs, wie man dieses Konzept auch immer nennen möchte — sei der oder den sogenannten eigenen Sprachen, den Sprachen, die man bereits in den Deutschkurs mitbringt, überlegen. Mit solchen Hierarchisierungen geht gleichzeitig immer auch die Vorstellung einher, Deutsch als Zielsprache eben sei etwas komplett anderes als die mitgebrachten Sprachen, vollkommen losgelöst vom Sprachschatz, den man bereits hat, eine Entität, deren Regeln und Funktionalität unabhängig von jeglichem Sprachwissen, das man bereits hat, so weit gelernt oder erworben werden müssten, um — und das ist jetzt der springende Punkt: in dieser Sprache (hier: Deutsch) maximal kompetent zu werden. Woher auch immer diese Vorstellungen kommen mögen, von mir stammen sie bestimmt nicht. Ganz im Gegenteil. Und trotzdem spielen sie bei mir im Kurs eine so große Rolle, dass ich hier im Podcast darüber reflektieren muss. Diese Vorstellungen sitzen so tief, dass sie meinen kompletten Unterricht beeinflussen.

Und was ich dann meistens mache in diesen Situationen der Ohnmacht — obwohl ich genau weiß, dass es für viele Lerner·innen sehr schwer zu akzeptieren ist — ist: Ich setze sehr stark auf Feedback, auf positiven Feedback. Ich betone die Mehrsprachigkeitskompetenzen, die sie bereits haben oder sich im Kurs angeeignet haben, das Paraphrasieren, das Umschreiben von unbekannten Begriffen, oder das polyglotte Sprechen, das Vermischen mehrerer Sprachen in ein und der selben Gesprächssituation, oder die Interkomprehension, das Erschließen deutscher Besonderheiten durch Sprachenvergleiche. All das allein sind schon sehr effektive Bewältigungsstrategien in mehrsprachigen Interaktionssituationen. Und das sind, wenn wir ehrlich sind, vermutlich die meisten Interaktionen, während sie Deutsch lernen.

Dazu kommt, und auch das betone ich immer wieder, dass der Erwerb kommunikativer Fähigkeiten in einer Sprache absolut nicht muttersprachliche Kompetenz zum Ziel haben muss. Abgesehen davon, dass die Definition von muttersprachlicher Kompetenz ziemlich unscharf ist, ist es in der modernen Mehrsprachigkeitspädagogik und -didaktik mittlerweile unbestritten, dass mehrsprachige Sprecher·innen eben nicht mehrere einsprachige Sprecher·innen zusammen sind, quasi eine muttersprachliche Kompetenz neben der anderen gespeichert und abgerufen werden kann, sondern jede neue, zusätzliche Sprache in das bereits etablierte Sprachrepertoire eingeflochten wird, altes sprachliches Wissen mit neuem sprachlichem Wissen vernetzt wird, sodass sich im Laufe des Lernprozesses das sprachliche Repertoire als Ganzes vergrößert. Nicht aufbauend wie bei einem Turm aus Holzbausteinen, sondern erweiternd wie bei einem Bild, in das man immer mehr Details zeichnet.

Perfekte Sprachkenntnisse, was auch immer das sein mag, sind also nicht nur unrealistisch, sondern gelten auch nicht als Normalfall. Auch einsprachige Sprecher·innen beherrschen eine bestimmte Varietät ihrer Sprache in bestimmten Lebensbereichen besser als andere. Genauso wird es auch in der Zweit- oder Fremdsprache sein. Der Lernprozess ist also bei uns allen asymmetrisch und die perfekte Beherrschung einer Sprache, wie bei allenanderen Fähigkeiten, die man lernen kann, auch, praktisch unmöglich.

Und all das in Kombination und der Tatsache, dass es in meiner Arbeit mit meinen Deutschschüler·innen nicht um Produktivität geht (also von meiner Warte aus gesehen um Karriere oder Geld oder was auch immer) und aus der Perspektive der Schüler·innen um Niveaustufen, Deutschzertifikate oder Ähnliches, sondern um Lernbegleitung und um das Dabeisein, wenn Menschen ihre mehrsprachigen Repertoires weiterentwickeln, trägt zu einem großen Teil dazu bei, dass bei mir in den Kursen so viel Raum für sprachwissenschaftliche Perspektiven ist.

Was bleibt?

Und damit sind wir wieder zurück bei den beiden Fragen vom Anfang:

  1. Wie kommt man von der Sprachwissenschaft in den Deutschkurs?
  2. Wie kommt die Sprachwissenschaft in den Deutschkurs?

Die Antwort auf die erste Frage ist natürlich eine sehr persönliche, und ich habe versucht zu zeigen, dass Sprache — Deutsch, eine andere, oder Sprache an sich — auf mich immer schon eine irrsinnige Faszination ausgeübt hat. Und ich würde im Leben wahrscheinlich alles machen, wenn es auch nur irgendwie mit Sprache zu tun hat. Okay, das nehme ich zurück. Fast alles.

Warum es mir aber gerade im Deutschkurs so gut gefällt, ist, weil es hier einfach um all das geht, was mir an Sprache so gut gefällt. Das Lernen, das Verstehen, das Menschliche. Weil ich meine Begeisterung für Sprache mit anderen teilen kann; und gleichzeitig mein sprachwissenschaftliches Gespür, dort einsetzen kann, wo es nicht nur gebraucht, sondern auch herzlich aufgenommen wird. Und so gesehen bleibt von meinem Weg von der Sprachwissenschaft in den Deutschkurs genau eines, nämlich Sprachwissenschaft im Deutschkurs.

Das war’s für heute von mir. Im wahrsten Sinne des Wortes. War eh schon lang genug das Ganze. Wer tatsächlich bis jetzt drangeblieben ist, kann gleich noch ein paar Folgen aus der ersten Staffel nachholen *zwinker zwinker* und den Podcast bei der Gelegenheit gleich abonnieren *noch mehr zwinker* damit ihr die nächste Folge auf keinen Fall verpasst. In zwei Wochen starten wir dann nämlich, wie versprochen, mit dem großen Thema Sprachenlernen, Spracherwerb und Mehrsprachigkeit. Und was könnte sich als Einstieg in dieses Themenfeld besser eignen als ein paar der hartnäckigsten Sprachmythen, die uns in diesem Zusammenhang manchmal einfach nur das Leben schwer machen.

In diesem Sinne, ich freue mich aufs nächstes Mal, wenn wir wieder über Sprache sprechen.

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  1. […] so gut kennen. Wer einen etwas tieferen Einblick in meinen Werdegang möchte, kann gern nochmal hier nachlesen. Dort habe ich meine berufliche und meine Sprachenbiographie ein bisschen detaillierter […]

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