Woher wissen wir, wie Dinge heißen? Können wir die Namen der Dinge aus dem Wesen der Dinge herleiten? Die moderne Sprachwissenschaft hat darauf eine eindeutige Antwort: nein. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Die Zuordnung zwischen Bezeichnung und Sache sei vollkommen willkürlich. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn es gibt durchaus auch sprachliche Zeichen, die weit weniger arbiträr sind, als Saussures Zeichentheorie uns glauben lassen möchte.

Die Dinge beim Namen nennen

Schon gewusst heißt jetzt seit kurzem Wissen schafft Sprache. Denn genau das sollte hier im Podcast idealerweise passieren: Wir lernen etwas über Sprache, um gut informiert über Sprache sprechen zu können. So einfach ist das. Ich mag Menschen, die nicht um den heißen Brei herumreden. Die Nägel mit Köpfen machen und die Dinge beim Namen nennen.

Die Dinge beim Namen nennen. Einfacher gesagt, als getan. Die Frage, die sich hier nämlich stellt, ist nicht nur: Kenne ich den Namen der Dinge? Sondern auch: Ist das auch der richtige Name für das Ding?

Warum ist ein Tisch ein Tisch? Verweist die Benennung Tisch auf das Wesen eines Tisches? Sagen wir Tisch zu einem Tisch, weil uns der Klag des Wortes, an die Form, die Beschaffenheit oder die Funktion eines Tischs erinnert? Wie kommt es dann aber, dass manche dieser sogenannten Tische aussehen wie hölzerne Paarhufer ohne Kopf und Schweif, und andere wie einbeinige Fliegenpilze oder ein Stapel Bücher? Ist das alles Zufall oder nicht? Oder anders: Wie kommen die Dinge zu ihren Namen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Menschen bereits seit der Antike.

Kratylos, oder: Der Physei-Thesei-Streit

Im 4. Jahrhundert vor Christus verfasste der antike Philosoph Platon seinen berühmten Dialog “Karatylos”; und setzte damit den Grundstein für die europäische Sprachphilosophie. Nach typischer platonischer Manier ließ er in einer Art fiktivem Gespräch drei Personen auftreten: Seinen Lehrer Sokrates, den Philosophen Kratylos und dessen Freund Hermogenes.

Den Männern geht es darum zu erörtern, welche Beziehung zwischen den Dingen in der Welt und ihren Namen bestand. Sowohl Kratylos als auch Hermogenes sind sich in einer Sache einig. Irgendwann einmal muss irgendwer oder irgendwas den Dingen einen Namen gegeben haben. Das reicht ihnen, um zu folgern, dass grundsätzlich alles auf der Welt seinen “richtigen” Namen trägt. Worauf sie sich jedoch nicht einigen können, ist, wie die Namen den Dingen zugeordnet sind. Welche Beziehung zwischen Ding und Namen besteht.

Auf der einen Seite steht Kratylos und postuliert eine natürliche Beziehung zwischen den beiden. Mit anderen Worten: Die Dinge in der Welt hätten ihren richtigen Namen, weil sie ihnen von Natur aus zugeordnet worden sind. In der Philosophie nennt man das die Physei-These. Auf der anderen Seite steht Hermogenes, der die entgegengesetzte Auffassung vertritt: Er geht davon aus, dass sich Dinge und Namen einander willkürlich zuordnen lassen. Die Beziehung zwischen Ding und Name ist lediglich Konvention. Eine Benennung ist also nicht deswegen richtig, weil sie der Natur der Sache entspricht, sondern weil sich die Menschen auf sie geeinigt und an sie gewöhnt hätten. Hermogenes vertritt also im Gegensatz zu Kratylos die Thesei-These. Die beiden Streithähne können sich partout nicht einigen und bitten Sokrates um Hilfe. Dieser setzt sich ausgiebig mit beiden Positionen auseinander. Er muss aber zugeben, dass es sich hierbei um eine äußerst schwierige Frage handelt.

Vor allem der Kern von Kratylos These macht ihm zu schaffen: Denn seine Idee, Namen würden die Natur der Dinge abbilden, hat weitreichende Konsequenzen. Kratylos behauptet nämlich, man müsse nur wissen, wie der Name eines Dings lautet, um sein Wesen zu erkennen. Durch eine gründliche Sprachbetrachtung käme man so auf die wahre Bedeutung nicht nur des Wortes, sondern auch der Sache an sich. Ein durchaus verlockender Gedanke. Wie viel Denkarbeit man sich dadurch sparen könnte! Doch diese Behauptung widerstrebt Platon alias Sokrates. Wenn eine Benennung lautlich so gestaltet sein muss, dass jemand, der das Wort ausspricht, damit das Wesen des benannten Dings nachahmt, müsste man nämlich bei den kleinsten Bestandteilen der Wörter anfangen, den Lauten.

Er versucht also, die Laute mit der Bedeutung von Wörtern zu verknüpfen, in denen diese Laute vorkommen. Das A kommt ihm zum Beispiel groß vor. Deshalb passt es ins Wort mégas dem altgriechischen Wort für groß. Beim T bildet die Zunge hingegen eine Blockade im Mund. Das verleitet ihn dazu, das T mit dem Fehlen von Bewegung in Verbindung zu bringen. Für ihn ist es also nur verständlich, dass Wörter wie etwa Stillstand, der auf Griechisch stásis heißt, ein solches T in sich tragen. Doch mit dieser Analyse stößt Sokrates bald an seine Grenzen. Im Laut R sieht er nämlich ein passendes Ausdrucksmittel für jegliche Bewegungsarten. Schließlich bewegt sich — also vibriert — die Zunge beim R besonders stark. Im Wort für fließen rheín ahmt das anlautende R die fließende Bewegung also gut nach. Das L auf der anderen Seite passt zum Glatten und Weichen, weil die Zunge hier so schön über den Gaumen gleitet. Deshalb würden Wörter wie leía, also Glattes, und liparón, fettig, mit einem L gebildet. Soweit, so gut. Doch dann gibt es da auch das griechische Wort für rau, skleros. Dort steckt nicht nur das R für die Rauheit drinnen, sondern auch das L für das Glatte. Wenn es also stimmt, dass Laute für bestimmte Bedeutungen stehen, dürfte in skleros kein Buchstabe stecken, der für das Gegenteil von dem steht, was mit dem ganzen Wort ausgedrückt werden soll. Etwas Glattes im Wort für rau? Das geht gar nicht! Am Ende kommt er also zum Schluss, dass weder Kraylos noch Hermogenes ganz im Recht liegen können. Er lehnt zwar die radikale Haltung des Kratylos ab, kann sich aber auch noch nicht mit der völligen Willkür sprachlicher Konventionen abfinden.

Aus heutiger Sicht mutet der Dialog etwas veraltet an. Kein Wunder, schließlich ist er bereits über 2.000 Jahre alt. Und in dieser Zeit hat sich sprachwissenschaftlich gesehen so einiges getan. Physei und Thesei werden schon lange nicht mehr so genannt. Und auch Platon wird zu dieser Frage nur noch selten zitiert.

Sprache als Zeichensystem

In den Grundlagenwerken zur Linguistik steht stattdessen Ferdinand de Saussure an der Tagesordnung. Der Schweizer Forscher zählt zu den Begründern der modernen Sprachwissenschaft. In seinen Vorlesungen an der Universität Genf hat er eine allgemeine Theorie der Sprache als Zeichensystem entwickelt. Für ihn besteht Sprache aus Zeichen. Und diese Zeichen wiederum stehen für bestimmte Ideen, bestimmte Vorstellungen, die wir als Menschen von den Dingen in der Welt haben. Sprachliche Zeichen haben für ihn also immer zwei Seiten. Eine, die wir hören können, nämlich das Lautbild; und eine, die nur in unseren Köpfen existiert, nämlich die Vorstellung davon, was mit diesem Lautbild bezeichnet werden soll.

Das Lautbild [baʊ̯m]  (Baum) ist die materielle Seite des sprachlichen Zeichens. Das, was in unseren Köpfen als Bild von einem prototypischen Baum aufpoppt, wenn wir das Wort Baum hören, das ist die immaterielle Seite des sprachlichen Zeichens.

Saussure bezieht im antiken Streit also deutlich Position. Sprachliche Zeichen sind nicht mit den Dingen an sich verbunden, sondern nur mit unseren Vorstellungen davon. Die Form des Lautbildes ist dabei willkürlich. Dass der Baum Baum heißt, hat nichts damit zu tun, dass das A in AU den Mund groß macht und daher für die Größe der mächtigen Pflanze steht. Für ihn ist die Zuordnung zwischen Lautbild und Vorstellung arbiträr. Dass wir heute [baʊ̯m] Baum sagen, wenn wir Baum meinen, liegt daran, dass wir uns als Sprachgemeinschaft auf diesen Namen geeinigt haben. Genauso, wie es bereits Hermagores gesagt hatte.

Wenn sich Form und Bedeutung ähnlich sind

Und dennoch: Auch wenn sich Saussures Zeichentheorie weitgehend durchgesetzt hat, gibt es in der Sprache Zeichen, die weit weniger abstrakt sind, als Saussure uns glauben lässt. Zeichen, deren Form sehr wohl auf die Bedeutung schließen lässt. In der Sprachwissenschaft wird diese Ähnlichkeit zwischen Form und Bedeutung eines sprachlichen Zeichens mit Ikonizität bezeichnet.

Vor allem Gebärdensprachen eignen sich besonders gut dazu, visuelle Charakteristika von Welt in ihrem Wortschatz abzubilden. Man geht davon aus, dass rund ein Drittel der Gebärden ikonisch ist, also zwischen Form und Bedeutung der Gebärde ein Zusammenhang besteht. So wie etwa die Gebärde für Deutschland. Dafür wird eine Faust mit nach oben ausgestrecktem Zeigefinger an die Stirn geführt. Wer in Geschichte gut aufgepasst hat, erkennt darin die typische Pickelhaube der preußischen Armee. Deutscher geht es gar nicht.

Aber auch in den Lautsprachen sind nicht alle Sprachzeichen arbiträr. Das zeigt sich zum Beispiel in lautmalenden Wörtern, in sogenannten Onomatopoetika. Von Onomatopoetika spricht man also, wenn Laute oder Geräusche mit Sprache nachgeahmt werden. Ein bekanntes Beispiel ist der Kuckuck. Dessen Name erinnert an den Klang seines Rufes. Auch der Uhu, die Krähe, der Rabe und der Girlitz machen ihren tönenden Namen alle Ehre.

Auch alte Schriftsysteme waren oft ikonisch. Die Schriftzeichen bildeten die Dinge in der Welt zunächst noch auf vereinfachte Art und Weise ab, bevor sie sich weiterentwickelten. Ein bekanntes Beispiel wären etwa die Vorläufer der ägyptischen Hieroglyphen. Aber auch die Keilschrift der alten Stummerer, die im Nahen Osten lange Zeit als Schriftsystem genutzt wurde, war anfänglich eine Bilderschrift.

Und wenn wir schon bei Bildern sind: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Alltag nicht nur mit Sprache an sich kommunizieren. Straßenschilder, Pflegehinweise auf Textilien oder Piktogramme wie ein Aktenordner oder ein Papierkorb am Computer sind intuitiv verständlich und dienen der schnellen und unkomplizierten Information.

Sprache ist also nicht immer willkürlich. Egal ob wir sie sprechen, gebärden, schreiben oder zeichnen. An viele der lautmalenden Wörter oder ikonischen Gebärden haben wir uns einfach gewöhnt oder ihre lautmalenden Eigenschaften sind durch historischen Sprachwandel nicht mehr hörbar. Auch alte Schriftsysteme haben sich mit der Zeit von reinen Bilderschriften zu abstrakteren Systemen entwickelt. Und dennoch: Auch wenn wir von Zeit zu Zeit von der Form eines sprachlichen Zeichens auf dessen Bedeutung schließen können — auf das Wesen den Bedeutung, auf das Wesen der Dinge in der Welt kommen wir dadurch nicht.