SprachGeschichten.

Sprachenlernen auf den Füßen

Vokabellisten, Verbtabellen, Einsetzübungen. Für manche von uns sind das die einzigen (nicht so schönen) Erinnerungen an den Fremdsprachenunterricht in der Schule. Doch Sprachenlernen geht auch anders. Nämlich nicht am Schreibtisch, sondern auf den Füßen. Wie das geht und welche Sprachen sie so gelernt hat, erzählt uns heute Quantenphysikerin Yelena.

Heute erzählt mir Yelena ihre Sprachbiographie. Ihre Eltern sind aus Russland. Sie selbst ist in Großbritannien aufgewachsen. Heute arbeitet sie als Quantenphysikerin und forscht in Wien.

Bevor wir uns unterhalten, hat Yelena ein Sprachenportrait von sich gemalt. In ihrer Körpersilhouette haben neben Russisch, Englisch und Deutsch auch noch Französisch, Portugiesisch, Japanisch und Tirolerisch Platz.

Yelena ist mit Englisch und Russisch aufgewachsen. Obwohl sie ihre gesamte Schullaufbahn auf Englisch durchlaufen hat, benutzt sie Russisch immer noch sehr oft – mit Familie, mit Freund*innen, mit Kolleg*innen.

In der Schule hat Yelena außerdem Französisch als Fremdsprachen gelernt. Aufgrund ihrer vielen Reisen nach Brasilien kann sie mittlerweile auch Portugiesisch.

Japanisch hat Yelena allerdings erst noch in den Zehen. Sie war zwar schon mehrmals in Japan, kann die Sprachen aber noch nicht sprechen.

Auf Deutsch hat Yelena zuerst vergessen. Das musste sie nachträglich dazu malen. Das zeigt, wie selbstverständlich diese Sprache bereits für sie geworden ist. (Oder wie schlecht der Unterricht in der Schule war.) Dabei spricht Yelena nicht nur Hochdeutsch, sondern auch Dialekt.

Sprachenlernen auf den Füßen

Yelena ist ein alter Hase im Sprachenlernen. Sie weiß, dass man sich mit einer Sprache intensiv auseinandersetzen muss, um sie zu lernen. Doch in der Praxis sieht ihr Zugang zu neuen Sprachen ganz anders aus. Sie lernt mit Untertiteln im Fernsehen, Lernapps unterwegs und Musik. Das schult ihre Ohren und liefert ihr authentisches Sprachmaterial, mit dem das Lernen so richtig Spaß macht.

Auch im Privatleben geht es mehrsprachig zu. Yelenas Partner ist nämlich gebürtiger Tiroler. Ihre Gespräche verlaufen irgendwo zwischen Hochdeutsch, Englisch und Dialekt. Was Yelena große Freude bereitet, ist das Ausdenken von eigenen Dialektwörtern.

Tirolerisch existiert für Yelena nur „von Mund zu Mund“. Sie hat den Dialekt nur übers Sprechen gelernt und nie aufgeschrieben gesehen. Doch mit der Zeit hat sie sich an den Klang gewöhnt und kann mittlerweile sogar ihre Tiroler Zahnärztin verstehen.

Deutsch ist nicht gleich Deutsch

In Österreich werden nicht nur unzählige verschiedene Dialekte gesprochen. Auch die Hochsprache unterscheidet sich mehr oder weniger stark vom bundesdeutschen Standard. Der Unterschied im Sprachgebrauch ist hierzulande allgegenwärtig und wird durch das Satellitenfernsehen, das Internet und Sprachlehrbücher verstärkt, in denen ein anderer Standard als in Österreich vorgezeigt und vorgelebt wird. Auch Sprachlerner*innen wie Yelena fällt dieser Unterschied sehr rasch auf.

Besonders deutlich hört Yelena die fehlende Aspiration. Unter Aspiration versteht man in der Phonetik das behauchte Aussprechen eines Lautes. In der deutschen Standardaussprache können drei Laute behaucht ausgesprochen werden. Nämlich die stimmlosen Plosive p, t und k. In Österreich werden diese Laute tendenziell schwächer aspiriert. Das führt dazu, dass nicht so viel Kraft in der Stimme liegt. Häufig verschwimmt sogar der Unterschied zu den jeweiligen stimmhaften Plosiven, also b, d und g. In den mittelbairischen Dialekten, wie zum Beispiel dem Wienerischen, unterscheiden wir oft nicht zwischen einem Koffer oder einem Kuchen, wenn wir etwas backen wollen: Koffer packen, Kuchen backen ist für uns ein und dasselbe.

Diese Konsonantenschwächung lässt die deutsche Sprache in Österreich für viele Ohren weicher klingen als die deutsche Sprache weiter im Norden. Aufgrund dieser und anderer Unterschiede wird das österreichische Deutsch, egal ob es sich um die Standardsprache oder eine der vielen regionalen Varietäten handelt, von Lai*innen häufig als Dialekt oder als rückständige Sprache eingestuft. Auf der anderen Seite wird es aber auch für sympathischer, höflicher und melodischer gehalten. Diese Melodie in der österreichischen Sprache erleichtert Yelena das Deutschlernen.

Am Ende unseres Gesprächs bitte ich Yelena, mir zu erklären, was Mehrsprachigkeit für sie bedeutet.

Mehrsprachigkeit ist die Kraft des Ausdrucks. Sprachen haben auch Persönlichkeiten. Und wenn ich unterschiedliche Sprache spreche, habe ich unterschiedliche Persönlichkeiten. Mehrsprachigkeit bedeutet für mich, all diese Persönlichkeiten zu erleben und zu genießen.

Liebe Yelena, vielen Dank für diesen Einblick in dein Leben voller Sprachen. Ich freue mich sehr, dass Deutsch für dich bereits so selbstverständlich geworden ist, dass du ganz vergisst, dass du es sprichst.

Das ganze Interview hört ihr in der siebten Episode von Wissen schafft Sprache.

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Sprachenportraits

Hier findet ihr Yelena im Internet: