Fehlerkultur.

Weil es gibt keine Grammatikfehler

Wir Menschen sind unverbesserliche Besserwisser*innen. Stimmt’s oder hab ich recht? Wenn andere Fehler beim Sprechen machen, werden wir schnell zur Grammatikpolizei. Doch vielleicht urteilen wir zu rasch? Schauen wir uns die Sache also etwas genauer an.

Die Grammatikpolizei

Sehen wir uns einmal die folgenden Beispiele an:

    • Der Helga ihr neuer Freund ist so naiv!
    • Les halt mehr Bücher, du Hirni!
    • Ich bin halt einfach schlauer als wie du!

Hände hoch, wer hier mindestens drei Fehler entdeckt hat. 

Nehmen wir noch einen Satz:

Der Hund hat die Weihnachtskekse gefressen, weil der Zucker klebt noch in seinem Fell. 

Was ist hier passiert? Klar. Der Hund hat die Weihnachtskekse gefressen und jetzt klebt ihm natürlich noch der Zucker im Fell.

Doch was, wenn ich jetzt sagen würde, dass wir eigentlich das Wort klebt ganz woanders hin stellen müssten? Müssten wir nicht eigentlich sagen: weil ihm der Zucker noch im Fell klebt?

Eigentlich ja. Und dann auch wieder nicht.

Aber dazu kommen wir noch.

Bei Sprachkritiker Bastian Sick handelt es sich bei dieser Konstruktion um eine ganz besonders lästige Modeerscheinung. Sie deute auf Sprachfaulheit der Deutschsprecher*innen hin. Für ihn sind Nebensätze, die mit einem Verb beginnen, anstatt mit einem Verb zu enden  — in unserem Fall also der weil-Satz mit dem Zucker im Fell — grammatikwidrig und würden sich wie Parasiten, wie eine Krankheitungehindert in der gesamten Sprachgemeinschaft ausbreiten. In seiner Kolumne für den Spiegel schreibt er:

„Es ist eine neue Entwicklung, die mit den Regeln der Grammatik bricht. Und wenn sie sich weiter so ungehemmt ausbreitet, steht zu befürchten, dass sich die Grammatikwerke dem irgendwann anpassen.“

Diese Befürchtung treibt auch die Hamburger Aktionsgemeinschaft Rettet den Kausalsatz um. Mitte der 90er-Jahre wollte sie der Kombination weil plus Hauptsatz „den Garaus machen.“

Dabei sind Sätze wie weil der Zucker klebt noch in seinem Fell nicht nur nicht falsch, Angst vor einer Änderung der Grammatikwerke braucht man im Grunde auch nicht zu haben. Die erfolgt ohnehin und immerzu. Denn Grammatikschreiber*innen arbeiten deskriptiv, nicht präskriptiv. Ihre Aufgabe ist es, sprachlichen Gebrauch abzubilden, nicht Regeln aufzustellen.

Wenn sich also weil mit Hauptsatz durchsetzen sollte, dann, ja, wird das irgendwann im Grammatikbuch stehen. Doch wird es in Zukunft wirklich nur noch ausschließlich weil mit Hauptsatz geben? Weil wir beim Sprechen zu faul oder blöd sind, es „richtig“ zu machen?

Der Wissenschaft ist dieses Phänomen durchaus bekannt. Allerdings fragt man hier nicht nach der formalen Richtigkeit solcher Konstruktionen. Der Sprachwissenschaft ist normative Sprachkritik à la Bastian Sick ziemlich schnuppe. Die wirklich spannenden Fragen, die es gilt zu diskutieren, haben damit zu tun, warum Sprecher*innen weil-Sätze ohne Verbendstellung überhaupt verwenden.

Und genau das wollen auch wir uns heute anschauen. Aber alles der Reihe nach. Zuerst noch ein paar Grammatikbegriffe, die in diesem Beitrag wichtig sein werden.

Sonderbare Wortstellung

Beginnen wir mit den deutschen Nebensätzen. Die deutsche Sprache hat eine — sagen wir — sonderbare Eigenschaft. Einen Spleen gewissermaßen. Die typische Wortreihenfolge in einem deutschen Satz ist S-V-O. Zuerst kommt das Subjekt, dann das Verb, dann das Objekt. Der Hund frisst die Kekse.

Diese Regel gilt jedoch nur für deutsche Hauptsätze. In einem Satzgefüge — einer Kombination aus mindestens einem Haupt- und Nebensatz — sieht die Sache anders aus. Im deutschen Nebensatz lautet die typische Wortreihenfolge nämlich S-O-V. Also Subjekt, Objekt und dann erst Verb. Das nennen wir in der Wissenschaft Verbendstellung.

Diese spezifische Wortstellung ist in den Sprachen der Welt absolut nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist lediglich die Tatsache, dass Deutsch zwei unterschiedliche Wortreihenfolgen miteinander kombiniert.

Für deutsche Muttersprachler*innen ist diese Kombination aber normalerweise kein Problem. Wir haben uns diesen Wechsel quasi von klein auf antrainiert. Sogar Kleinkinder, die mit Deutsch aufwachsen, produzieren ihre ersten Zweiwortsätze nach diesem Muster. Während ein englischsprachiges Kind feed doggie (also: füttern Hund) sagen würde, sagt ein deutschsprachiges Kind Hund füttern.

Doch dann kommen Sätze wie weil der Zucker klebt noch in seinem Fell und lässt unsere Alarmglocken läuten. Folgt auf weil nicht eigentlich ein Nebensatz? Und kommt im Nebensatz nicht eigentlich das Verb ans Ende?

Ja, ja, eigentlich. Wenn da nicht hinter dem kleinen Wörtchen weil ein bisschen mehr stecken würde, als bislang in den Grammatikbüchern steht.

Das Problem mit dem weil

Das Wort weil leitet im Deutschen für gewöhnlich einen sogenannten Kausalsatz ein. Das war unsere zweite Frage. Kausal bedeutet so viel wie begründend. Ein Kausalsatz ist also ein Begründungssatz. Es handelt sich um einen Nebensatz, in den wir den Grund für einen Sachverhalt im Hauptsatz packen.

Wenn ich also sage: Ich muss den Hund baden, weil sein Fell voller Zucker ist, dann ist der Zucker im Fell eben genau der Grund dafür, dass ich den Hund baden muss.

Deutsche Nebensätze haben zudem noch die praktische Eigenschaft, verschiebbar zu sein. Haupt- und Nebensatz können also beliebig angeordnet werden.

Weil sein Fell voller Zucker ist, muss ich den Hund jetzt baden. Passt auch.

Doch genau hier müssen wir noch ein bisschen genauer hinsehen. Sehen wir uns noch einmal unser ursprüngliches Beispiel an:

Der Hund hat die Weihnachtskekse gegessen, weil der Zucker klebt noch in seinem Fell.

Versuchen wir auch hier die Verschiebeprobe zu machen:

Weil der Zucker klebt noch in seinem Fell, hat der Hund die Weihnachtskekse gegessen.

Ganz klarer Fall: Das geht nicht. Was soll das überhaupt bedeuten? Nicht nur hat der vermeintliche und vermeintlich falsch konstruierte Nebensatz das Verb an der falschen Position, er lässt sich auch nicht verschieben!

Da stellt sich natürlich die Frage: Handelt es sich hier eigentlich um einen Nebensatz?

Die kurze Antwort ist nein. Die lange viel zu lang für diesen Podcast und zudem noch nicht einmal eindeutig geklärt. Doch soviel können wir heute schon einmal festhalten.

Weil ist nicht gleich weil

Weil kann sowohl in Neben- als auch in Hauptsätzen auftreten. Und beide Varianten erfüllen unterschiedliche Funktionen in der Kommunikation. Beide liefern Begründungen, jedoch auf unterschiedlichen Ebenen:

  • Weil mit Nebensatz begründet innerhalb einer Aussage. Ich muss den Hund baden, weil sein Fell voller Zucker ist. Alles voller Zucker! Deswegen: ab unter die Dusche!
  • Weil mit Hauptsatz begründet eine Behauptung. Es begründet, warum ich etwas behaupten kann. Der Hund hat die Weihnachtskekse gefressen, weil der Zucker klebt noch in seinem Fell. Ich weiß also, dass er die Kekse gefressen hat, weil ich sehen kann, dass der Zucker noch in seinem Fell klebt. Der Zucker im Fell ist also der Beweis dafür, dass ich recht habe. Und das wollen wir doch alle, recht haben, oder?

In einem anderen Beispiel hört man diesen Unterschied noch etwas besser.

  1. Die Oma geht gleich mit dem Hund spazieren, weil er schon ganz zappelig ist.
  2. Die Oma geht gleich mit dem Hund spazieren, weil er ist schon ganz zappelig. 

Im ersten Satz (1) ist das Zappeligsein der Grund für den Spaziergang. Der Hund ist vor lauter Zucker im Blut ganz zappelig, deswegen geht die Oma jetzt mit ihm eine Runde in den Wald.

Im zweiten Satz (2) ist es genau umgekehrt. Hier hat die Oma beschlossen, sie muss mal kurz an die frische Luft und der Hund zappelt jetzt aus Vorfreude. Denn er sieht, dass die Oma sich schon die Schuhe anzieht und weiß, dass er wahrscheinlich mitgehen darf. Ich wähle also hier die Verbzweitstellung, weil ich aus dem Zappeln des Hundes ableiten kann, dass die Oma gleich spazieren gehen wird.

Wir sehen also, sowohl weil mit Nebensatz, als auch weil mit Hauptsatz sind hier möglich und richtig. Der Unterschied liegt hier einzig und allein in der Bedeutung der beiden Sätze.

Der Grammatik einen Schritt voraus

Die Verbzweitstellung bei weil-Sätzen ist also gar keine Bedrohung für die gute alte deutsche Grammatik. Im Gegenteil: Die unterschiedliche Verbstellung in weil-Sätzen verschafft uns sogar mehr Ausdrucksmöglichkeiten. Durch die Variation in der Grammatik können wir dem, was wir sagen, also sogar noch mehr Bedeutung verleihen. Das Verb mal hier. Das Verb mal da. Und schon transportieren wir eine komplett neue Message. Das hat nichts mit Faulheit oder fehlendem Grammatikwissen zu tun.

Wenn sich mit dem Anprangern von vermeintlich falschem Sprachgebrauch populärwissenschaftliche Bücher in großer Auflage verkaufen können und zur Rettung bestimmter grammatischer Strukturen ganze Aktionsgemeinschaften gegründet werden, können wir davon ausgehen, dass es sehr viele Menschen geben muss, die diese sogenannten „Fehler“ machen. Ihr Sprachgebrauch kommt also nicht von ungefähr, er hat ziemlich sicher seinen Sinn.

In der Sprachwissenschaft gilt das als Grammatik, was Muttersprachler*innen sagen.

Demnach sind auch Konstruktionen, die noch nicht in den Regelwerken stehen, „korrektes Deutsch“. Denn egal was wir sagen, wir sagen es immer mit System. Auch wenn wir dieses System nicht immer erklären können. Grammatikregeln entstehen also immer in der Sprachgemeinschaft selbst und werden dann erst im Anschluss von Expert*innen beschrieben.

Also glaubt niemandem, der behauptet, deutsche Nebensätze würden aussterben. Weil — das ist so einfach nicht richtig. Wir sind hier den Grammatikschreiber*innen einfach einen Schritt voraus.