Sprache und Denken.

Wie untersucht man den Zusammenhang von Sprache und Denken?

Die Debatte zum Verhältnis zwischen Sprache und Denken wurde lange Zeit sehr emotional geführt. Heute wissen wir zumindest eines: Die Sache ist nicht so einfach. Sprache ist nicht gleich Denken. Der sprachliche Determinismus wird heute von den allermeisten Forschenden abgelehnt. Doch das Interesse am sprachlichen Relativitätsprinzip hat seit den 1990er Jahren mit neuen Ansätzen wieder zugenommen. In diesem Beitrag sehen wir uns an, wie der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken empirisch untersucht werden kann.

Jüngste kognitionspsychologische Befunde deuten darauf hin, dass sprachliche Kognition durchaus eng mit der nicht-sprachlichen Kognition verknüpft ist. Sprache wird also häufig nicht mehr als eigenständiges Modul im Gehirn untersucht, das komplett losgelöst und separat von anderen kognitiven Prozessen arbeitet. Uneinig ist man sich lediglich darin, auf welche Art und Weise Sprache in die kognitive Struktur eingebettet ist.

Auch die Fragestellungen sind sehr viel differenzierter geworden. Anstatt nach dem Einfluss der Sprache auf das Denken zu suchen, fragt man zum Beispiel nach der Rolle von Sprache bei der Lösung nichtsprachlicher Aufgaben. Besonders in den Bereichen Farben, Zahlen, Raum und Zeit wird aktuell sehr viel geforscht, häufig mit psycholinguistischen oder kognitionswissenschaftlichen Verfahren. Doch nicht immer sich die empirischen Befunde dieser Experimente eindeutig.

Thinking for speaking

In einem Experiment aus dem Jahr 2008 ließ man englische und griechische Muttersprachler*innen Bewegungen beobachten, um herauszufinden, ob die englischsprachigen Proband*innen auf andere Komponenten während einer Bewegung achten als die griechischsprachigen. Diese Hypothese lag nahe, denn im Englischen drücken Bewegungsverben meist die Bewegungsart aus (slide, walk) und nur selten die Bewegungsrichtung (approach). Im Griechischen ist es genau anders herum.

Man hat also die Augenbewegungen der Proband*innen aufgezeichnet und festgestellt, dass die griechischsprachigen Teilnehmer*innen tatsächlich stärker auf die Richtung einer Bewegung achteten als die englischsprachigen. Dieser Unterschied war allerdings nur dann messbar, wenn den Teilnehmer*innen zuvor gesagt wurde, dass sie die Bewegungen im Anschluss beschreiben, also in Worte fassen sollen.

Diesen kurzfristigen Effekt sprachlicher Prozesse auf nicht-sprachliche Prozesse nennt man “thinking for speaking”. Wenn wir uns also während einer Aufgabe darauf vorbereiten, etwas verbal zu beschreiben, mischt sich unsere Sprache, unsere Muttersprache, quasi in den kognitiven Bearbeitungsprozess ein. Dieser Effekt scheint sehr häufig aufzutreten, ist also vollkommen normal. Bei Studien, die den Einfluss von Sprache darauf, wie wir unsere Welt wahrnehmen, messen wollen, sollte er aber vermieden oder zumindest mit eingerechnet werden.

Langfristigere Effekte einer konkreten Muttersprache konnten zum Beispiel in Studien nachgewiesen werden, die die Art und Weise untersuchen, wie Menschen unterschiedlicher Sprach- und Kulturgemeinschaften räumliche Verhältnisse beschreiben.

Orientierung im Raum

In Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Niederländisch beschreiben wir die Position von Objekten oder anderen Personen im Raum meist, indem wir ihre Position im Verhältnis zu unserer eigenen Position beschreiben, also egozentrisch, oder zumindest im Verhältnis zu anderen Personen oder Objekten, also intrinsisch. (“Das Buch liegt vor mir.” oder “Die Schule befindet sich neben dem Bahnhof.”) Eine Sprache wie das mexikanische Tzeltal allerdings orientiert sich in erster Linie an absoluten Reeferenzpunkten, wie Himmelsrichtungen (“Der Ball rollt nach Osten.”).

In einem bekannten Experiment mit Sprecher*innen des Niederländischen und des Tzeltal wurden Proband*innen dieser beiden Sprachen gebeten, die Reihenfolge von drei Objekten auf einem Tisch nachzulegen. Sie durften sich die Objekte ansehen, wurden danach einmal um 180° gedreht und mussten die Objekte (nennen wir sie A, B und C) dann auf einem anderen Tisch in der “richtigen” Reihenfolge wieder auflegen. Während die Niederländer*innen die Objekte wieder von — aus ihrer Sicht — links nach rechts auflegten: A, B, C, kehrten die Tzeltal-Sprecher*innen die Reihenfolge der Objekte um, legten also von links nach rechts aus ihrer Sicht: C, B, A.  Dieses Ergebnis war zu erwarten: Die niederländischen Proband*innen wandten einen egozentrischen Referenzrahmen an, die mexikanischen Proband*innen einen absoluten, orientierten sich also an den Himmelsrichtungen.

Als das Experiment 2002 von einem anderen Forschungsteam wiederholt wurde, konnte jedoch gezeigt werden, dass die Muttersprache die Wahl des Referenzsystems nicht ganz so stark determiniert, wie die Ergebnisse des ersten Experiments glauben ließen. Nach kleinen Änderungen im Versuchsaufbau fingen die Studienteilnehmer*innen nämlich an, vermehrt auch den jeweils unüblicheren Referenzrahmen bei der Bearbeitung der Aufgabe zu verwenden.

Die Ergebnisse dieses Folgeexperiments legen also nahe, dass unsere Muttersprache zwar nicht bestimmt, wie wir den Raum und die Objekte in diesem Raum um uns herum wahrnehmen können oder nicht können. Aber es scheint doch so zu sein, dass die sprachlichen Unterscheidungen, die wir aufgrund unserer langjährigen Erfahrung als Sprecher*innen eben dieser Sprache gemacht haben (etwa Nord versus Süd, oder links versus rechts), deutlicher in den Vordergrund treten als andere. Und wir dadurch bei nicht-sprachlichen Aufgaben auch bevorzugt auf genau diese Unterscheidungen zurückgreifen. Was aber eben nicht bedeutet, dass wir es nicht auch anders könnten, wenn wir anders müssten.

Visuelle Kategorisierung

Interessante Befunde liefern auch Studien zur visuellen Kategorisierung von Objekten. In einer Arbeit von 2007 mussten Versuchspersonen in mehreren Durchgängen künstliche Objekte in zwei Kategorien sortieren. Während die eine Hälfte der Teilnehmer*innen nach jedem Durchgang nur eine Information darüber erhielten, ob ihre Zuordnung richtig oder falsch war, erhielt die andere Hälfte der Teilnehmer*innen zusätzlich auch einen Namen, ein sogenanntes label, für die jeweilige Kategorie. Dabei handelte es sich um Fantasiewörter wie leebish oder grecious. Sie halfen den Teilnehmer*innen also nicht bei der Bewältigung der Aufgabe. Nun stellte sich aber heraus, dass die Label-Gruppe beim Kategorisieren trotzdem besser abschnitt  — also mehr Treffer in kürzerer Zeit hatte — als die ohne-Label-Gruppe.

Die Forschenden schließen daraus, dass sprachliche Information — auch wenn sie unsinnig ist — offensichtlich eine unterstützende Funktion hat, wenn es darum geht, Dinge in Kategorien einzuteilen. Wir sehen: Neben spontanen Effekten dürfte Sprache also unter gewissen Umständen also durchaus auch nicht-sprachliche Denkprozesse in unserem Gehirn unterstützen.

Fazit

In der wissenschaftlichen Literatur herrscht heute also ein gewisser Konsens darüber, dass Sprache einen Einfluss auf unser Denken hat.

Bestimmt – also eingeschränkt — wird unser Denken von Sprache allerdings nicht. Weder von unserer Muttersprache noch von unserer Sprachfähigkeit an sich.

Trotzdem sieht es so aus, als würde Sprache unsere Sicht auf die Welt einrahmen, wie ein Bilderrahmen. Uns das viel deutlicher wahrnehmen lassen, was in diesen Rahmen passt. Doch das ist eigentlich schon wieder eine ganz andere Frage, und die müssen wir wohl ein andermal beantworten.

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