Heute unterhalte ich mich mit Raluca. Sie spricht vier Sprachen und kann weitere verstehen. Im Interview erzählt sie mir davon, wie sie diese Sprachen gelernt hat und was es für sie bedeutet, mehrsprachig zu sein.

Heute unterhalte ich mich mit Raluca. Sie spricht vier Sprachen und kann weitere verstehen. Im Interview erzählt sie mir davon, wie sie diese Sprachen gelernt hat und was es für sie bedeutet, mehrsprachig zu sein.

Raluca ist meine erste Gästin hier im Podcast. Ich habe sie gebeten, mir ihre Sprachbiographie zu erzählen. Eine Sprachbiographie ist genau das: All die Stationen der Lebensgeschichte eines Menschen, die in irgendeiner Weise mit Sprache zu tun haben. Mich interessiert, wie Menschen Sprachen lernen, welche Rolle diese Sprachen in ihrem Leben spielen und welche Sprachen in der Zukunft eine Rolle in ihrem Leben spielen sollen.

Als Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich Raluca gebeten, ein Sprachenportait von sich zu zeichnen. Mit verschiedenen Farben hat sie also all ihre Sprachen in eine Körpersilhouette gemalt, die ich ihr gegeben habe. Sprachenportraits werden bereits seit vielen Jahren in der sprachbiographischen Arbeit eingesetzt. Mit dieser Methode wird ein ganzheitlicher Blick auf individuelle Sprachrepertoires ermöglicht.

Durch das Aufzeichnen können wir unser Spracherleben als Sprecher*innen reflektieren und Mehrsprachigkeit in uns selbst und als Teil einer ebenso mehrsprachigen Gesellschaft sichtbar machen.

Ralucas Sprachbiographie

Raluca stammt aus Rumänien, ist aber aufgrund ihrer Migrationsgeschichte mit Deutsch aufgewachsen. Die Sprache ihrer Mutter hat sie sich erst wieder mühsam zurück erkämpfen müssen. Schlecht informierte Erziehungsratschläge, therapeutische Interventionen, der Abstand zu vielen rumänischsprachigen Familienmitgliedern und das Gefühl, in Rumänisch nicht ernst genommen zu werden – all das hat ihr in der Vergangenheit den Zugang zur Sprache erschwert. Heute möchte sie das ändern.

Seit ihrem dritten Lebensjahr lebt Raluca in Deutschland. Zu Hause spricht sie mit ihrer Familie (fast) nur Deutsch, weil man ihrer Mutter damals empfohlen hat, auch im Privatleben die Mehrheitssprache zu verwenden. In der Schule lernt sie Englisch und Französisch als Fremdsprachen. Während sie ohne Probleme Englisch spricht, tut sie sich mit der französischen Sprache noch schwer, weil sie die Verwandtschaft zum Rumänischen noch nicht erkennt. Die Brücke zum Rumänischen kann Raluca erst mit einer anderen romanischen Sprache schlagen: Italienisch. Diese Sprache verbindet sie mit ihrem rumänischen Vater, der in Italien lebt.

Nach der Schule beginnt Raluca ein Studium in der Fächerkombination Französisch—Italienisch. Sie plant einen Auslandsaufenthalt in Frankreich, muss diesen aber aus persönlichen Gründen abbrechen. Ihre Beziehung zur französischen Sprache leidet darunter. Zurück an der Uni zu Hause wechselt sie von der Sprachkombination auf Sprachwissenschaft. Anfang 2020 beginnt Raluca ein Auslandssemester in Padua (Italien) — mitten im weltweiten Chaos der Coronapandemie. Italien hat es damals besonders stark getroffen. Gemeinsam mit ihrer bolivianischen Mitbewohnerin bleibt Raluca die ersten drei bis vier Monate in ihrer WG. Da ihre Mitbewohnerin aber kaum Italienisch spricht, sucht Raluca andere Wege, um mit der italienischen Sprache in Kontakt zu kommen. Die Freundschaften die sie damals geknüpft hat, halten zum Teil bis heute.

Das Leben zwischen Deutsch und Rumänisch ist aber nicht immer leicht. Der Einbürgerungsprozess in Deutschland vor ein paar Jahren war für Raluca lang und langwierig. Sie hat die Einbürgerung als regelrechten Kampf empfunden, der sie emotional noch weiter vom Rumänischen entfernt hat. Aktuell braucht Raluca wieder den Kontakt zur rumänischen Sprache und Kultur. Sie erzählt, dass sie bisher nur ein paar Mal in Rumänien war. Diesen Frühling war sie zum ersten Mal seit langem in der Hauptstadt Bukarest. Dort konnte sie sogar Verwandte treffen und ihre Verbindung zu Land und Sprache stärken. Sogar Grammatik möchte sie üben.

Raluca spricht Rumänisch, Deutsch, Englisch und Italienisch und kann andere romanische Sprachen zumindest verstehen. Das soll aber nicht alles bleiben. Ich habe sie gefragt, welche Sprachen sie in Zukunft noch gerne lernen möchte. Am liebsten würde sie gerne Norwegisch lernen, weil sie als Kind kurz dort gewohnt hat, bevor sie nach Deutschland gekommen ist. Auch für das irische Gälisch kann sie sich begeistern. Oder Arabisch oder Farsi. Raluca braucht bestimmt bald noch viel mehr Farben für ihr Sprachenportrait.

Mehrsprachigkeit gehört einfach dazu

Ralucas Sprachbiographie zeigt sehr eindringlich: Mehrsprachigkeit hat wenig damit zu tun, wie wir aussehen oder wie wir klingen. Raluca klingt wie eine Deutsche aus dem Ruhrpott. Ihr Leben erzählt jedoch eine andere Geschichte. Für Menschen wie Raluca ist Mehrsprachigkeit gegeben. Nicht besonders oder anders. Sie gehört zu ihrem Leben einfach dazu.

Als ich sie danach frage, was Mehrsprachigkeit für sie bedeutet, ist sie sich zunächst nicht sicher, ob sie sich gut genug ausdrücken kann. Und dann hat sie es trotzdem für uns versucht.

Mit jeder Sprache lerne ich noch einmal anders über unsere Welt, unser Denken oder uns selbst zu denken. Die Wahrnehmung verändert sich. […] Es gibt auch andere Perspektiven. […] Das macht einfach neugierig auf Sprache. […] Je mehr Sprachen wir können, desto mehr sehen wir die Welt auch in verschiedenen Farben.

Liebe Raluca, das hast du sehr schön ausgedrückt. Vielen Dank für deine Geschichte und dass du uns an deiner Sprachbiographie hast teilhaben lassen. Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft und noch viele bunte Flecken auf deinem Sprachenportrait.  

Das ganze Interview hört ihr in der dritten Folge der dritten Staffel von Wissen schafft Sprache.

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Sprachenportraits

Hier findet ihr Raluca im Internet: