Pst! Kleines Linguistinnengeheimnis: Sprache zu definieren ist unheimlich schwierig. Der Grund dafür: weil sie immer viele Dinge gleichzeitig ist. Auf zwei davon möchte ich in diesem Artikel etwas genauer eingehen: 1. Sprache als System und 2. Sprache als Handlung. Dabei werden wir auch herausfinden, dass in einem Sprachsystem gesellschaftliche (Un-)Verhältnisse gespeichert sind und was das genau mit dem Spruch “Sprache schafft Wirklichkeit” zu tun hat.*

“Ist doch bloß Sprache”

Wie oft hast du diese Aussage schon gehört? (Ich auch.) Doch die Sache ist: Sprache ist nicht unschuldig. Sie dient nicht einfach nur der Weitergabe von Informationen, sondern vermittelt auch Werte, Normen und Weltanschauungen. Da Sprache immer auch Teil gesellschaftlicher Institutionen und Verhältnisse ist (z. B. in Gesetzestexten oder als Unterrichtssprache), bildet sie nicht nur Realität ab, sondern schafft auch Wirklichkeit.

Jedes Sprechen, Schreiben oder Gebärden ist immer auch eine (machtvolle) Handlung.

Daher ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Sprache wichtig. Das gilt vor allem beim Kommunizieren mit und über andere(n) Menschen.

Grundsätzlich lässt sich Sprache auf zwei Arten betrachten: als Kommunikationssystem und als Handlung. Beide Perspektiven sind grundlegend für das Verständnis und die Gestaltung eines inklusiven Sprachgebrauchs. Um diese Konzepte zu beleuchten, betrachten wir zuerst, wie Sprache als System strukturiert ist, und danach wie sie als aktive Handlung in sozialen Interaktionen verwendet wird.

Sprache als Kommunikationssystem

Sprache als System umfasst die Regeln und Strukturen, die es uns ermöglichen, Gedanken und Informationen zu codieren, weiterzugeben und zu verstehen. Diese systematischen Ebenen umfassen Morphologie, Syntax (also das, was wir im Alltag gemeinhin als Grammatik bezeichnen), Phonologie und Graphie sowie zum Teil der Wortschatz (in der Linguistik als Lexik bzw. Semantik bezeichnet). Hier ist festgelegt, welche Begriffe in einer Sprache existieren und wie sie sich formal zusammensetzen und wie sie miteinander in Beziehung stehen.

In der Sprachwissenschaft wird häufig das sogenannte Zwiebelmodell verwendet, um diese Ebenen zu veranschaulichen:

Wenn es um inklusive Sprache geht, ist hier vor allem eines besonders wichtig: Sprachwandel findet in allen Sprachschichten statt, nur eben unterschiedlich schnell. Während die äußeren Sprachschichten in regem Austausch mit Kultur, Sprachpolitik, anderen Sprachen und Gesellschaft stehen, kommt die außersprachliche Wirklichkeit nur schwer an den “harten Kern” einer Sprache heran.

Sprache wird oft als ein geschlossenes, unveränderliches System wahrgenommen, das eindeutige und überzeitliche Bedeutungen und Zusammenhänge erzeugt. Dabei zeigt das Zwiebelmodell aber vor allem auch die Grenzen von Sprache, da festgelegte Begriffe und grammatische Strukturen die Realität aufgrund ihrer Trägheit manchmal nur eingeschränkt oder verzerrt abbilden.

Ein Beispiel hierfür ist das Genussystem. Vielen Sprachen teilen Hauptwörtern in unterschiedliche Gruppen ein. Im Deutschen etwa gibt es das Maskulinum (”der Löffel”), das Femininum (”die Gabel”) und das Neutrum (”das Messer”). Bei Personenbezeichnungen, die ebenfalls zu den Hauptwörtern zählen, werden Bezeichnungen, die sich auf Männer beziehen (”der Lehrer”) dem Maskulin zugeordnet, Bezeichnungen, die sich auf Frauen beziehen (”die Lehrerin”) dem Femininum. Hier sind grammatisches Genus und persönliches Geschlecht also miteinander verschränkt. Das führt zu zwei semantischen Verzerrungen:

Erstens: Mit dieser Zweiteilung spiegelt das Deutsche ein binäres Geschlechterverhältnis wider. Eine konsistente und offizielle Regelung für nicht-binäre Menschen gibt es bislang noch nicht. Hier weist die deutsche Sprache also einen blinden Fleck auf. Das Fehlen verbindlicher Formen für nicht-binäre Personen führt dazu, dass Menschen, die sich nicht im zweigeschlechtlichen System verorten, häufig unsichtbar bleiben.

Zweitens: Sprechen wir über abstrakte Gruppenbezeichnungen (”Ein Lehrer muss geduldig sein.” oder Gruppen von Menschen (”Gestern haben die Wiener Lehrer gestreikt.”), verwenden wir im Deutschen oft automatisch die maskuline Form. In der Grammatikschreibung sowie in der öffentlichen Diskussion hat sich für dieses Phänomen der Begriff generisches Maskulinum eingebürgert. Das Problem: Da es sich um Personenbezeichnungen handelt wird die maskuline Form in diesen Beispielen von vielen Menschen als “männlich” interpretiert. (Quelle 1, Quelle 2, Quelle 3) Dies führt zu einer Überrepräsentation von Männern und einer Unterrepräsentation von Frauen und anderen Geschlechtern.

Dieser Sprachgebrauch gilt heute weitestgehend als umstritten. Sie spiegeln nicht alle Identitäten und Lebensrealitäten wider, was diese Strukturen für eine inklusive Sprache problematisch macht. Gendersensible oder genderinklusive Varianten, von LehrerInnen über Lehrer und Lehrerinnen bis hin zu Lehrer*innen, werden eingesetzt, um die ungleichen Repräsentationsverhältnisse zu verändern.

Sprache als Handlung

Sprache ist jedoch nicht nur ein System, sondern auch soziales Handeln. Wenn Menschen sprechen, handeln sie, indem sie Beziehungen prägen, Machtverhältnisse herstellen und Identitäten formen. Das bedeutet, dass jede sprachliche Äußerung das Potenzial besitzt, eine Wirkung zu erzeugen. Sprache wird hier als aktives und flexibles Werkzeug gesehen, das sich ständig verändert und durch seine Nutzer*innen neu gestaltet wird.

Ein Beispiel für sprachliches Handeln wäre eine Entschuldigung. Wenn ich sage: „Es tut mir leid“, dann reicht es nicht, dass die Worte grammatikalisch korrekt sind; es kommt darauf an, wie ich sie sage und ob mein Gegenüber sie als aufrichtig empfindet. Um eine Entschuldigung auszusprechen, muss ich also nicht nur einen grammatisch korrekten Satz bilden können, sondern auch die außersprachliche Wirklichkeit reflektieren. Ich muss mich in die andere Person hineinversetzen können, verstehen, warum ich mich entschuldigen soll, und die Art und Weise, wie ich die Entschuldigung aussprechen, oder aufschreiben, möchte, gut überlegen. Gelingt mir das alles, dient eine Entschuldigung dazu, Verantwortung zu übernehmen und den sozialen Frieden wiederherzustellen. Die Aussage ist also nicht nur eine sprachliche Form, sondern auch ein sozialer Akt mit einer konkreten Wirkung.

Ein weiteres Beispiel ist inklusive Sprache, da sie aktiv gestaltet wird, um bestimmte soziale Ziele zu erreichen: Gleichberechtigung, Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Identität oder körperlichen Merkmalen. Wenn wir inklusive Sprache nutzen, handeln wir bewusst und setzen ein Zeichen gegen Diskriminierung. Auch hier geht es nicht allein um grammatische Richtigkeit, sondern vor allem um die Wirkung, die wir durch unseren Sprachgebrauch in und auf die außersprachliche Realität haben.

In beiden Fällen zeigt sich Sprache als Handlung, weil die gesprochenen Worte eine bestimmte Reaktion hervorrufen und das Verhältnis zwischen den Gesprächspartner*innen (in der konkreten Gesprächssituation, aber auch im gesellschaftlichen Miteinander) aktiv beeinflussen können. Die Wahl zwischen „Studenten“ und „Studierende“ etwa ist nicht nur eine Frage der Grammatik, sondern auch eine Frage der sozialen Teilhabe: Mit einer neutraleren, inklusiveren Form schaffen wir sprachlich Raum für alle Geschlechter und Identitäten.

Aus dieser Perspektive wird Sprache zur sozialen Praxis, die kontextabhängig ist und stets in einem kulturellen und gesellschaftlichen Rahmen stattfindet. Wenn wir bestimmte Begriffe und Formen bewusst verwenden oder vermeiden, nehmen wir aktiv Einfluss auf soziale Wahrnehmung und Einschluss.