Sprache ist kein starres System – sie verändert sich ständig. Manche dieser Veränderungen geschehen (fast) unbemerkt, andere werden bewusst wahrgenommen und lösen Diskussionen oder sogar erbitterte Kämpfe aus. Doch warum eigentlich? Genau das wollen wir uns im heutigen Beitrag etwas genauer ansehen.

Wenn Sprache zum Schlachtfeld wird

Dass Sprache immer wieder zum Streitpunkt wird, ist weder ungewöhnlich noch neu. Die Gründe dafür sind tief verwurzelt: Sprache ist für uns selbstverständlich – wir nutzen sie täglich und fühlen uns eng mit ihr verbunden, ohne ihre Strukturen bewusst zu reflektieren. Das macht sie zu einem idealen politischen Schlagwort.

Konservative und populistische Kräfte nutzen diese emotionale Bindung gezielt aus, um gesellschaftliche Debatten über Sprache für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dabei geht es in diesen „Sprachkämpfen“ oft gar nicht um Sprache selbst, sondern um größere gesellschaftliche Konflikte, die über Sprachfragen ausgetragen werden.

Einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:

Anglizismen

In den 1990er-Jahren wurde hitzig über den Einfluss des Englischen auf das Deutsche diskutiert. Begriffe wie Job, Meeting oder downloaden galten als Bedrohung für die deutsche Sprache. Dahinter steckte aber nicht nur Sprachpurismus – sondern auch eine Angst vor Globalisierung und dem Verlust nationaler Identität.

Deutschpflicht

In den 2010er-Jahren wurden Forderungen nach einer „Deutschpflicht“ auf Schulhöfen oder in Familien mit nicht-deutscher Herkunftssprache laut. Auch hier war die Sprache nur die Stellvertreterin für breitere gesellschaftliche Ängste: vor Migration sowie vor kultureller und ethnischer Vielfalt.

Gendern

In der aktuellen Debatte um geschlechtergerechte Sprache argumentieren Kritiker*innen, dass Gendermaßnahmen die Integrität und natürliche Gewachsenheit der deutschen Sprache bedrohen würden. Doch auch hier geht es um mehr: Die eigentliche Auseinandersetzung dreht sich um geschlechtliche Identität, Geschlechterrollen und den Wandel gesellschaftlicher Strukturen, die über diese Geschlechterrollen aufrecht erhalten werden.

Das zentrale Argument dieser Debatten lautet immer, Sprache – ebenso wie Geschlecht, Kultur oder Nation – sei ein „natürlich“ gewachsener Organismus, der nicht von außen manipuliert werden dürfe. Ein solcher Eingriff wird in öffentlichen Diskussionen häufig als „unnatürlich“ empfunden.

Die Frage, ob Sprachveränderungen „natürlich“ sind, spielt für die Sprachwissenschaft aber keine Rolle.

Unabhängig davon, ob sprachliche Wandlungsprozesse durch interne Mechanismen – etwa wenn ein Lautwandel auch grammatische Veränderungen bedingt – oder durch äußere, gesellschaftliche Einflüsse ausgelöst werden, tragen in beiden Fällen Menschen zum Wandel bei. Ein bewusst erfundenes neues Wort ist genauso „natürlich“ wie der Umstand, dass mittelalterliche Sprecher*innen plötzlich grammatische Artikel einführten, weil sie sich von der Verwendung fester Substantivendungen lösten.

Es ist somit nicht nur eine Vereinfachung, sondern schlicht falsch, den menschlichen Einfluss auf den Sprachwandel zu ignorieren. Sprache ist in erster Linie ein soziales Phänomen, das im Gebrauch entsteht und sich kontinuierlich an veränderte Lebensbedingungen anpasst – sowohl in historischer als auch in aktueller Perspektive.

Sprache im Wandel

Sprache ist immer im Fluss. Sie verändert sich im Laufe der Zeit – ein Phänomen, das als Sprachwandel bekannt ist. Doch Sprache verändert sich nicht nur über Generationen hinweg, sondern auch je nach Kontext, in dem wir sie verwenden. Diese kurzfristige, situationsabhängige Anpassung wird als soziolinguistische Variation bezeichnet. Beide Phänomene sind entscheidend, wenn wir verstehen wollen, warum geschlechtergerechte Sprache so intensiv diskutiert wird.

Sprachwandel: Alles bleibt anders

Sprachwandel beschreibt die kontinuierliche Veränderung von Sprache über die Zeit hinweg. Dies betrifft alle sprachlichen Ebenen. Sehen wir uns dazu ein paar Beispiele an:

  • Lautwandel: Das mittelhochdeutsche Wort hūs wurde zu Haus, weil sich die Aussprache verändert hat.
  • Wortschatz: Manche Wörter verschwinden (Wählscheibe), andere entstehen (googeln), wieder andere ändern ihre Bedeutung (dumm bedeutete früher „stumm, taub“).
  • Grammatik: Früher hatten alle deutschen Substantive verschiedene Endungen (ähnlich wie im Lateinischen), diese wurden mit der Zeit durch Artikel (der, die, das) ersetzt.

Doch Sprache verändert sich nicht nur über Jahrhunderte hinweg – sie verändert sich auch in der alltäglichen Kommunikation.

Sprachliche Variation: Eine Sprache für alle(s)

Wir sprechen nicht immer gleich. Wir passen unsere Sprache ständig an den sozialen Kontext an – oft, ohne dass es uns bewusst ist. Das ist sprachliche Variation. Diese Anpassungen können auf allen sprachlichen Ebenen (Aussprache, Grammatik, Wortschatz, …) auftreten und sind von diversen Faktoren abhängig, zum Beispiel von:

  • Gesprächspartner*innen: Wer mit der Familie dialektale Varietäten wie Plattdeutsch oder Steirisch spricht, nutzt in der Schule oder im Büro meist eine Variante der deutschen Standard- oder Umgangssprache.
  • Kontext: Während Jugendliche in ihrer Peergroup Begriffe wie cringe oder digga verwenden, sprechen sie mit Lehrkräften meist formeller.
  • Medium: Die Polizeibeamtin verschriftlicht den Hergang eines Autounfalls anders, als ich ihn ihr mündlich schildere.

Kurz: Die deutsche Sprache ist kein homogenes Gebilde, sie erscheint je nach Sprechsituation in vielfältigen Formen. Diese Formen koexistieren und interagieren miteinander. Wichtig dabei ist: Wir alle beherrschen immer verschiedene Sprachformen gleichzeitig, und setzen sie im Alltag gekonnt mal so, mal so ein.

Doch warum tun wir das? Der Soziolinguist Joshua Fishman antwortet auf diese Frage mit einer weiteren Frage: „Wer spricht was und wie mit wem in welcher Sprache und unter welchen sozialen Umständen mit welchen Absichten und Konsequenzen?“ Sprechen ist eine Form sozialen Handelns. Sprechen erfolgt immer unter bestimmten sozialen Bedingungen. Erst wenn wir die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Sprachform und gesellschaftlichem Umfeld untersuchen, finden wir heraus, warum wir so sprechen, wie wir eben sprechen.

Aus dieser Perspektive erscheint die Frage nach der Informationsübertragung fast schon nebensächlich. Wenn es bei Sprache nicht nur um das offensichtliche Was geht, sondern auch um das Wer, das Wie und das Wozu, was hat dann Sprechen eigentlich für eine Funktion? Die Soziolinguistin Sali Tagliamonte (2006) bringt die Sache auf den Punkt:

„Language serves a critical purpose for its users that is just as important as the obvious one. Language is used for transmitting information from one person to another, but at the same time a speaker is using language to make statements about who she is, what her group loyalties are, how she perceives her relationship to her hearers […].“

Wir sehen: Sprache ist mehr als ein reines Kommunikationsmittel, sondern ein soziales Werkzeug. Sie zeigt, wer wir sind, mit wem wir uns identifizieren und welche Werte wir teilen. Die Verwendung eines Dialekts kann regionale Verbundenheit ausdrücken. Das Nutzen von Fachsprache signalisiert Kompetenz in einem bestimmten Bereich. Geschlechtergerechte Sprache kann zeigen, dass uns Diversität und Gleichberechtigung wichtig ist.

Und genau hier wird die öffentliche Debatte ums sogenannte Gendern den vielen Aufgaben von Sprache nicht gerecht. Sprache brauche ich nicht nur, um mich mit anderen zu verständigen — ich brauche sie auch, um mich mit anderen zu verstehen.