Warum sind Frauen in der deutschen Sprache oft unsichtbar? Sprechen wir eine Männersprache? Wenn ja, wo sind all die anderen Geschlechter? Und weil wir schon dabei sind: Ist Geschlecht nicht sowieso irgendwie überbewertet? Manche dieser Fragen lassen einfacher beantworten als andere. Das mit dem Geschlecht ist eine ganz schön komplizierte Sache. Und unsere gemeinsame Sprache macht das Ganze nicht unbedingt leichter.

Der Begriff Gender (und seine Erweiterungen wie Gendern, Gender Mainstreaming oder Genderwahn) ist in rechten Kreisen mittlerweile zur regelrechten Kampfansage gegen allerlei progressive und demokratische Werte mutiert.

Gerade deshalb ist ein geschlechterbewusster Sprachgebrauch heute wichtiger denn je. Und entgegen der landläufigen Meinung ist geschlechterbewusstes Kommunizieren gar nicht mal so schwer. In dieser Beitragsreihe verrate ich dir, worauf es bei geschlechterbewusster Kommunikation wirklich ankommt. Im Prolog zu dieser siebenteiligen Reihe geht es um die zentrale Frage: Was ist eigentlich geschlechterbewusste Kommunikation?

In sieben Schritten zu einer gerechteren Welt

Geschlechterbewusste Kommunikation ist weit mehr als ein Modewort – sie ist verantwortungsvolles Sprachhandeln, das dazu beiträgt, Gesellschaft inklusiver und gerechter zu gestalten. Wir nutzen täglich Sprache, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Wir wollen sie informieren, sie warnen, sie beschimpfen, sie etwas fragen, sie verstehen. Dabei ist es wichtig, uns der Wirkung unserer Worte bewusst zu werden.

Eine wichtige Erkenntnis in der Soziolinguistik lautet: Sprache schafft Wirklichkeit. Sie beeinflusst unser Denken und Handeln und gestaltet so unser gesellschaftliches Leben maßgeblich mit.

Das gilt nicht nur, aber ganz besonders auch für unsere Vorstellungen von und unser Sprechen über Geschlecht. Welche Menschen in Österreich aufgrund — oder trotz — ihrer geschlechtlichen Identität offen, gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können, hängt nicht von biologischen oder anderen scheinbar natürlichen Tatsachen ab, sondern wie und ob wir ihr Geschlecht sprachlich (v)erfassen.

Das Sprechen über Geschlecht(er) ist alles andere als einfach. Die meisten von uns wurden in einem Umfeld sozialisiert, in dem das dominante binäre Geschlechtermodell (die (wissenschaftliche) Einteilung diverser menschlicher Körper in genau zwei Geschlechtskategorien: „männlich“ und „weiblich“) weitestgehend unhinterfragt zur Bestätigung und Aufrechterhaltung eines sehr ungleichen Machtverhältnisses zwischen Geschlechtern und Sexualitäten eingesetzt werden konnte. In diesem Modell entspricht dann allein die (sexuelle) Beziehung zwischen Mann und Frau, in der Mann grundsätzlich als „normal“ (sprich: dominant) und die Frau als „das andere Geschlecht“ (Beauvoir, 1949) angesehen wird, der vielbeschworenen „Natur des Menschen“.

Solange wir uns nicht von dieser (hetero-)normativen Setzung lösen, bleiben Frauen, TINAs (trans*, inter*, nicht-binäre und agender Personen) und queere Menschen — selbst wenn wir sie tolerieren, akzeptieren, unterstützen, feiern — eine Abweichung vom vermeintlich cis-männlichen Ideal.

Und genau hier kommt geschlechterbewusste Kommunikation ins Spiel: Wir brauchen eine andere Sprache, um andere Vorstellungen von Geschlecht — und damit auch andere Vorstellungen gesellschaftlicher Machtverhältnisse — zu entwickeln.

Anders über Geschlecht zu sprechen geht dabei aber weit über korrekte Grammatikregeln und politisch korrekte Wortwahl hinaus. Worauf kommt es denn dann beim Sprechen über Geschlecht wirklich an? Genau das verrate ich dir in in einer siebenteiligen Artikelreihe zum Thema Geschlechterbewusste Kommunikation.

In den kommenden Wochen werde ich die zentralen Grundsätze geschlechterbewusster Kommunikation für dich zusammenfassen und dir zeigen, wie auch du deine Sprache dazu einsetzen kannst, diese Welt ein Stücken gerechter zu machen.

In diesem ersten Beitrag möchte ich zunächst die folgenden drei Fragen klären:

  • Warum verwende ich für diese Art des Sprachgebrauchs den Begriff “geschlechterbewusste Kommunikation”?
  • Ist das “Gendern” deswegen out?
  • Worauf musst du im Alltag bei geschlechterbewusster Kommunikation achten?

Aber alles der Reihe nach: Beginnen wir am besten einfach einmal mit einer Definition von geschlechterbewusster Kommunikation.

Was ist geschlechterbewusste Kommunikation?

Geschlechtergerechte Sprache, gendersensible Sprache, genderinklusive Sprache, Gendern — unser Thema hat viele Namen. Ich persönlich spreche mittlerweile gern von geschlechterbewusster Kommunikation.

In ihrem Handbuch geschlechtergerechte Sprache fassen die Linguistinnen Gabriele Diewald und Anja Steinhauer die Bestimmung von geschlechtergerechter Sprache wie folgt zusammen:

“Ziel ist es, die Ansprache und Benennung von Personen sachlich treffend (korrekt und eindeutig) und interpersonell angemessen (höf‌lich und nicht diskriminierend) zu gestalten.” (Diewald & Steinhauer 2022)

Diese Definition gefällt mir aus zwei Gründen besonders gut: Die Autorinnen unterstreichen zum einen, dass jede Form der Kommunikation immer (zumindest) eine Informations- (”sachlich treffend”) und eine Beziehungsebene (”interpersonell angemessen”) hat. Zum anderen legen sie sich nicht auf einen bestimmten Anwendungsbereich fest (z. B. Frauen). Die Definition fügt sich daher problemlos in gesellschaftliche und theoretische (Weiter-)Entwicklungen im Geschlechterdiskurs ein.

Nun stellt sich die Frage: Warum brauchen wir einen neuen Begriff für etwas, wofür sich eigentlich eh eine gute Definition finden lässt?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen kurzen Blick in die Geschichte werfen. Denn wir haben es hier nicht mit einem neumodischen “Genderwahn” zu tun.

Vom sexistischen Sprachgebrauch, über den Genderwahn zu geschlechterbewusster Kommunikation

Die Bemühungen um geschlechtersensiblen Sprachgebrauch sind weit älter als politische Schlagwörter wie “woke” oder “links-grün versifft”. Die Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache im deutschsprachigen Raum haben ihre Wurzeln in der feministischen Sprachkritik der 1970er und 1980er Jahre. Pionierinnen wie Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch stellten die traditionelle, patriarchal geprägte Sprachpraxis grundsätzlich infrage. Sie kritisierten in erster Linie, dass der generische Gebrauch maskuliner Formen zur Unsichtbar- und Ungleichmachung von Frauen beiträgt. Die Anstrengungen richteten sich zunächst also darauf, sexistische Ausdrücke und stereotype Rollenbilder zu vermeiden, etwa durch das Ersetzen oder Ergänzen maskuliner Formen.

Gleichzeitig wurden in diesem Kontext auch schon erste Richtlinien gegen sexistischen Sprachgebrauch entwickelt, die auf einen bewussteren Umgang mit Sprache abzielten. Die Feministische Linguistik untersuchte diese sprachlichen Strukturen mit wissenschaftlichen Methoden und lieferte theoretische Fundamente, auf der die moderne Genderlinguistik auch heute noch aufbaut.

And then came the Internet. Die veränderten technologischen Kommunikationsbedingungen im sogenannten Digitalzeitalter machen trans*, inter* non-binäre und agender Menschen seit der Jahrtausendwende zunehmend sichtbar. Die Wissenschaft folgt diesen Entwicklungen — wie immer mit mal mehr, mal weniger zeitlichem Abstand: Das binäre Geschlechtermodell gilt mittlerweile sowohl aus sozial- als auch aus humanwissenschaftlicher Perspektive als überholt.

Im Laufe der Zeit erweiterte sich so auch der Diskurs zu geschlechtergerechter Sprache. Das Binnen-I (MitarbeiterInnen) und Doppelnennungen (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) reichen nicht aus, um das gesamte geschlechtliche Spektrum anzusprechen und abzubilden. Neue linguistische Elemente und Strategien wurden entwickelt, um einerseits auch nicht-binäre Identitäten sprachlich sichtbar zu machen (z. B. der Genderstern wie in Mitarbeiter*innen) und andererseits Geschlecht als quasi-heiliges Identifikationsmerkmal grundsätzlich in Frage zu stellen (z. B. durch geschlechtsneutrale Ausdrücke wie Personal).

Parallel zu diesen progressiven Ansätzen kam es auf politischer Ebene jedoch auch zu einer gezielten Aushöhlung und Instrumentalisierung des Wortes „Gender“ an sich. Rechte Akteur*innen nutzen den Begriff nicht nur, um die Einführung inklusiver Sprachformen zu blockieren, sondern auch um eine sogenannte Genderideologie im Allgemeinen zu diskreditieren.

„Genderideologie“ ist dabei als Kampfbegriff zu verstehen, der dazu verwendet wird, alle Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit pauschal abzuwerten oder lächerlich zu machen. Dabei wird ein breites Spektrum an fortschrittlichen und gesellschaftskritischen Themen und Bewegungen unter ein und demselben Begriff zusammengefasst (u. a. Gender Mainstreaming, Gender Studies, Sexualpädagogik, feministische und queere Bewegungen, geschlechtergerechte Sprache sowie alternative Familienmodelle), die nach rechts-konservativer Logik zwar alle als bedrohlich oder unnatürlich erscheinen, jedoch nicht immer in unmittelbarem Zusammenhang mit konkreten Gender-Fragen stehen.

Diese diskursiven Entwicklungen, die aktuell in sehr vielen westlichen Gesellschaften zu beobachten sind (frühe Beispiele sind hier etwa (Ost-)Europa und die USA), sind zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Grund, warum es notwendig geworden ist, über unsere eigene Wortwahl nachzudenken.

Drei Gründe für geschlechterbewusste Kommunikation

Ich spreche nicht gern von geschlechtergerechter Sprache oder dem Gendern. Stattdessen benutze ich seit einiger Zeit den Begriff geschlechterbewusste Kommunikation. Dafür habe ich drei bezeichnende Gründe: Geschlecht, Bewusstsein und Kommunikation.

Beginnen wir mit dem Geschlecht. Wenn ich über geschlechterbewusste Kommunikation rede, habe ich nicht nur Gender im Blick, das sogenannte soziale oder psychologische Geschlecht, sondern Geschlecht in all seinen Facetten. Dazu gehört u. a. auch das biologische oder anatomische Geschlecht. Das deutsche Wort „Geschlecht“ schließt für mich sowohl die soziale als auch die körperliche Dimension ein. Poststrukturalistische Theoretiker*innen wie Michel Foucault oder Judith Butler haben schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass Sprache bei der Herstellung und Wahrnehmung beider Aspekte eine zentrale Rolle spielt. Unser Sprachgebrauch entscheidet also darüber, wie wir Geschlecht verstehen und wie sichtbar unterschiedliche Geschlechtsidentitäten sind.

Machen wir weiter mit dem Wort „bewusst“. Es gibt in der Wissenschaft in jüngster Zeit die Bestrebung, die normative Aufladung zu umgehen, die Begriffe wie „gerecht“ oder „inklusiv“ häufig mit sich bringen. Kann ich es mir anmaßen, meine eigene Sprache als „inklusiv“ zu bezeichnen? Wann ist meine Sprache wirklich „gerecht“? Ich verwende diese Wörter zwar weiterhin, da sie auf zentrale demokratische Werte verweisen. Wenn es jedoch um konkreten Sprachgebrauch geht, tendiere ich immer häufiger zum Begriff “geschlechterbewusst”. Das liegt an der Funktionsweise von Sprache im Allgemeinen: Sprechen bedeutet differenzieren. Ich entscheide mich für das eine Wort und gleichzeitig gegen das andere. Sprechen ist also immer ein Akt des Ausschließen. Das kann ich nicht verhindern. Was ich aber tun kann, ist, mir dessen bewusst zu werden. Mir bewusst zu werden, dass Sprache so funktioniert, und zu versuchen, die diskriminierenden Effekte, die mein Sprechen haben kann, möglichst gering zu halten.

Und damit sind wir beim dritten Grund angelangt: Wenn ich von Kommunikation spreche, meine ich mehr als das rein Sprachliche. Geschlechterbewusste Kommunikation geht für mich über das korrekte Anwenden von diversen „Genderregeln“ hinaus. Es geht darum, in der Interaktion mit anderen Menschen eine inklusive Haltung einzunehmen, die auf Respekt, Offenheit und dem Bestreben basiert, alle Lebensrealitäten — nicht nur sprachlich — anzuerkennen.

Ist das noch Gendern, oder kann das weg?

Die Auseinandersetzung mit geschlechterbewusstem Sprachgebrauch erfordert ein Umdenken in unserer kommunikativen Praxis. Es geht nicht mehr nur darum, formale Regeln zu befolgen oder aus reiner Höflichkeit auf bestimmte Begriffe zu verzichten, sondern vielmehr darum, Sprache als ein mächtiges Instrument anzuerkennen, das gesellschaftliche Realitäten mitbestimmt. Der Erlass diverser “Gender-Verbote” im deutschsprachigen Raum zeigt nicht zuletzt, wie autoritäre Geschlechterpolitiken auf dem Rücken der (deutschen) Sprache festgeschrieben und durchgesetzt werden können.

In Zeiten, in denen eine Reihe westlicher Länder Errungenschaften feministischer und queerer Kämpfe um Gleichberechtigung rückgängig machen, wird der bewusste sprachliche Umgang mit Geschlecht und geschlechtlicher Vielfalt zu einem Akt des Widerstands. Widerstand gegen klare Angriffe auf eine demokratische Gesellschaftsgestaltung, in der heteronormative Hegemonieprojekte keinen Platz (mehr) haben.

Das gelingt uns nicht (allein) durch das Auswendiglernen von Genderregeln, sondern nur durch das kontinuierliche Hinterfragen unserer sprachlichen Beziehung zu unserer (Um-)Welt. Es ist daher unerlässlich, dass wir unsere Sprachgewohnheiten reflektieren und anpassen, um allen Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht Sichtbarkeit und Anerkennung zu verschaffen. Dies stärkt nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern setzt auch ein klares Zeichen gegen Diskriminierung und trägt aktiv zur Förderung demokratischer Werte bei.

Geschlechterbewusste Kommunikation: 5 Grundsätze

In den kommenden Blogartikeln möchte ich dir 5 zentrale Grundsätze geschlechterbewusster Kommunikation vorstellen, die dir nicht nur dabei helfen können, deine Sprache inklusiver zu gestalten, sondern auch dabei, deinen Sprachgebrauch kritisch zu reflektieren. In jedem Beitrag widme ich mich einem dieser Prinzipien im Detail und gebe dir praktische Tipps, wie du sie in deinen kommunikativen Alltag integrieren kannst.

Hier eine kurze Vorschau auf die Themen der Beiträge:

  1. Genderzeichen: Wie du den Genderstern & Co. gezielt und sinnvoll verwendest.
  2. Maskuline Formen: Wann das generische Maskulinum zum Problem wird — und wann nicht.
  3. Unnötige Geschlechtsbezüge: Wie und wann du Geschlecht unsichtbar machen kannst bzw. solltest.
  4. Geschlechtsstereotypen: Wie du durch Sprache stereotype Rollenbilder aufbrichst.
  5. Mut zur Umsetzung: Was geschlechterbewusste Kommunikation wirklich leisten kann.