Was uns verbindet

Heute ist es an der Zeit, dass wir einmal über Mehrsprachigkeit reden. Diesen Podcast gibt es nun schon seit fast acht Folgen und in keiner davon ist es bis jetzt um das gegangen, was uns trotz unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Erziehung, unterschiedlicher Bildungswege, was uns trotz allem, was uns trennt, verbindet. Denn egal welche Sprache wir sprechen, wir sind alle eines: nämlich mehrsprachig.

Eine zwanzigminütige Podcastfolge kann natürlich nur einen sehr groben Überblick über ein so komplexes Thema wie Mehrsprachigkeit geben. Das ist in zweierlei Hinsicht verblüffend. Zum einen ist das Forschungsfeld noch gar nicht so alt, als dass man hier ein so umfangreiches Themenspektrum erwarten würde. Und zum anderen hält sich in unserer Gesellschaft immer noch ganz verbissen einer der hartnäckigsten Mythen seit der Erfindung der europäischen Nationalstaaten: der Mythos der Einsprachigkeit.

Aber alles der Reihe nach: Wir brauchen zuerst einmal eine Definition von Mehrsprachigkeit.

Was ist Mehrsprachigkeit?

Bei Mehrsprachigkeit geht es um den Gebrauch von mehr als einer Sprache. Und zwar nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene. Das heißt: Eine einheitliche Definition von Mehrsprachigkeit gibt es nicht. Und kann es auch nicht geben. Weil sich der Begriff Mehrsprachigkeit sowohl auf die Sprachkompetenzen von Individuen oder Gruppen bezieht, als auch auf verschiedene Situationen, in denen mehrere Sprachen miteinander in Kontakt treten. Wir sprechen also von konkreten Menschen oder eben Menschengruppen, die mehrere Sprachen erworben oder gelernt haben, die mehrere Sprachen im Alltag sprechen. Wir sprechen aber auch von Institutionen, die mehrsprachig organisiert sind, sei es jetzt die Europäische Kommission oder einfach ein ganz normaler internationaler Konzern. Und wir sprechen auch von ganzen Staaten, in denen — offiziell oder inoffiziell — mehrere Sprachen gesprochen werden; und das sind — um noch einmal auf den Mythos der Einsprachigkeit zurückzukommen — der Großteil der aktuell 193 Staaten der Erde. Wenn wir uns die Sache also so überlegen, können wir Mehrsprachigkeit einteilen in: individuelle Mehrsprachigkeit und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit.

Und genau diesem Blick möchte auch ich heute folgen. Wir werden zuerst ein paar Worte zu Mehrsprachigkeit auf gesellschaftlicher Ebene sagen, und uns dann anschauen, was Mehrsprachigkeit für das Individuum, für den einzelnen Menschen, für sein Leben in dieser mehrsprachigen Gesellschaft bedeutet.

Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit

Eines vorweg: Ich bin kein Fan von Zahlen, weil sich das Abzählen in der Sprachwissenschaft als eine ausgesprochen schwierige Angelegenheit herausstellt. Vor allem in angewandten Disziplinen, in denen es um die Verwendung von Sprachen geht, lassen sich empirische Daten mehr schlecht als recht in Zahlen gießen.

Wie viele Sprachen werden auf der Erde gesprochen? Welche Sprachen sprichst du? Welche Sprache spielt in deinem Leben die wichtigste Rolle?

Solche Fragen sind immer politisch motiviert, hängen an diversen gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren und müssen eine Vielzahl an weiteren Fragen nach sich ziehen, damit man überhaupt verstehen kann, was mit der ersten Frage eigentlich genau gemeint war.

Was ist überhaupt eine Sprache? Was bedeutet sprechen? Wichtigste Rolle wo: Im Beruf, in der Familie, im Herzen?

Statistische Angaben wie sie Projekte wie zum Beispiel der vielzitierte Ethnologue machen, sind also immer mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Aber sagen wir, wir gehen von rund 7.000 Sprachen auf der Erde aus. Der Ethnologue schätzt, dass davon nur rund 4 % — also rund 280 Sprachen — in Europa gesprochen werden. Der Rest geht auf — allen voran — Asien, Afrika, den pazifischen Raum und die Amerikas.

Das eigentlich Interessante an dieser Schätzung ist aber nicht der relative Anteil, sind nicht die 4 %. Das eigentlich Interessante ist der absolute Wert von rund 280. 280 Sprachen auf einem Kontinent mit nur — geographisch gesehen — 47 Staaten? Selbst wenn wir mit einrechnen, das manche Staaten, wie etwa die Schweiz, mehrere offizielle Sprachen haben, geht diese Rechnung — eine Nation, eine Sprache — nicht auf.

Wir müssen also davon ausgehen, dass in Europa nicht nur die offiziellen Staatssprachen, Nationalsprachen, der einzelnen Länder gesprochen werden — Deutsch in Österreich, Französisch in Frankreich und so weiter —, wir müssen auch bedenken, dass es erstens autochthone Sprachminderheiten gibt, wie zum Beispiel die Ladiner in Norditalien oder die Sorben in Deutschland, die bei den Grenzziehungen zur Zeit der Staatenbildung in Europa einfach keinen eigenen Staat bekommen haben, und zweitens allochthone Sprachminderheiten, also Sprecher*innen, die sich durch zeitlich nicht so weit zurückliegende Migration in einem Gebiet niedergelassen haben, in dem ihre Sprache oder Sprachen früher nicht gesprochen wurden. Ein Beispiel dafür wären die sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei, die in den 1970-er Jahren vor allem nach Deutschland aber auch nach Österreich gekommen sind. Und drittens darf man auch jene Menschen nicht vergessen, die vielleicht tatsächlich einsprachig aufgewachsen sind, sich aber im Verlauf ihres Lebens sehr gute Fremdsprachenkenntnisse angeeignet haben.

Individuelle Mehrsprachigkeit

Ich will mich aber, wie gesagt, gar nicht lange mit Zahlen aufhalten. Was ich aber gehofft habe zu zeigen, ist Folgendes: Selbst wenn man sich mit Zahlen aufhält, die ja — wie wir oben gesehen haben, meist politisch manipuliert sind, also aufgrund einer unpräzisen, unvollständigen Fragestellung einen gewissen Bias zugunsten der Ideologie der Einsprachigkeit aufweisen — selbst dann ist nicht zu leugnen, dass die meisten Sprecher*innen — egal wo auf der Erde — mehr als eine Sprache sprechen.

Dazu, also zu dieser klassischen, sehr konservativen Rechnung, kommt, dass die Mehrsprachigkeit eines Individuums in der Mehrsprachigkeitsforschung sehr großzügig definiert wird. Soll heißen: Ein Individuum ist dann mehrsprachig, wenn es in der Lage ist, sich in der Alltagskommunikation in mehreren Sprachen zu unterhalten. Um diese eigentlich sehr simple Definition zu verstehen, brauchen wir vielleicht noch zwei zusätzliche Hinweise.

Nummer eins: Alltagskommunikation meint in diesem Zusammenhang genau das, nämlich das Kommunizieren in ganz alltäglichen Situationen — zu Hause, beim Einkaufen, mit Freunden etc. Eine mehrsprachige Person muss also nicht in all ihren Sprachen eine wissenschaftliche Doktorarbeit schreiben können. Sie muss also nicht all ihre Sprachen in allen Lebensbereichen gleich gut beherrschen. Das ist deswegen immer wichtig dazuzusagen, weil viele Menschen davor zurückschrecken, sich selbst als mehrsprachig zu bezeichnen, wenn sie das Gefühl haben, sie könnten nicht alle beide, oder alle drei, oder vier, oder fünf ihrer Sprachen gleich gut sprechen.

Und wichtig ist auch (das wäre dann Nummer zwei): Eine Person muss nicht einmal mehrere Sprachen sprechen, um sich als mehrsprachig bezeichnen zu dürfen. Das klingt im ersten Moment paradox. Eine Person die mehrsprachig ist, spricht mehrere Sprachen. Ja, aber: Was ist eine Sprache? Das war auch schon oben bei den Zahlen die große Frage.

Sprache ist ein Kontinuum — sie hat keine in der Zeit und im Raum stabilen Grenzen. Das haben wir zum Teil auch schon in Folge 6 besprochen. Dort ging es speziell um Sprachwandel, also um die Bewegung, die Veränderung von Sprache mit der Zeit. Und um sprachliche Varietät, um die Bewegung der Sprache im Raum.

Das heißt Sprache entwickelt sich nicht nur kontinuierlich weiter, nimmt also mit der Zeit, mit den Jahrhunderten immer wieder andere Formen an. Im Deutschen wäre das dann in etwa die Bewegung vom Althochdeutschen, über das Mittelhochdeutsche bis zum heutigen Neuhochdeutschen. Sprache bewegt sich auch auf der synchronen Ebene, das heißt auf ein und derselben Zeitstufe, dann aber räumlich. Und mit räumlich meine ich wirklich räumlich, also geographisch, wenn wir zum Beispiel an die vielen Dialekte der österreichischen Standardsprache denken: Das österreichische Deutsch klingt immer wieder anders, je nachdem wo ich mich gerade befinde.

Räumlich kann in diesem Zusammenhang aber auch eine eher metaphorische Bedeutung haben. Nämlich: Deutsch klingt auch immer wieder anders, je nachdem in welchem Milieu ich mich bewege. Oft unterscheidet sich das Deutsch, die zum Beispiel in der Schule verwendet wird, vom Deutsch, das zu Hause gesprochen wird. Das Deutsch unter Freunden ist womöglich anders als das Deutsch auf einem wissenschaftlichen Kongress. Das Deutsch von meiner Mama ist wahrscheinlich anders als meines. Also auch Idiolekte, Soziolekte oder Fachsprachen, sogenannte Technolekte, haben einen Einfluss darauf, wie Sprache klingt. Ob ich jetzt Lulu sage oder Urin wird vermutlich davon abhängen, ob ich gerade mit meiner einjährigen Tochter rede oder meine Laborwerte mit der Hausärztin bespreche. Ich spreche aber in beiden Fällen Deutsch.

Und wenn wir diese Überlegungen noch weiterspinnen, und sagen, es geht ja bei sprachlicher Variation nicht nur um das Lexikon, um den Wortschatz, der sich je nach Soziolekt oder Dialekt unterscheiden kann, es geht auch um grammatikalische oder syntaktische Strukturen, die sich von Dialekt zu Dialekt, von Varietät zu Varietät unterscheiden können, ohne dass wir deswegen gleich von zwei verschiedenen Sprachen sprechen, dann wir dieser fluide Charakter von Sprache umso deutlicher.

Brigitta Busch, die sich als Soziolinguistin genau mit dieser Thematik beschäftigt, fasst diese Beobachtung in ganz einfachen Wort zusammen. Sie sagt:

“Niemand ist einsprachig.”

Eine Sprache von diesem Blickpunkt ist also nicht nur eine Einzelsprache, die einen Namen und eine offizielle politisch relevante Funktion bekommen hat — Deutsch, Chinesisch, Inuktitut. Sprache ist das, was wir als Menschen in unterschiedlichen Kommunikationskontexten produzieren. Wobei das Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten eines individuellen Sprechers oder einer individuellen Sprecherin sehr groß ist.

Übrigens zählen auch Fremdsprachen, die ein Mensch erst, sagen wir, in der Schule, auf der Uni, im Beruf gelernt hat, zu diesem Sprachschatz. Egal auf welchen Niveau man gerade in diesen Sprachen steht. Man muss also nicht von Geburt an mit zwei oder mehr Sprachen aufgewachsen sein, um sich als mehrsprachig bezeichnen zu dürfen. Der Unterschied zu einem klassisch als mehrsprachig bezeichneten Menschen ist lediglich der, dass sich seine Ausdrucksmöglichkeiten um zusätzliche sprachliche Mittel aus einer oder mehreren genetisch weiter entfernteren Sprachen — Einzelsprachen — erweitern.

Brigitta Buschs Einführung in die Mehrsprachigkeit ist übrigens voll von absolut faszinierenden Ideen, Sprache und Sprechen zu denken, und ich kann sie jeder und jeder nur wärmstens empfehlen. Das Buch ist sehr klar und verständlich geschrieben. Und es ist sogar vor kurzem in einer ganz neuen Auflage erschienen. Für alle, die sich da noch ein bisschen genauer einlesen wollen.

Und wenn wir uns jetzt ein bisschen wegbewegen von den statistischen Daten, von den Zahlen, liefert uns auch die Neurologie Anhaltspunkte, um eine Abgrenzung zwischen Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit vorzunehmen.

Neurologische Erkenntnisse

Was uns Menschen angeboren zu sein scheint — so der aktuelle neurolinguistische Konsens —, ist die Fähigkeit, Sprache zu produzieren, sprachliche Zeichen aus einem individuellen Sprachschatz im Gehirn auszuwählen, zum Beispiel Laute oder Silben oder andere Bedeutungseinheiten, und diese dann zu unendlich vielen verschiedenen Äußerungen zusammenzusetzen. Dieser Sprachschatz ist bei allen Menschen in derselben Hirnregion gespeichert, dem sog. Broca-Zentrum, und setzt sich aus Elementen aus allen Sprachen, die ein Mensch beherrscht, zusammen. Das menschliche Gehirn ist also offensichtlich darauf ausgelegt, Sprechen zu ermöglichen, egal aus welcher Einzelsprache die dafür ausgewählten sprachlichen Zeichen stammen. So gesehen bedeutet also ein einsprachiger Sprachschatz, in dem eben nur Elemente aus einer Sprache vorhanden sind, nichts weiter, als dass in diesem Fall das Potenzial dieser Hirnregion nicht vollständig ausgeschöpft wurde.

Dabei ist jetzt aber wichtig, einsprachige Sprecher*innen nicht als defizitär zu betrachten, weil sie nur eine Sprache sprechen, weil sie nicht ein bestimmtes Niveau haben oder einer bestimmten Norm entsprechen. Mehrsprachigkeit und Einsprachigkeit als konservative Begriffe im Sinne von Einzelsprachigkeit sind einfach zwei verschiedene Ausprägungen unserer — ich sage jetzt einmal — angeborenen Sprachfähigkeit, wobei eben Mehrsprachigkeit statistisch gesehen häufiger vorkommt. Punkt.

Und damit wären wir auch schon wieder dort, wo wir heute angefangen haben: beim Mythos der Einsprachigkeit.

Mythos Einsprachigkeit

Die Vorstellung ein Mensch—eine Sprache ist natürlich überall dort sehr verlockend, wo auch gilt: eine Nation—eine Sprache. Nur ist dieses vermeintliche Ideal außerhalb von Europa kaum irgendwo anzutreffen. Nicht einmal mit Blick auf die Nationalsprachen. Von nicht offiziell anerkannten Regional- oder Minderheitensprachen ganz zu schweigen.

Aus einer historischen Perspektive macht diese gesellschaftliche Einheit eventuell noch Sinn: In einer Zeit, als sich in Europa die ersten Nationalstaaten gebildet haben, Frankreich, Deutschland, Italien usw. war es natürlich absolut essentiell, dass die neue Staatsführung mit ihren Bürger*innen lückenlos kommunizieren konnte, und dass sich diese Bürger*innen über eine einheitliche Sprache mit dem neuen Staatsgebilde identifizieren konnten. Um einen Gemeinschaftssinn entstehen zu lassen, der gleichzeitig Loyalität mit der Sprachgemeinschaft und dem Staat garantieren konnte. Die Tatsache, dass sich Menschen sehr stark über ihre Sprachen identifizieren, wurde damals so sehr überstrapaziert, dass es als potentiell gefährlich anzusehen war, wenn sich ein Mensch mit zwei verschiedenen Sprachen oder Kulturen, je nachdem aus welcher Ecke man das betrachtet, identifiziert hat. So konnte sich Einsprachigkeit im Laufe der Jahrhunderte von einem politischen Ideal zu einer völlig unhinterfragten gesellschaftlichen Norm entwickeln.

Und heute gilt es diese sogenannte Norm wieder zu dekonstruieren. Zu zeigen, dass, schon gar nicht unter den aktuellen Bedingungen von Migration und Mobilität, diese Norm nicht nur veraltet, sondern vor allem auch konstruiert ist. Und eben weder der Lebensrealität konkreter Sprecher*innen noch dem aktuellen Stand der modernen neurolinguistischen Forschung entspricht.

Fazit

Wir sehen also: Um globale Zusammenhänge zu verstehen, um das Große und Ganze zu durchschauen, um zu verstehen, wie Systeme funktionieren — oder eben nicht funktionieren —, lohnt sich immer auch ein Blick auf das Individuum, auf das einzelne Subjekt. Das gilt für viele soziologische Fragestellungen. So auch für die soziolinguistische Forschung zu Mehrsprachigkeit.

Wir wissen heute extrem viel über Sprache, es wird zu den unterschiedlichsten Themen und in den unterschiedlichsten Feldern geforscht. Auch in der angewandten Sprachwissenschaft natürlich. Und trotzdem mangelt es in der Gesellschaft oft an Wissen über Sprache — und zwar nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch — und das ist viel gravierender — bei wesentlichen, entscheidungstragenden öffentlichen Organen, die festgefahrene Praktiken und marode Strukturen, sei es administrative, bildungsrelevante etc., Ämter, Schulen und so weiter, tatsächlich verändern könnten. Organe, die sich durchaus von Zeit zu Zeit wissenschaftliche Expertise einholen, diese dann aber viel zu oft ignorieren.

Hier im Podcast über diese Themen zu sprechen, mag sich anhören wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch es ist ein Schritt in Richtung eines toleranteren, gerechteren und schlichtweg menschlicherem Umgang mit Mehrsprachigkeit und mehrsprachigen Menschen in mehrsprachigen Gesellschaften.

Denn: Sprache — und das haben wir mittlerweile schon so oft gehört, obwohl der Podcast erst 8 Folgen hat:

Sprache oder besser: Sprachen gehen uns alle an.

Weiterführende Links

  • Die Einführung in die Mehrsprachigkeit von Riehl (2015) ist auch für sprachwissenschaftliche Laien geeignet. Die Autorin behandelt das Phänomen darin unter verschiedenen Blickpunkten. Sie geht neben Studienergebnissen aus relevanten Forschungsfeldern (Neurologie, Soziolinguistik, Bildungswissenschaft usw.) auch auf Methoden dieser Forschungsrichtungen ein.
  • In ihrer Abhandlung zur Mehrsprachigkeit stellt Brigitta Busch (2013, 2021) die Methode des sprachbiographischen Arbeitens vor, mit der sprachbiographische Repertoires wissenschaftlich erhoben und analysiert werden können. Mit Fokus auf dem Subjekt, auf Diskursen bzw. Sprachideologien und schließlich auf sprachlichen Praktiken liefert sie spannende Einblicke in die Mehrsprachigkeitsforschung.
  • Der Großteil der Informationen aus dem Ethnologue-Projekt sind leider nicht frei zugänglich. Zumindest wird hier die Frage nach der Anzahl der Sprachen der Erde beantwortet.

Auf viele der besprochen Punkte habe ich heute nur sehr oberflächlich eingehen können.

  • die Kategorisierung von Sprache
  • die Geschichte der Nationalsprachen und Sprachhierarchien
  • Minderheitensprachen und Sprachenrechte
  • sprachliche Praktiken in diversen sozialen Räumen
  • Mehrsprachigkeit in Institutionen: in Ämtern, im Gesundheitswesen, in der Schule (Stichwort: Deutschpflicht am Schulhof)
  • Wahrnehmung und Bewertung von Sprachkompetenzen durch Sprecher*innen
  • Weitergabe von Sprache
  • Sprachempfinden und Selbstverständnis
  • Motivationen und Hindernisse beim Sprachenlernen …

Aber genau um diese Dinge wird es im kommenden Jahr gehen, in der zweiten Staffel von Schon gewusst? Der Fokus des Podcasts wird also ab Jänner auf dem Thema Mehrsprachigkeit in all seinen Facetten liegen. Es wird natürlich zwischendurch immer wieder Raum geben, um andere Fragen zu besprechen.

Ich habe in der ersten Staffel ganz konkrete Dinge angesprochen, wie den Konjunktiv oder das deutsche Kasussystem. Das sind selbstverständlich auch vollkommen valide und obendrein super interessante sprachwissenschaftliche Fragestellungen. Was macht der Konjunktiv im Deutschen? Woher kommen unsere vier Fälle? Natürlich sind auch diese Fragen wichtig und sie wecken unsere Neugier an noch tiefgreifenderen, grundlegenderen Fragen. Gerade deswegen spreche ich auch immer wieder über diese Dinge — und werde das auch in Zukunft tun.

Doch die grundlegenden Fragen zu Sprache werden viel zu oft marginalisiert: Wenn es also nicht “nur” um grammatikalische Feinheiten oder Wortschatzprobleme geht, wenn es darum geht, welche Sprachen in einer Organisation, einer Institution, einem Land gesprochen werden (dürfen), welche Sprachen in der Schule unterrichtet werden, welche Sprachen in einer Gesellschaft positiv oder negativ bewertet werden, wie eine Gesellschaft mit der Präsenz mehrerer Sprachen umgeht — und mit deren Sprecher*innen —, werden oft keine Fragen mehr gestellt. Wir haben stattdessen vorgefertigte Antworten, die wir nicht mehr hinterfragen. In politischen Entscheidungsprozessen, in Bildungsplänen, im öffentlichen und dann natürlich auch im privaten Leben. Sprache hat etwas Objekthaftes zu sein, das zählbar sein muss, das idealerweise besessen und manipuliert werden kann, als wäre es ein Stück Hardware aus dem Computer Mensch. Das aber auf jeden Fall dazu dient, uns mit denjenigen zu verständigen, die unsere Sprache sprechen und uns von denjenen abzugrenzen, die das nicht tun.

Mit Schon gewusst? geht es mir darum zu zeigen, dass es wissenschaftliche Expertise gibt, die es uns erlaubt, in diesen durchaus heiklen Fragen sinnvolle, gerechte und menschliche Antworten zu finden, dass es möglich ist, mit den richtigen Informationen althergebrachte Mythen, Vorstellungen von Sprache, aufzubrechen und sich der Sprache im Alltag viel mehr bewusst zu werden — ein ganz wichtiger Schritt, um überhaupt auf diese Antworten zu kommen, um Änderungen letztendlich auch praktisch umzusetzen —, und dass es weder kompliziert noch langweilig sein muss, dieses Sprachbewusstsein aufzubauen.

Wir alle sind — mit oder ohne Studium der Sprachwissenschaft — Alltagsexpert*innen für unsere Sprachen und unser Sprechen. Und trotzdem wissen wir so wenig darüber, wie Sprache und vor allem Sprache in der Gesellschaft tatsächlich funktioniert. Und genau hier setzt Schon gewusst? an.

Dieser Podcast hatte von Anfang an den Anspruch, Wissen über Sprache zugänglich zu machen, und zwar ohne dass man dafür einen Doktor in Sprachwissenschaft gemacht haben muss.

Ich habe das Projekt im Grunde nur deshalb ins Leben gerufen, weil ich in meinem beruflichen und privaten Leben viel zu oft in Situationen gerate, in denen Fragen zu Sprache viel zu wenig reflektiert werden, was sie ist, warum sie ist, wo sie überall ihre Finger im Spiel hat. Weil wir es nicht gewohnt sind, solche Fragen zu reflektieren, sie uns zu stellen. Weil uns nicht beigebracht worden ist, sie zu stellen. Im Gegenteil.

Wir alle haben eine Idee im Kopf davon, was Sprache ist, weil sie uns so natürlich erscheint. Aber genau deswegen ist es wichtig, diese Ideen immer wieder zu hinterfragen, darüber nachzudenken, warum Dinge so sind, wie sie sind, und zu überlegen, ob sie nicht eigentlich auch anders sein könnten.

Meine Aufgabe in diesem ganzen Prozess sehe ich darin, diese Fragen überhaupt erst einmal aufzuwerfen, sie zum Thema zu machen, und zwar in einer Sprache — pun not intended — die auch sprachwissenschaftlichen Laien zugänglich ist.

Ich bin aus diesem Grund auch weiterhin immer erreichbar, und zwar über Social Media, über meine Webseite oder auch per E-Mail. Ihr findet mich auf Instagram und Twitter unter dem Handle @daslehrwerk und über wissen@lehrwerk.at (oder über das Kontaktformular) wo ich generell alles sammle, was so mit diesem Podcast zu tun hat: Fragen — die sind mir immer am liebsten, schließlich fängt Wissen beim Fragen an —, aber auch Feedback, konstruktive Kritik etc., also alles, was mir hilft, Schon gewusst? noch besser zu machen, mehr Menschen zu erreichen, und mehr Bewusstsein für Sprache zu schaffen.

In diesem Sinne, wünsche ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahr. Ich freue mich, wenn ihr auch im Jänner wieder dabei seid, wenn wir wieder — und wieder, und wieder, und wieder — über Sprache sprechen.