Was sind Sprachideologien?

Wie unser Sprechen über Sprache unser Leben beeinflusst

Ideologien in der Sprachwissenschaft

In der heutigen Folge wollen wir uns mit Dingen beschäftigen, die in der Wissenschaft gemeinhin unter dem Begriff Sprachideologien behandelt werden.  Das klingt jetzt erst einmal nach einem sehr bösen Wort. Aber wir wollen heute herausfinden, was genau Ideologien sind, wenn wir in der Sprachwissenschaft davon sprechen, also wir werden versuchen, den Begriff zu definieren, und wir werden am Schluss dann anhand von ein paar Beispielen klären, warum Sprachideologien, also nicht die Ideologien selbst, aber das Wissen um diese Ideologien, so wichtig sind, wenn es um Mehrsprachigkeit, Sprachenpolitik, Sprachpolitik, Sprachenlernen und so weiter geht.

Der Begriff Ideologie ist gerade wieder in aller Munde, gerade jetzt, wo die Wogen wieder einmal hoch gehen in der Debatte um die Epidemie, das Impfen, die Maßnahmen, die Nicht-Maßnahmen und allem was dazugehört. Wo der öffentliche Diskurs um Corona gern mit anderen Diskursen rund um, sagen wir, Freiheit, Demokratie, vielleicht sogar dem viel subtileren Diskurs um das Verhältnis zwischen Lai·innen und Expert·innen, vermischt wird, und in dem dann auch Schlagworte wie Ideologie sehr leicht von der Zunge gehen.

Wenn wir von Sprachideologien sprechen, ist das Ganze aber etwas komplizierter. Sprachideologie ist nicht einfach ein Schimpfwort, dass ich jemandem an den Kopf werfen kann, wenn ich mit seiner Meinung nicht einverstanden bin. Sprachideologien tauchen in unterschiedlichsten Formen auf, in Diskursen, Reflexionen über Sprache, Normvorstellungen, und weisen über diese Äußerungen immer auf Machtverhältnisse in der Gesellschaft hin, die genau über diese Reflexionen oder Vorstellungen einerseits ausgehandelt werden, andererseits aber auch normalisiert oder verschleiert werden.

Aber alles der Reihe nach. Was sind jetzt eigentlich diese Sprachideologien? Und zuerst vielleicht noch: Was ist eine Ideologie?

Was sind Ideologien?

In den sozialwissenschaftichen, kulturwissenschaftlichen Disziplinen hat man sich noch nicht, und wird sich vermutlich auch nicht, auf eine einheitliche Definition von Ideologie geeinigt. Da gibt es alles quer durch die Bank, von neutraleren Konzepten, wenn man also einfach von subjektiven Vorstellungen oder Repräsentationen spricht zum Beispiel, bis hin zu extrem negativen Auffassungen, bei denen es frei nach Karl Marx um “falsches Bewusstsein” geht, um “distortions, illusions, errors, mystifications”. Wenn wir hier im Podcast von Ideologien sprechen, nehmen wir eine“gemäßigte” Position ein. Es geht zwar weder darum, Sprachideologien als “falsche” Vorstellungen von Sprache zu bezeichnen, noch darum, sie mit politischen Systemen oder anderen “-ismen” gleichzusetzen (Kommunismus,Liberalismus, Rassismus, Sexismus und dergleichen). Das bedeutet aber nicht, dass wir ans ganz andere Ende des Spektrums rutschten. Es geht nämlich sehr wohl um eine deutlich kritische Haltung gegenüber diesen Ideologien. Weil sie zur Konstruktion von sozialer Wirklichkeit beitragen und sich politisch instrumentalisieren lassen, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse herzustellen und fortzuschreiben.

Wenn wir also versuchen, sprechende Subjekte mit je eigenem Sprachrepertoire, also die individuelle Ebene, mit der gesellschaftlichen Ebene zu verknüpfen, herauszufinden, wie wir als Sprecher·innen geschriebene und ungeschriebene Regeln befolgen, wenn wir in sozialen Räumen — seien es jetzt private oder öffentliche — mit anderen sprachlich interagieren, wenn wir versuchen zu verstehen, wie das Kleine und das Große zusammenhängt, genau dann werden Sprachideologien relevant.

Aber im Gegensatz zu den Sprecher·innen auf der einen Seite und den gesellschaftlichen Orten, in denen so oder so gesprochen wird, auf der anderen Seite ist es meist sehr schwer, das verbindende Element, also die Sprachideologienzu beschreiben. Und der Sprache kommt dabei, also bei dieser Beschreibung, wie so oft, eine doppelte Funktion zu. Sie kann einerseits Ideologien produzieren, reproduzieren, transportieren, und andererseits selbst zu einer ideologischen Kategorie werden.

Die kritische Analyse dieser Ideologien und von Diskursen setzt dort an, wo Dinge selbstverständlich erscheinen, wo Vorstellungen so natürlich, so einfach sind, dass nichts und niemand im Alltag an ihnen zweifelt. Aber genau dort, liegt oft auch der Hund begraben. Denn wenn etwas erst einmal natürlich erscheint, fußt es meist auf sehr problematischen Machtverhältnissen innerhalb sozialer Verbände. Die Überhöhung der Rationalität in der Aufklärung, der Fortschrittsgedanke in der Moderne, die Natürlichkeit der Geschlechter (also männlich, weiblich). Um jetzt nur einmal ein paar Beispiele zu nennen.

Und das gilt jetzt nicht nur für die “normale” Bevölkerung, das gilt auch für die Wissenschaft. Man muss also als Wissenschaftler·in immer auch darauf achten, in die eigenen Überlegungen mit einbeziehen, welches ideologische Gepäck man als Vertreter·in des eigenen Fachs eigentlich mit sich schleppt. Und ich verwende hier ein absichtlich sehr negatives Vokabular, Gepäck, schleppen und so weiter, weil es natürlich ein schwieriger und schwerfälliger Prozess ist, das Ganze. Schwierig, weil man oft selbst keinen direkten Zugang zu diesen Präsuppositionen hat, weil man selbst gar nicht auf die Idee kommen würde, dieses Gedankengut in sich zu tragen, voreingenommen zu sein, wie ein Habitus, in den man hineinsozialisiert wurde. Für den man also selbst im Grund nichts kann. Weder als Wissenschaftler·in noch als Nicht-Wissenschaftler·in. Gegen den man aber etwas machen kann. Wiederum sowohl als Wissenschaftler·in als auch als Nicht-Wissenschaftler·in. Und schwerfällig ist dieser Prozess, weil man eben auch sehr viel Zeit darauf verwenden muss, sich mit diesem ideologischen Gepäck auseinanderzusetzen und zu reflektieren, und dann auch zu explizieren, also in die Forschungsarbeit explizit hineinzuschreiben, ob das, was man aus einer bestimmten Perspektive heraus sagt, wissenschaftlich noch haltbar ist, wenn man es erst einmal gesagt hat. Denn: Die Gefahr, die natürlich immer besteht in der Wissenschaft, ist, dass überholte Lehrmeinungen, die man mit der eigenen Arbeit eigentlich versucht zu unterminieren, ungewollt und stillschweigend fortgeschrieben werden, weil man schlicht und einfach verabsäumt  hat, die theoretischen Grundannahmen, auf denen die eigenen Forschungsergebnisse fußen, zu überprüfen.

Ein Beispiel:

Wir haben bereits in der allerersten Folge zum Thema Mehrsprachigkeit im Dezember darüber gesprochen, dass Einsprachigkeit als Normalfall und Mehrsprachigkeit als Sonderfall betrachtet werden. In der Sprachwissenschaft würden wir hier von einem monolingualen Habitus sprechen. Diese Annahme ist nicht nur in der Bevölkerung gang und gäbe. Auch im Fachdiskurs vollzieht sich erst in den letzten paar Jahrzehnten vielleicht eine allmähliche Abwendung von dieser einst auch in der Sprachwissenschaft selbst etablierten Lehrmeinung. Und zwar nicht, weil wir nicht verstehen würden, dass Einsprachigkeit nicht die Norm sein kann, sondern weil wir in unserer Forschung zu, grob gesagt, Mehrsprachigkeit letztendlich trotzdem immer noch von doppelt, dreifach und so weiter einsprachigen Individuen ausgehen. Wir sprechen also sowohl im öffentlichen, also im politischen Bereich, im Bildungswesen- im Medienbereich, als auch im wissenschaftlichen Bereich, Diskurs, immer mehr von Mehrsprachigkeit, Mehrsprachigkeit, Mehrsprachigkeit, legen dieser Mehrsprachigkeit aber immer noch mehrfach einsprachige Sprecher·innen zu Grunde.

Aber ich greife wahrscheinlich schon wieder vor. Was genau das bedeutet darauf möchte ich später noch genauer eingehen. Bleiben wir zuerst noch ein bisschen beim Konzept Ideologie bzw. Sprachideologie, bevor wir uns konkret ein paar der wichtigsten Ideologien anschauen.

Sprachideologieforschung

Man hat in den späten 1970er Jahren, und zwar in den USA, angefangen, sich erstmals systematisch mit Sprachideologien zu beschäftigen. Damals hauptsächlich noch in einem Fachbereich, der sich Linguistic Anthropology nennt. Das ist also kein dezidiert sprachwissenschaftlicher Bereich, sondern eben ein anthropologischer, der sich allerdings mit Fragen zu Sprache beschäftigt.

Was die europäische Seite angeht, hier steht die Sprachideologieforschung eher noch am Anfang. Natürlich gibt es auch hier Vorreiter. Vor allem auch alles was in Richtung Diskurslinguistik, speziell auch in Richtung Kritische Diskursanalyse geht. Aber das würde heute vermutlich zu weit führen. Heute wollen wir ganz konkret beim Konzept der Ideologie bzw. Sprachideologie bleiben.

Ich habe vorhin schon kurz erwähnt, dass das es verschiedene Konzepualisierungen von Ideologie gibt: von neutral bis extrem negativ. Und das die extrem negativen Seite ganz stark mit dem Namen Karl Marx natürlich verknüpft ist. Von diesem hat man sich dann später in poststrukturalistischen Zugängen aber versucht abzugrenzen, indem man weggekommen ist von der Vorstellung von Ideologien als “Hirngespinste” oder “falschem Bewusstsein” und stärker darauf eingegangen ist, wie sich die Eigengesetzlichkeit dieser Ideologien erklären lässt, ihre gesellschaftliche Wirkmacht und ihre Verankerung in den Individuen selbst.

Das haben schon sehr früh, in den 1920ern/1930ern sowjetische Autoren wie Michail Bachtin oder Valentin Vološinov gemacht oder in Italien Antonio Gramsci. Besonders wichtig in der Diskussion ist dann in den 1970ern der französische Philosoph Louis Althusser geworden, der später auch einen großen Einfluss auf die poststrukturalistische-feministische Denkweise von Judith Butler gehabt hat.

Althusser geht davon aus, das wir uns als Individuen sogenannten ideologischen Staatsapparaten unterwerfen, und zwar freiwillig, sodass es für den Staat nicht mehr notwendig ist, repressive Gewalt auf seine Burger•innen auszuüben. Unter ideologischen Staatsapparaten hat er mehr oder weniger autonom agierende Institutionen innerhalb des Staates gesehen, die Kirche zum Beispiel, die Schule, die Familie. Und die Frage, die sich da für ihn stellt, ist, wie es zu dieser freiwilligen Unterwerfung kommt.

Seine Antwort darauf ist, dass wir erst durch eine solche Ideologie einen Platz in der Gesellschaft finden. Wir werden quasi von diesen Ideologien als Subjekte angerufen. Das heißt erst wenn wir nach den Regeln der Gesellschaft spielen, können wir sinnvoll und wirksam handeln. Ein Ausbrechen aus diesen Regeln ist oft sehr schwierig, oft auch unmöglich, weil es keine sinnvollen Plätze, sogenannte Subjektpositionen, für mich gibt.

Wenn sich zum Beispiel ein Mensch vor 2018, als sich da die Gesetzeslage in Österreich geändert hat, als zum Beispiel intergeschlechtlich identifiziert hat, also nicht eine der beiden von der Gesellschaft damals vorgesehenen Geschlechtsidentitäten “männlich”, “weiblich” für sich beansprucht hat, durfte das natürlich auch schon damals so sein, praktisch gab es aber dafür noch kein Kästchen zum Ankreuzen im österreichischen Zentralen Personenstandsregister. Natürlich gab es diese inter* Person auch schon damals, als Person, als Mensch, sie wurde aber nicht vom Staat als solche anerkannt, als Subjekt, musste also in allen öffentlichen Belangen weiterhin als “männliche” oder “weibliche” Person handeln.

Sein kann man vieles, handeln ist hingegen vielerorts und für viele immer noch ein Privileg. Dazu braucht es entweder den Staat oder andere ideologische Staatsapparate, die dieses Handeln ermöglichen.

Gerade wenn es um Sprachideologien geht, ist dieser Ansatz von Althusser besonders produktiv. Wir können mit dieser Konzeption von Ideologie jetzt nämlich die ideologische Wirkungsmacht von Sprache untersuchen. Wenn wir annehmen, dass auch Sprachen in eigenen ideologischen Apparaten sozusagen gelehrt werden, zelebriert fast, werden, in Akademien, Philologien, Lexika, Grammatiken, Schulen, dann können wir auch davon ausgehen, dass sie an diesen Orten ihre Subjekte in Althussers Sinn anrufen, sie als zugehörig identifizieren oder sie ausgrenzen, von ihnen quasi freiwillige Gefolgschaft einfordern. Das imaginäre Zentrum dieser Ideologie bleibt aber immer unerreichbar, zum Beispiel eine authentische Sprache, eine korrekte Sprache, eine reine Sprache.

Mittlerweile hat sich die Beschäftigung mit Sprachideologien — international gesehen — sogar zu einer Kernaufgabe innerhalb der angewandten Sprachwissenschaft entwickelt. Wobei Sprachideologien hier immer unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden müssen. Erstens, muss man beachten, dass Sprachideologien immer an die Interessen bestimmter sozialer Gruppen gebunden sind. Sprich, wie Sprache gesehen wird, die eigene, die der anderen, Sprache im Allgemeinen, hängt immer auch von den politischen und/oder ökonomischen Interessen dieser Gruppen ab, die wiederum durch die Art und Weise, wie Sprache gesehen wird, wie über sie gesprochen wird, verfolgt, geschützt und legitimiert werden

Zweitens, und das ist gleichzeitig mit Erstens immer mitzudenken, sind Sprachideologien aber immer auch vielfältig. Das heißt innerhalb einer soziokulturellen Gruppe kann es unterschiedliche Perspektiven aus Sprache geben.  Sprachaktivist·innen zum Beispiel, die sich für den Erhalt oder die Abwertung einer Minderheitensprache einsetzen, müssen nicht einer Meinung darüber sein, wie ein solches Projekt auszusehen hat. In Korsika etwa ist Ende des letzten Jahrhunderts ein Streit darüber entbrannt, ob es eine sinnvolle Methode wäre, französischsprachige Literatur ins Korsische zu übersetzen, um dadurch die korsische Sprache sichtbarer zu machen, aufzuwerten eben, oder ob das erst wieder den gegenteiligen Effekt hätte, und eine Stärkung der französischen Kolonialmacht wäre, weil man ja erst wieder französische Literatur übersetzen würde.

Drittens, sind Sprachideologien nicht immer allen Sprecher·innen in gleichem Maße bewusst. Was einerseits von den Sprecher·innen an sich abhängt natürlich, aber zu einem großen Teil auch davon, wo diese Ideologien produziert und reproduziert werden. Man geht zum Beispiel davon aus, dass im privaten Bereich, im familiären Bereich, Sprachideologien eher unbewusst zirkulieren, und im institutionalisierten Bereich, im öffentlichen Bereich, wie zum Beispiel der Schule, Ideologien viel stärker zur Sprache kommen können.

Und viertens, verknüpfen Sprecher·innen mit Sprachideologien die Art und Weise wie jemand, wie eine Gruppe spricht mit dem sozialen Umfeld dieser Gruppe oder dieser Person. Wir machen also Annahmen über die Sprecher·innen und ihr gesellschaftliches Leben anhand ihrer Sprache oder Sprechweise.

Judith Irvine und Susan Gal, zwei amerikanische Forscherinnen, haben vor mehr als zwanzig Jahren mehrere grundlegende sprachideologische (semiotische) Strategien herausgearbeitet, um diese Gesichtspunkte zu verdeutlichen: Sie sprechen zum Beispiel von iconization (Ikonisierung) oder erasure (Ausblendung).

Mit Ikonisierung meinen sie die Verbildlichung von Eigenschaften, die einer Gruppe zugeschrieben werden. Wenn man also im 19. Jahrhundert die Klicklaute, die z. B. in den Khoisprachen im südlichen Afrika vorkommen, als tierische Laute interpretiert hat, anstatt, wie es normalerweise üblich ist, einfach von phonologischen Einheiten zu sprechen, ist das ganz eindeutig eine rassistische Interpretation der damaligen Linguist·innen.

Erasure auf der anderen Seite dient dazu, die Realität, die gesellschaftliche, die soziolinguistische Realität zu vereinfachen, indem bestimmte Phänomene, soziolinguistische Phänomene, aber auch Handlungen und Personen in weiterer Folge, ausgeblendet werden, ignoriert werden. Auch da haben die Autorinnen Beispiele aus Afrika, wo die soziolinguistische Forschung im 19. Jahrhundert die mehrsprachigen soziolinguistischen Praktiken im Senegal komplett ignoriert haben, und anstatt hier eine mehrsprachig organisierte Gesellschaft zu beschreiben, eine Sprachkontaktsituation beschrieben haben zwischen mehreren voneinander getrennten monolingualenethnolinguistischen Gruppen. Ganz nach europäischem Vorbild, wo ja auch in dieser intensiven Phase der Nationalstaatenbildung überall Einsprachigkeit propagiert wurde.

Wir haben mittlerweile schon einige Male gesprochen über diesen Mythos der Einsprachigkeit, das was ich gerade vorhin den monolingualen Habitus genannt habe. Darüber werden wir heute auch noch ein bisschen sprechen.

Zwischenfazit

Es gibt also nicht eine Sprachideologie per se. Sprachideologien sind an Interessen bestimmter sozialer Gruppen gebunden, multipel innerhalb dieser Gruppen, teils unbewusst und sie vermitteln zwischen sozialen Strukturen und Sprechweisen. Das heißt Sprachideologien sind nicht einfach nur Vorstellungen von oder Einstellungen zu Sprache, sie sind immer auch an gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse gebunden. Und weil eben eine Ideologie nie allein kommt, sondern immer in konkrete Diskurse eingebunden, die wiederum mit anderen Diskursen verschränkt oder in diese eingebettet sind, muss alles, was ich jetzt im letzten Teil dieser Episode sagen werde, notwendigerweise schemenhaft und sehr verkürzt bleiben.


Ich werde mich aber bemühen, in den Show Notes bzw. unter diesem Beitrag passende Links anzugeben, über die man sich, falls man zu dem ein oder anderen Thema noch mehr wissen will, weiter informieren kann.

Und wenn es irgendetwas gibt, was ich heute sagen werde, oder bereits gesagt habe, was interessant geklungen hat, aber noch nicht ganz klar war, wozu ihr euch vielleicht mehr Folgen oder Blogbeiträge wünscht, dürft ihr mir das natürlich gerne mitteilen. Ich bin wie immer per E-Mail unter wissen@lehrwerk.at erreichbar, oder über eine DM auf meinen Social Media Kanälen auf Instagram und Twitter jeweils unter dem Handle daslehrwerk.

Aber nun zurück zum Thema. Welchen Sprachideologien sollte man sich heute bewusst sein? Und warum?


Wenn ich in der Einleitung meiner Folgen hier bei Schon gewusst? von der schönsten Erfindung der Menschheit spreche, dann liegt die Betonung eigentlich nicht auf schön, sondern auf Erfindung. Darauf läuft nämlich der Großteilder Kritikpunkte an aktuell, immer noch, muss man wahrscheinlich dazusagen, weit verbreiteten Sprachideologien hinaus.

Wenn wir Sprachideologien kritisieren, kritisieren wir nämlich nicht einzelne Werturteile über Sprache oder den Gebrauch von Sprache, wie: mag ich nicht, gefällt mir nicht, ist nicht schön. Das sind nicht Ideologien. Das sind Urteile. Wir hinterfragen die zugrundeliegenden Haltungen, die diese Art von Werturteilen überhaupt erst hervorbringen, und die vorherrschenden Machtverhältnisse in einer Gesellschaft, die damit in Zusammenhang stehen. Das sind nämlich die Ideologien. Also: Warum möchten wir nicht, dass sich die deutsche Sprache ändert? Warum sind wir gegen Gendersensible Sprache? Warum halten wir Mehrsprachigkeit in der Schule für kontraproduktiv? Warum halten wir Menschen, die Rechtschreibfehler machen für ungebildet? Warum? Weil Ideologie.

Allen, die prinzipiell mehr über Sprachideologien in Aktion erfahren möchten, kann ich das Buch “Die Macht der Mehrsprachigkeit” von Olga Grjasnowa empfehlen. Grjasnowa ist deutsche Schriftstellerin mit aserbaijanischenWurzeln, selbst mehrsprachig und nicht nur als Schriftstellerin, sondern einfach auch als Mensch ständig mit Sprachideologien konfrontiert. Warum ich das Buch empfehle, ist, weil es keine wissenschaftliche Abhandlung ist, sondern, im Gegenteil, eine essayistische Darstellung ihrer persönlichen Sprachbiographie, in der sie, ganz nach dem Vorbild des Sprachrepertoires, über das wir schon auf Instagram ausführlicher gesprochen haben, sowohl auf die emotionale und leibliche Dimension ihrer Sprachlichkeit eingeht, als auch auf die historisch-politische Dimension, also sehr klar ihr eigenes Spracherleben und Sprachempfinden mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen in Deutschland in Verbindung bringt. Also alles in allem ein leicht verständliches Gesamtpakt für alle, die sich für das interessieren, was ich hier in den letzten Wochen so alles gesagt habe.

Ich möchte zum Abschluss heute auf ein paar der von Grjasnowa genannten Ideologien eingehen. Und weil diese Folge ja wie angekündigt auch ein konzeptuellen Auftakt in diese Staffel sein soll, wird das was wir jetzt besprechen also auch ein kurzer Einblick in all die unterschiedlichen Bereiche sein, in die wir in den kommenden Wochen und Monaten tiefer eintauchen werden: Spracherwerbstheorien, kindlicher Spracherwerb, Mehrsprachigkeit in der Schule, Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen bei Erwachsenen, Standardsprachlichkeit bzw. Fragen zum Verhältnis zwischen Standard und anderen Formen des Sprachgebrauchs.

Kindlicher Spracherwerb

Einen ersten Punkt, den ich aus dem Buch aufgreifen möchte, ist der oft gehörte und immer noch (in der ein oder anderen Weise) viel zitierte Hinweis darauf, dass Mehrsprachigkeit eine Gefahr für die frühkindliche Entwicklung darstellen würde. Zugegeben, in der Wissenschaft ist man mittlerweile fast ganz abgekommen von dieser Idee, die ja ursprünglich aus der Wissenschaft stammt. Heutzutage gehen die meisten Forscherinnen und Forscher davon aus, sei es jetzt in der Soziolinguistik, in der Psychologie, in den Neurowissenschaften, dass unser Gehirn, vor allem das kindliche Gehirn mit dem Erlernen und der Verwendung mehrerer Sprachen gleichzeitig sehr gut zurecht kommt.

Dennoch tauchen in den Medien und im politischen Diskurs immer wieder Schlagwörter auf wie Halbsprachigkeit oder, was eigentlich ganz harmlos klingt, zweisprachig oder bilingual. Gegen die letzten beiden Begriffe ist im Grunde nichts einzuwenden, wenn man sich bewusst ist, was man damit meint.

Denn: Beide bzw. alle drei Begriffe basieren auf einer essentialistischen Perspektive, aus der heraus Sprachen als voneinander trennbar, abgegrenzt gesehen werden. Das hatten wir im Podcast auch schon einmal. Die Idee, dass Sprache an sich etwas in sich Geschlossenes ist, das manipulierbar ist, aber im Kern nicht veränderbar. Auch, dass da nichts Fremdes rein darf. Keine anderen sprachlichen Einflüsse zum Beispiel, wenn wir an den Diskurs zum Sprachwandel denken, keine Hände von Genderfanatiker·innen, die die Ästhetik und die Grammatik der deutschen Sprache kaputtmachen würden, wenn wir an den Diskurs um gendersensible Sprache denken. Davon haben wir eigentlich schon öfter gesprochen, wir haben die Sache nur noch nie so deutlich beim Namen genannt.

Ab jetzt können wir hier also von einer essentialistischen Perspektive sprechen. Zweisprachig oder bilingual ist nun keine unschuldigen Begriffe mehr. Sie suggerieren nämlich, dass es im Kopf des Kindes genau zwei Sprachen gibt. Die eine hier, die andere da. Was im Gegensatz zum bereits erwähnten Sprachrepertoire und den in Folge 8 besprochenen neurolinguistischen Erkenntnissen stehen würde. Möchte man diese Begriffe in einem professionellen Kontext verwenden, ist es also immer notwendig zu erklären, was genau man darunter verstehet.

Ich zum Beispiel werde die Begriffe in Zukunft hier im Podcast vermutlich sehr häufig verwenden, weil ich davon ausgehe, dass sie sehr gut verständlich sind und vielen von euch geläufig. Wenn ich sie aber verwende, wird das aber (hoffentlich) nie unkommentiert passieren. Und wenn doch, bitte macht mich darauf aufmerksam.

Der Begriff Halbsprachigkeit ist allerdings problematisch. Mit Halbsprachigkeit wird meist die Idee bezeichnet, Kinder, die mehr als eine Muttersprache, Erstsprache haben, könnten am Ende keine der Sprachen gut genug, was auch immer gut genug in diesem Kontext heißt. Das wiederum basiert dann wieder auf dem Mythos der Einsprachigkeit, wo Mehrsprachigkeit allgemein als anders und in diesem Fall dann sogar als schlechter gewertet wird. Dabei ist aber zu bedenken, dass sich Sprachen im Gehirn ja gerade nicht eine auf die andere legen und man dann am Ende doppelt einsprachig rauskommt, sondern sich der Sprachschatz als ganzer, aber eben aus einem Pool mit zwei oder mehr Einzelsprachen erweitert. Es wäre also falsch, und nicht fair, ein Kind, sowohl im Kleinkindesalter als auch dann in der Schule, das mit mehr als einer Sprache aufwächst, in einer dieser Sprachen mit einem einsprachig aufwachsenden Kind zu vergleichen.

Mehrsprachigkeit in der Schule

Und weil wir schon beim Thema Schule sind: In der Schule treffen dann häufig zwei Sprachideologien aufeinander. Erstens befinden wir uns spätestens in der Schule in einem meist staatlich regulierten, ganz stark institutionalisierten Bereich, in dem, wie wir oben gehört haben, Sprache gelehrt wird und Subjekte entstehen. Es treffen hier also Kinder aufeinander, die zu Hause bis jetzt vielleicht Hochdeutsch, vielleicht Dialekt, vielleicht irgendetwas dazwischen gesprochen haben. Die vielleicht eine andere Familiensprache als Deutsch haben, vielleicht mehrere, vielleicht zusätzlich zu Deutsch noch andere Sprachen sprechen. Auf jeden Fall ist das keine homogene Gruppe, die da am ersten Schultag aufeinandertrifft. Unterrichtet werden sie aber alle nach einem Prinzip, und zwar nach einem monolingualen. Die Unterrichtssprache in Österreich ist, bis auf ganz wenige Ausnahmen, Deutsch. Und zwar Standarddeutsch und ausschließlich.

Und zweitens, was jetzt auf den ersten Blick paradox klingt, Sprachenlernen im Sinne von Fremdsprachenlernen wird lediglich in einer Handvoll sogenannter prestigeträchtiger Sprachen unterstützt. Englisch, Französisch, Spanisch, Latein und dergleichen. Minderheitensprachen (im politischen Sinne), und hier besonders Sprachen von Migrationsminderheiten, spielen im österreichischen Schulwesen eine äußerst marginale Rolle. Mehrsprachigkeit, so wie wir sie bis jetzt im Podcast besprochen haben, wird in der Schule kaum gefördert. Fremdsprachenkenntnisse ja, aber auch hier nur auf einige wenige reduziert, lebensweltliche Mehrsprachigkeit nein, bis hin zu auf keinen Fall — Stichwort: Deutsch am Schulhof. Ich werde hier heute nicht alle Details ausrollen. Dazu gibt es mehr als genug Gesprächsstoff für eine ganz eigene Folge.

In der Schule haben wir es also wieder ganz stark mit der Ideologie der Einsprachigkeit zu tun und mit einer offensichtlichen Wertung von Sprachen — also wichtig vs. nicht wichtig zum Beispiel — im Sprachunterricht nach dem semiotischen Prinzip der Ikonisierung, wo eben, wie wir ja heute gesehen haben, Sprachen aufgrund ihrer Sprecher·innen bewertet werden und umgekehrt.

Vermutlich müsste man hier von erasure im Sinne von Gal und Irvine sprechen. Von der Verkennung mehrsprachlicher Praktiken und der Unsichtbarmachung von Sprach- und Sprechvielfalt im schulischen Kontext.

Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen bei Erwachsenen

Aber auch im Erwachsenenleben hat es mitunter verheerende Folgen, wenn sich Werturteile über Sprache und über Sprecher·innen vermischen. Ein Beispiel dafür ist das Fremdenrecht. Grjasnowa spricht in ihrem Buch natürlich über Deutschland, die grundsätzliche Situation ist aber in Österreich nicht anders. Auch hierzulande wird die Integrationsleistung erwachsener Menschen stets an ihren Deutschkenntnissen gemessen.

Daraus hat sich in den vergangen Jahren und Jahrzehnten ein regelrechter Markt entwickelt. Ein Markt in dem viel Geld für, gelinde gesagt, wenig Deutschkenntnisse eingetauscht werden. Menschen investieren hier sehr viel Geld, sehr oft auch ihr eigenes, weil ab einem bestimmten Punkt, Kurse oder Tests nicht mehr vom Staat erstattet werden, um minimale “Kenntnisse” zu erwerben, die ihnen im besten Falle nur dazu dienen, einen Test zu bestehen, aber im Alltag nicht in tatsächlich verwertbares sprachliches Kapital umsetzbar sind. Das Zertifikat, ja, das Zertifikat an sich kann, unter Umständen, bürokratische Wege erleichtern bzw. überhaupt erst ermöglichen, zum Beispiel sind bestimmte Aufenthaltstitel in Österreich an das Vorweisen bestimmter Sprachzertifikate gebunden. Das Zertifikat kann auch, unter Umständen, den Einstieg oder den Aufstieg ins oder im Berufsleben erleichtern. Das für das Zertifikat verlangte Wissen, ist für die Kandidat·innen aber zum Großteil nutzlos. Weil sie sich bei der Vorbereitung auf Testwissen konzentrieren, darauf den Sprachtest zu bestehen, nicht auf praktische Sprachfähigkeiten, nicht auf Sprachwissen, das ihnen im Alltag tatsächlich nützlich sein könnte.

Und das obwohl ja eigentlich als Grund für diesen Zertifizierungswahn besseres Deutsch angegeben wird. Wer besser Deutsch kann, ist besser integriert. Das ist der Tenor des österreichischen Integrationsfonds. Paradox? Ja.

Und gerade an diesem Beispiel wird noch einmal sehr deutlich, dass es, wenn es um Sprache geht, meist gar nicht um Sprache geht. Niku Dorostkar nennt dieses Phänomen Lingualismus und meint damit, dass sprachenpolitische Debatten, wie eben jene um Deutschlerngebote im österreichischen Fremdenrecht, oft herangezogen werden, um unter dem Deckmantel “Sprache” auf andere Bereiche, die im Grunde nichts mit Sprache zu tun haben, Einfluss zu nehmen.

Noch deutlicher wird dieser Punkt, wenn man weiß, dass die eben erwähnten Deutschlerngebote in Österreich nur für Drittstaatsangehörige gelten. Das heißt Deutsch lernen bzw. für einen Deutschtest lernen muss in Österreich nur, wer nicht aus dem EU-Raum kommt. Ein Portugiese, eine Französisch, ein Slowake muss dieses Gebot, ungeachtet seiner oder ihrer Sprachkenntnisse, nicht erfüllen. Rein sprachlich lässt sich diese Vorgehensweise nicht argumentieren. Ein ziemlich klarer Fall von Hierarchisierung, von der wir gerade eben im schulischen Bereich gesprochen haben und von der auch Grjasnowa in ihrem Buch immer wieder spricht.

Standardsprachlichkeit

Ein letzter Bereich, den ich heute erwähnen möchte, weil er gerade auch im österreichischen Kontext sehr relevant ist bzw. überhaupt im deutschsprachigen Gebiet, ist die sogenannte Standardsprachlichkeit.

Lippi-Green versteht unter der Ideologie der Standardsprachlichkeit einen bias toward an abstracted, ideal­ized, non-varying spoken language that is imposed and maintained by dominant institutions. Es geht hier also um eine in eine bestimmte Form gegossene Sprachvarietät, die von dominanten Institutionen (dem Staat, Akademien, Wörterbüchern, Grammatiken und so weiter) vorgeschrieben und erhalten wird, und sich vom “gewöhnlichen” Sprachgebrauch dadurch entscheidet, dass sie abstrakt ist, idealisiert und vor allem: nicht-veränderlich erscheint. Ich hab dazu schon einmal eine Folge gemacht, und zwar Folge 6, in der es um Sprachwandel gegangen ist und eben ein verwandtes Phänomen, nämlich das der sprachlichen Variation.

Grjasnowa stellt in ihrem Buch die Verbindung zu den beiden belgischen Sprach- und Kulturwissenschaftlern Jan Blommaeart und Jef Verschueren her, die in diesem Zusammenhang vom Dogma der Homogenie sprechen, also von der Vorstellung, dass nur eine einheitliche Gesellschaft, eine gute Gesellschaft wäre. Idealerweise würde eine solche gute Gesellschaft also keine Unterschiede zwischen ihren Mitgliedern kennen, sie müsste also monolingual, monoethnisch, monoreligiös und monoideologisch sein. Diese Vorstellung ist natürlich vor allem für den Nationalismus prägend — wir erinnern uns: eine Nation — eine Sprache.  Dabei ist diese Ideologie aber auf zwei Ebenen wirksam: Einerseits muss dafür gesorgt werden, dass nichts von Außen in diese vorgestellte nationale Gemeinschaft eindringt, dass also alles Andere auch tatsächlich anders bleibt. Und andererseits muss dafür gesorgt werden, dass auch innerhalb dieser Gemeinschaft Einheitlichkeit herrscht. Indem man zum Beispiel Minderheitensprachen marginalisiert, manchmal sogar verleugnet. Indem man die Mehrheitssprache eben standardisiert, und dadurch innensprachliche Variation in Form von Umgangssprachen, Dialekten und so weiter abwertet, stigmatisiert, verdrängt. Auch diese Phänomene sind, in einem eher weiten Verständnis, Teil dieses großen Themas Mehrsprachigkeit, eben wenn es um die sogenannte innere Mehrsprachigkeit, das Nebeneinander und Ineinander mehrerer sprachlicher Varietäten innerhalb einer Einzelsprache, einer Standardvarietät, geht.

Das ist jetzt doch eine ganz schöne Reihe von Baustellen geworden, in denen Sprachideologien in der Gesellschaft wirksam werden.

Was all diesen Erfahrungen, von denen Grjasnowa schreibt, gemein ist, ist die Vorstellung von Sprache als etwas Unschuldiges, Natürliches. Etwas, was uns gegeben ist, mit in die Wiege gelegt sozusagen, was uns anheftet ein Leben lang, wie ein Muttermal im Gesicht, das uns erst zu uns macht und an dem uns andere erkennen.

Ein sehr berühmter, wenn auch sehr radikaler, Ansatz in Anbetracht all dieser Dinge stammt von Alastair Pennycook und Sinfree Makoni, die ausdrücklich davon sprechen, dass Sprachen, so wie wir den Begriff gemeinhin verwenden, eigentlich gar nicht an sich existieren, wie der Tisch, an dem ich gerade sitze, oder das Holz aus dem er gemacht ist, sondern lediglich Produkte unseres Geistes sind, die von mächtigen Menschen erfunden wurden und durch mächtige Institutionen und Diskurse gestützt und mit Macht (oder eben keiner Macht) versehen wurden. Und dass es unsere Aufgabe heute sei, Sprachen wieder zu disinventen, zu un-erfinden. Aber dafür, diese Box der Pandora aufzumachen, fehlt uns heute eindeutig die Zeit.

Wer also gern noch mehr über Sprachideologien allgemein erfahren möchte, oder darüber was genau hinter dem disinventing languages-Ansatz steckt, sollte in den nächsten Wochen einfach ab und zu mal bei mir auf meinen Social Media Kanälen vorbeischauen. Vor allem in den Wochen, in denen ich keine neue Folge veröffentliche, versuche ich auf Instagram einen Info-Beitrag hochzuladen, der das aktuelle Thema vertieft und meist auch noch Informationen darüber enthält, was sich im Podcast nicht mehr ausgeht.

Was nun?

Was können wir also aus der heutigen Episode mitnehmen? Wir können mitnehmen, dass Sprachideologien, obwohl die Forschung in diesem Bereich — in Europa zumindest — noch am Anfang steht, eine immer zentralere Stellung innerhalb der Angewandten Sprachwissenschaft einnehmen. Wir können auch mitnehmen, dass Sprachideologien nicht einfach “falsche Vorstellungen” von Sprache sind, die man einfach korrigieren kann. Sprachideologien lassen sich nicht auf konkrete Aussagen über oder Wertung von Sprache reduzieren (In Österreich sprechen wir Deutsch. Mehrsprachigkeit stört die kindliche Entwicklung.).

Zum einen, weil sie immer im Kontext größerer Diskurse zu sehen sind (zum Beispiel: Ausländer, vor allem Aus-Ausländer, die nicht aus Europa kommen, haben in Österreich nichts zu suchen. oder Mehr als eine Sprache gefährdet den Zusammenhalt der österreichischen Republik/Nation/des Volkes.). Das ist der eine Grund, warum Sprachideologien keine einfachen Analysekategorien sind.

Der andere ist, dass die Wirkungsabsicht dieser Ideologien, das haben diese beiden Beispiele ja schon gezeigt, nicht immer oder sogar relativ selten auch auf Sprache direkt gerichtet ist. Das heißt Diskurse über Sprache, die Reglementierung von Sprache oder Sprachen (in der Bildungspolitik, in der Grammatikschreibung in der Lexikographie etc.) sind oft gar nicht das Ziel an sich. Das Ziel liegt oft ganz woanders. Die Verschärfung des Fremdenrechts, Herausbildung oder Stärkung nationaler Identität und so weiter und so fort. Sprache wird hier einfach oft gern vorgeschoben in gewissem Sinne, weil man sich dabei auf eben sehr verfestigte, naturalisierte Vorstellungen, Ideologien eben, verlassen kann, denen sehr viele Menschen folgen, vertrauen, sich im Sinne von Althusser von ihnen angesprochen, angerufen fühlen und die diese Natürlichkeit auch nicht mehr hinterfragen.

Der Mensch ist ursprünglich einsprachig. Gesellschaft funktioniert besser, wenn alle eine Sprache sprechen. Sprache ist Kultur und als solche unteilbar, unveränderbar.

Wobei bei alledem wichtig ist zu erkennen, dass es kein Außerhalb dieser Ideologien gibt. Was natürlich ein fatalistischer Befund ist, denn: Was sollen wir denn dann dagegen unternehmen? Aber zugleich auch ein großer Schritt vorwärts in Richtung einer wissensbasierten und sachlichen Debatte über Sprache oder Sprachen und das Miteinander von Sprecher·innen in einer Gesellschaft und über diese hinaus. Denn die Einsicht, dass niemand von uns vollkommen ideologiefrei ist und denken kann, ist die Voraussetzung dafür, dass die Wirkungsmacht von Sprache auf die gesellschaftliche Realität überhaupt erst wahrgenommen wird, und dass schädliche, bewusst oder unbewusst ausgrenzende, diskriminierende, Ideologien abgebaut werden können. Denn nur, wenn wir uns darauf verständigen können, dass Sprache selbst eine ideologische Kategorie ist, können wir etwas gegen sie tun.

Weiterführende Links

  • Eine gute Einführung in die (Geschichte der) Sprachideologieforschung ist und bleibt Brigitta Buschs „Mehrsprachigkeit“ (2013, 2021).
  • Ingrid Gogolin plädiert in ihrem Buch „Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule“ (1994, 2013) für eine Abkehr von einer Krisenpädagogik hin zu sprachlicher Bildung und Einbeziehung als elementarer Komponente in der gesellschafts- und bildungspolitischen Umsetzung. Ihre zentrale These lautet, dass das deutsche Bildungswesen im 19. Jahrhundert ein am Nationalstaat orientiertes monolinguales Selbstverständnis herausbildete. Dieses Selbstverständnis herrscht in der Schule bis heute vor und führt schließlich zum Bildungsausschluss von Migrant·innen.
  • Louis Althussers zentrale Ideen aus seinem Text über „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ (2016) sind auszugsweise auch auf Google Scholar nachzulesen (hier).
  • In „Signs of Difference“ (2019) zeigen Judith T. Irvine und Susan Gal, wie unsere Vorstellungen von Sprache(n) und Sprechweisen mit gesellschaftlichen Positionen und Werten zusammenhängen. In diesem Sammelbandbeitrag legen die beiden Forscherinnen den Fokus auf Sprachideologien und sprachliche Differenzierungen.
  • In ihrem Essay „Die Macht der Mehrsprachigkeit“ schreibt Olga Grjasnowa über ihr Spracherleben zwischen elitärer Bildung und Lebensweltlichkeit, zwischen politisch und medial gehypter Vielfalt und alltäglich erlebter Praktiken der Exklusion.