Wie dekliniert man deutsche Substantive?

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Heute geht es wieder einmal ans Eingemachte. Es geht wieder einmal um die deutsche Grammatik.

Vielleicht haben manche von euch schon einmal von starken und schwachen Verben gehört, vielleicht sogar von mir. Schwach sagen wir zu den Verben, die sich eher wenig verändern. Bei starken Verben auf der anderen Seite tut sich viel. Was heißt das?

lernen — lernte — gelernt

Das ist ein schwaches Verb. Da ändert sich nicht viel.

trinken — tank — getrunken

Das ist ein starkes Verb. Da ändert sich mehr.

Diejenigen von euch, die Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache lernen, wissen vielleicht sogar, dass es eine schwache und eine starke Adjektivdeklination gibt. Wie genau die Adjektivdeklination auf Deutsch funktioniert, bleibt vielen Deutschlerner*innen lange ein Rätsel, und um ehrlich zu sein, auch Muttersprachler*innen sind sich nicht immer ganz sicher. Doch zum Glück hat das nichts mit unserem heutigen Thema zu tun.

Denn heute geht es um Substantive. Aber auch sie können auf Deutsch schwach oder stark sein. Sie werden entweder schwach oder stark dekliniert, also in die vier Fälle gesetzt.

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Wichtige Grammatikbegriffe

Aber beginnen wir mit den Basics. Was sind Substantive? Aus der Volksschule kennen wir vermutlich alle noch die Hauptwörter. Das waren die Wörter, die wir bei der Satzanalyse in der Deutschstunde immer am einfachsten gefunden haben, weil man sie auf Deutsch alle groß schreibt. Nicht nur am Satzanfang.

Sie können maskulin, feminin oder neutrum sein — das nennt man Genus. Sie können Einzahl oder Mehrzahl sein — das nennt man Numerus. Und sie können in unterschiedlichen Fällen auftauchen. Auf Deutsch sind das aktuell vier — das nennt man Kasus.

Und genau um diese Hauptwörter geht es heute. Wir können also das Wort Hund nehmen — aktuell das Lieblingswort meiner einjährigen Tochter — und es nach den Regeln der deutschen Grammatik beugen. Beugen — so sagt man auch manchmal zum Deklinieren.

der Hund (1. Fall) — des Hundes (2. Fall) — dem Hund (3. Fall) — den Hund (4. Fall).

Keine so schwere Übung. Wir hören sofort, dass sich am Wort Hund selber eigentlich nicht viel ändert. Bis auf Hundes im 2. Fall bleibt Hund Hund. Kennt man die Mehrzahl eines Wortes, hier also Hunde, mit -e als Endung, dann ist auch die Deklination im Plural keine Hexerei:

die Hunde — der Hunde — den Hunden — die Hunde

Eigentlich hören wir in der Einzahl nur am Artikel der, des, dem, den einen Unterschied. Und bis auf die Ausnahme im dritten Fall den Hunden, statt den Hunde hört sich auch in der Mehrzahl alles gleich an. Im ersten und vierten Fall Mehrzahl unterscheiden sich nicht einmal die Artikel voneinander:

die Hunde (1. Fall), die Hunde (4. Fall).

Das ist ganz normal. Das deutsche Kasussystem hat sich mit der Zeit eben stark vereinfacht.

In unserer Vorläufersprache, dem Urgermanischen, gab es noch sechs Kasus. In einer noch älteren Sprache, dem Indoeuropäischen, sogar noch acht. Nach und nach haben einige Kasus die Funktion anderer Kasus übernommen. Im Urgermanischen übernimmt zum Beispiel der Dativ die Funktionen des Lokativs, des Ablativs und des Instrumentals.

Das Lateinische hat sich noch über längere Zeit mehr Fälle bewahrt. Genau genommen sechs Stück. Nach dem Nominativ, Genitiv, Dativ, und Akkusativ — das sind die grammatikalischen Bezeichnungen für den 1., 2., 3. und 4. Fall — gab es da auch noch den Vokativ, den 5., und den Ablativ, den 6. Fall. Diejenigen, die in der Schule Latein gehabt haben, erinnern sich jetzt wahrscheinlich an all die Deklinationsklassen, die da auswendig zu lernen waren, all die verschiedenen Endungen, die da je nach Fall an die Hauptwörter angehängt wurden.

Im Deutschen, wie gesagt, gibt es heute weniger Fälle als früher. Und die Endungen sind im ersten, dritten und vierten Fall praktisch immer gleich. Nur im dritten Fall Mehrzahl und im Genitiv teilweise sieht man heute noch, dass es früher mehr Formen gegeben haben muss.

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Starke und schwache Substantive

Das, was ich bis jetzt über die Deklination der deutschen Substantive gesagt habe, gilt aber genau genommen nur für die sogenannten starken Substantive. Am Anfang haben wir aber gehört, dass es auch schwache Substantive gibt.

Die Begriffe stark und schwach verwendet man in deutschen Grammatiken seit der Romantik, also Daumen mal Pi seit dem 19. Jahrhundert. Grob gesagt stehen diese Bezeichnungen bei den Substantiven für das, was im Urgermanischen, also ein-, zweitausend Jahre vor Christus, noch die vokalische und die konsonantische Deklination war. Um zu verstehen, was die vokalische und die konsonantische Deklination sind, brauchen wir eine kurze Sprachgeschichte:

Im Urgermanischen hat ein Substantiv im Allgemeinen aus drei Teilen bestanden:

Zuerst die Wurzel — zum Beispiel dag, dann ein Suffix und schließlich noch eine Endung zdagaz. Unser heutiges Wort Tag.

Nun gab es aber zwei Arten, ein Substantiv im Urgermanischen zu deklinieren; je nachdem, wie dieses Suffix ausgesehen hat.

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Die vokalische Deklination

Zur vokalischen Deklination auf der einen Seite haben im Urgermanischen all jene Substantive gehört, an deren Wurzel — also der Wortbasis ohne jegliche Anhängsel — ein Vokal angehängt war, also entweder a, i, o oder u. Im Hochmittelalter wurden dann all diese Vokale zu einem e abgeschwächt. Und diese lautliche Veränderung hat dazu geführt, dass auch die unterschiedlichen Endungen der ehemaligen Deklinationsklassen (a-Klasse, i-Klasse, o-Klasse und u-Klasse) zusammengefallen sind und sich heute nicht mehr voneinander unterschieden.

Und weil sich, um dahin zu kommen, zu dieser reduzierten Form, zu dieser vereinfachten Deklination, sehr viel ändern musste, hat man im 19. Jahrhundert von starker Deklination gesprochen. Schließlich sind da komplette Deklinationsklassen zerfallen und eine ganze Reihe an Vokalen wurde umgelautet.

Heute sieht das Ganze in der vokalischen Deklination, also der starken Deklination, dann ungefähr so aus:

Nominativ und Akkusativ, also 1. und 4. Fall, unterschieden sich grundsätzlich überhaupt nicht. Egal in welchem Genus, männlich, weiblich oder sächlich. Im Genitiv erhalten männliche und sächliche Substantive in der Einzahl ein -s bzw. ein -es: des Hundes. Und im Plural, also in der Mehrzahl, gibt es ganz viele Umlaute. Aus Baum wird Bäume, oder aus Wald wird Wälder und so weiter. Das Dativ Singular -e in mit dem Kinde zum Beispiel war noch bis ins 20. Jahrhundert gebräuchlich, ist aber heute veraltet.

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Die konsonantische Deklination

Zur konsonantischen Deklination auf der anderen Seite haben all jene Substantive gehört, deren Stamm nicht auf einen Vokal, sondern auf n geendet hat. Und genau dieses -n ist es, das uns heute oft Schwierigkeiten bereitet.

Ich mache ein Beispiel:

Wir haben den Löwen brüllen hören.

Das -n in Löwen ist dieses Relikt aus dem Urgermanischen, von dem ich spreche. Bei manchen Wörtern klingt es ganz normal, weil unsere Ohren es nicht gewohnt sind, Substantive aus dieser Klasse, die auf -e enden, stark zu deklinieren. Sätze wie: Wir haben den Löwe brüllen hören. klingen irgendwie komisch.

Bei anderen Wörtern ist aber mehr Sprachgefühl gefragt. Heißt es

Alle kennen den Trabant der Erde? oder

Alle kennen den Trabanten der Erde? 

Sowohl das eine als auch das andere wird heute umgangssprachlich akzeptiert. Ob der erste Satz auch für individuelle Ohren akzeptabel klingt, muss aber jede und jeder für sich selbst entscheiden.

Konsonantisch hat also bedeutet, dass anstelle eines Vokals ein Konsonant im Suffix gestanden hat. Relativ bald ist aber von der Fülle an Konsonanten nur mehr ein einziger Konsonant übrig geblieben, nämlich -n. Und Folgendes ist passiert: Dieses -n wurde fälschlicherweise für eine Endung gehalten. Die tatsächlichen Endungen, die diese Substantive — wie alle Substantive — damals natürlich auch gehabt haben, sind weggefallen. Schließlich hat sich das -n, das allen Wörtern in dieser Klasse gemein war, im Nominativ zurückgebildet. In allen anderen Fällen ist es allerdings erhalten geblieben.

Und so lässt sich nun auch unser modernes Kasussystem erklären.

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Das moderne Kasussystem

Alle Substantive, die zur vokalischen, starken Deklination gehören, verlieren ihren jeweiligen Suffixvokal. Auch die Kasusendungen, so wie wir sie noch aus dem Lateinunterricht kennen, gibt es heute nicht mehr. Ein Relikt aus damaliger Zeit sind nur noch das Dativ Plural-n und das Genitiv-s bei männlichen und sächlichen Wörtern. Genau an diesem -s im 2. Fall erkennen wir heute, dass es sich um eine starke Deklination handelt.

Alle Substantive, die zur konsonantischen, schwachen Deklination gehören, erhalten hingegen ihren Suffixkonsonanten -n, mehr noch, dieser Konsonant wird als Endung interpretiert und — bis auf den Nominativ Einzahl — in allen Fällen — sowohl in der Einzahl als auch in der Mehrzahl — sozusagen als neue Endung verwendet. Auch im Genitiv haben diese Substantive kein -s, sondern eben dieses generalisierte -n. Da hier nicht mühsam Vokal für Vokal umgelautet werden musste, sondern nur Endungen weggefallen sind und der Rest einfach generalisiert wurde, spricht man also von einer schwachen Deklination.

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Schwache weibliche und sächliche Substantive

Dazu kommt, dass bei weiblichen Substantiven bereits im Frühmittelalter die Genitivmarkierung -s weggefallen ist. Außerdem wurden mit der Zeit auch alle schwach deklinierten weiblichen Substantive, also die mit -en am Ende, nach und nach stark dekliniert — also gar nicht. Bei femininen Wörtern erkennt man daher heute nur noch an der Mehrzahl, ob es sich um starke oder schwache Substantive handelt. In der Mehrzahl hat sich die Endung -en nämlich auch noch bei weiblichen schwachen Hauptwörtern erhalten.

Bei den sächlichen Substantiven ist die Entwicklung ähnlich. Heute gibt es kein einziges sächliches Substantiv mehr, das schwach dekliniert wird. Die Unterscheidung zwischen starker und schwacher Deklination ist heute also nur noch bei maskulinen Substantiven relevant.

Und damit wären wir eigentlich schon fast am Ende für heute. Aber eben nur fast. Denn:

Keine Regel ohne Ausnahme.

Neben der starken und der schwachen Deklination gibt es im Deutschen nämlich auch eine gemischte Deklination.

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Die gemischte Deklination

Gemischt dekliniert werden Substantive dann, wenn sie eigentlich in der schwachen Klasse aufgewachsen sind, aber heute zusätzlich zum -n noch ein -s im Genitiv tragen.

Friede, Name, Gedanke oder Buchstabe zählen zum Beispiel zur gemischten Deklination. Nach Nominativ Einzahl immer -n am Schluss, außer im Genitiv Singular, da sitzt dort noch ein -s nach dem -n extra dazu.

Das einzige sächliche Substantiv in der gemischten Deklination ist das Herz. Da sagt man dann nämlich:

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Also alles eine Frage des Herzens.

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Typische Endungen schwach deklinierter Substantive

Zu guter Letzt müssen wir noch kurz über Substantive sprechen, die auf -or enden. So wie: Autor oder Lektor. Im Deutschkurs lernt man heute oft, dass es bestimmte Endungen gibt, an denen man sich orientieren kann, um herauszufinden, ob man ein Substantiv stark oder schwach deklinieren muss. Da gibt es dann Listen mit Tieren, Nationalitäten und männlichen Personen auf -e:

Affe, Hase, Löwe. Grieche, Türke, Däne. Erbe, Junge, Kollege, …

Aber auch griechische und lateinische Endungen sind dort zu finden:

Doktorand, Praktikant, Kandidat, Absolvent, Athlet, Journalist, Pädagoge, Ökonom, Philosoph, Fotograph, und Chirurg, … 

Die Endung -or taucht in solchen Listen aber nicht auf. Jetzt stehen wir also schon wieder vor der Frage. Heißt es: Dem Autor gefällt sein neues Buch nicht. Oder: Dem Autoren gefällt sein neues Buch nicht? Immer dasselbe Dilemma.

Der Autor wird in der Einzahl – trotz lustiger Endung – stark dekliniert.

der Autor – des Autors – dem Autor – den Autor

Also: Dem Autor gefällt sein neues Buch nicht.

Aber was ist mit dem Majoren? Warum sagen wir da nicht mit dem Major?

Weil der Major nicht wie der Autor und der Lektor vorne betont wird, sondern hinten. Nicht Májor heißt er, sondern Majór. Deswegen mit dem Autor, aber mit dem Majoren. Also die Betonung macht’s, wirklich? Wirklich. Man lernt nie aus.

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