Wir werden auch heute wieder über das große Thema Mehrsprachigkeit in der Schule sprechen. Wir haben im ersten Teil dieser Serie schon gehört, was bildungspolitische Akteure in Österreich unter sprachlicher Bildung verstehen, und wo dieses Verständnis schließlich an seine Grenzen stößt, wenn es darum geht, Mehrsprachigkeit — und hier vor allem lebensweltliche Mehrsprachigkeit — in die Schule, in die Klassenzimmer, in den Unterricht zu holen.

Heute gehen wir einen Schritt weiter und greifen einen der Pfeiler dieser im Bildungssystem verankerten sprachlichen Bildung heraus und sehen ihn uns genauer an. Und zwar geht es heute um die sogenannten Deutschförderklassen.

Es gäbe ja grundsätzlich so viel zu sagen. Zu den Deutschförderklassen an sich, die Kinder aus einer Klassengemeinschaft ausgrenzen, zum dazugehörigen Sprachtest, der als Grundlage dafür dient, ob ein Kind in eine solche Deutschförderklasse kommt oder nicht, der im Grund aber nichts über die Sprachkenntnisse dieser Kinder aussagt, oder über das allgemeine Festhalten an der Einsprachigkeit der Schule, das in diesem Sprachfördermodell wieder einmal sehr deutlich demonstriert wird. Ich werde heute nicht auf alle Fragen, Details, Probleme eingehen. Dafür werde ich eine Reihe an Quellen verlinken, über die man sich problemlos — also auch ohne einschlägige linguistische oder sprachdidaktische Vorkenntnisse — weiter informieren kann.

Denn: Worauf es mir heute ankommt, ist zu zeigen, dass sich Sprachförderung, die sich zu sehr an einsprachigen Normen und einer objekthaften Vorstellung von Sprache an sich orientiert, nicht nur negativ auf das Sprachenlernen auswirken kann, sondern auch harte diskriminierende Effekte auf die Sprachlerner·innen haben kann, sowohl auf einer schulbiographischen und lebensbiographischen Ebene, als auch auf einer emotionalen, sozio-emotionalen Ebene.

Ich möchte also heute zuerst ein bisschen näher beschreiben, was es mit den sogenannten Deutschförderklassen in Österreichs Schulen auf sich hat und wie der Sprachtest (MIKA-D-Test) aussieht, der über einen Besuch einer Deutschförderklasse entscheidet. Danach werde ich auf die Konsequenzen ein, die ein solcher Test und ein solches Sprachfördermodell für Kinder haben kann, die gerade erst dabei sind, Deutsch zu lernen.

Die Fragen, die wir uns heute anschauen wollen, sind, erstens:

  1. Was sind Deutschförderklassen? In Abgrenzung einerseits von Regelklassen und andererseits von Deutschförderkursen?
  2. Was ist MIKA-D? Und welche Rolle spielt MIKA-D in diesem Zusammenhang?
  3. Welche sind die diskriminierenden Effekte dieser Art von Sprachförderung für die betroffenen Schüler·innen?

Starten wir gleich mit der ersten Frage.

Was sind Deutschförderklassen?

Sogenannte Deutschförderklassen sind — wenn man jetzt wieder nach dem Bildungsministerium geht — dazu da, Schüler·innen, Deutsch beizubringen, die vor Schuleintritt — also entweder in der ersten Klasse oder im Quereinstieg — nur wenig oder gar keinen Kontakt zur deutschen Sprachen hatten, sodass sie irgendwann in den Regelunterricht wechseln können.

Deutschförderklassen gibt es sowohl in der Primarstufe, also in der Volksschule, als auch in der Sekundarstufe.

Diese Klassen sind — wie der Name schon vermuten lässt — separate Klassen, das heißt die Kinder, die in einer DFK landen, sind die allermeiste Zeit von ihren Kamerad·innen getrennt, werden die meiste Zeit getrennt unterrichtet. In der Volksschule sind das 15 Stunden pro Woche, in der Sekundarstufe 20. Zusammenlegungen mit der sogenannten Regelklasse, also der Klasse, der die Deutschklassenschüler·innen eigentlich zugeteilt worden sind, solche Zusammenlegungen sind nur in Fächern wie Turnen oder Werken oder Zeichnen möglich.

Die Deutschförderung in solchen Klassen ist auf maximal vier Semester, also zwei Jahre, ausgelegt. Spätestens dann sollte ein Kind soweit sein, “ausreichend” Deutsch zu können, um dem regulären Unterricht folgen zu können.

Deutschförderklassen sind außerdem als Mehrstufenklassen ausgelegt, das heißt dort werden alle Kinder mit Deutschförderbedarf unterrichtet, egal wie alt sie sind oder in welcher Schulstufe sie sich befinden. Das führt mitunter zu Gruppengrößen von im Schnitt 22 Schüler·innen pro Klasse.

Neben diesen Deutschförderklassen gibt es auch noch sogenannte Deutschförderkurse. Die sind nur für Schüler·innen, deren Deutschkenntnisse nur “mangelhaft” sind, die also gerade noch auszureichen scheinen, um von Anfang an in eine Regelklasse zu kommen. Die Anzahl der Förderstunden sind hier für die Primar- und die Sekundarstufe gleich. Für jeweils 6 Stunden pro Woche werden diese Schüler·innen aus ihren normalen Klassen genommen und extra in Deutsch unterrichtet.

Dieses Modell gibt es seit dem Schuljahr 2018/19, wurde also einerseits geplant und implementiert im Anschluss auf die Migrations- und Flüchtlingsbewegungen Richtung Europa ab 2015 und andererseits in Reaktion auf die schlechten PISA-Ergebnisse — vor allem im Lesen — im Frühling 2018. Dazu kommt, dass damals noch eine rechts-konservative Regierung an der Macht war, was die Umsetzung einer solchen Maßnahme erleichtert hat.

Die OECD hat 2018 festgestellt (Eurydice-Bericht), dass in der EU im Durchschnitt eines von vier schulpflichtigen Kindern entweder selbst im Ausland geboren ist, oder zumindest einen Elternteil hat, der im Ausland geboren ist. Es wäre natürlich ein Fehlschluss, davon auszugehen, dass Kinder, deren Eltern nicht aus Österreich stammen, automatisch keine Deutschkenntnisse haben. Vor allem bei Kindern die bereits in Österreich geboren wurden und hier ihre frühe Kindheit verbracht haben, kommunizieren im Alltag auch auf Deutsch.

Statisch zeigt sich aber für Gesamtösterreich, dass 27% der Schüler·innen, die im Schuljahr 2018/19 in Schulsystem eingetreten sind, Deutsch als Zweit- oder weitere Sprache hatten. In Wien geht man davon aus, dass der Anteil der Schüler·innen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch in diesem Jahr sogar bei 53% gelegen hat. Das Ziel dieses neuen Deutschfördermodells ist es also gewesen, genau diesen Schüler·innen so rasch wie möglich Deutsch beizubringen, um sie in die Regelklassen eingliedern zu können.

Österreich war durchaus nicht das einzige Land in Europa, das in dieser Zeit auf segregierende Deutschfördermodelle im Bildungssystem gesetzt hat. Laut dem Eurydice Bericht, den ich euch natürlich auch verlinke, gab es sogenannte “Vorbereitungsklassen” bereits 2015 in Ländern wie Deutschland, der Schweiz, Griechenland, Rumänien, den Benelux-Staaten und den skandinavischen Ländern. Das hier aber ein direkter Vergleich mit Österreich nicht unproblematisch ist, wird sich später noch zeigen.

Allerdings sind die Herausforderungen noch noch relativ neu, die sich durch einen steilen und sehr plötzlichen Anstieg an Schüler·innen mit anderen Erstsprachen als Deutsch ergeben. Was natürlich nicht heißen soll, dass es Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer nicht schon lang vor 2015 gegeben hätte. Es heißt aber, dass es leider auch noch sehr wenig Forschung zu den Langzeiteffekten verschiedener Sprachfördermodelle gibt.

Auch, und vor allem, in Österreich herrscht ein großer Mangel an wissenschaftlichen Studien zu den Bedürfnissen und Bedarfen mehrsprachiger Schüler·innen und der Effektivität von Sprachfördermodellen im Allgemeinen. Besonders erhellend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass das Vorgängermodell, das es vor 2018 gab, zwar evaluiert wurde, dann aber nicht die Ergebnisse dieser Studie abgewartet wurden, bevor man das neue Modell eingeführt hat. Das verdeutlicht noch einmal, welcher Stellenwert Forschung in diesem Bereich zugeschrieben wird. Es geht offensichtlich nicht um die qualitative Verbesserung dieser Modelle.

Das hat dazu geführt, dass das aktuelle Modell, also das Modell der Deutschförderklassen großflächig und mitunter sehr scharf kritisiert wurde, von Sprachwissenschaftler·innen, von Sprachlehr- und -lernforscher·innen, von Bildungswissenschaftler·innen. Mehr oder weniger aus allen Bereichen, die Expertise zu diesem Thema liefern könnten.

Kritisiert wurde — und wird immer noch — dass in Deutschförderklassen genau das Gegenteil von dem gemacht wird, was die moderne Sprachlehrforschung aktuell dazu herausgefunden hat, wie zusätzliche Sprachen nach der Erstsprache gelernt bzw. erworben werden. Kritisiert wird auch der ausgrenzende Charakter dieser Klassen, die Kinder werden nicht mehr gemeinsam unterrichtet, gleichaltrige Sprachvorbilder fehlen größtenteils. Und kritisiert wird unter anderem auch, dass das emotionale Wohlergehen der Schüler·innen in diesen separaten Klassen auf der Strecke bleibt. Sie leiden unter dem Stigma der Absonderung, unter einem instabilen Lernalltag, der vom einem ständigen Klassenwechsel und einem ständigen Kommen und Gehen von Mitschüler·innen, aber auch Lehrer·innen geprägt ist.

Aber auf all die Kritik kommen wir ohnehin später noch einmal zurück, wenn wir über die diskriminierenden Effekte dieses Sprachfördermodells sprechen. Zuerst wollen wir uns noch anschauen, wie überhaupt entschieden wird, welches Kind und nach welchen Kriterien dieses Kind eine Deutschförderung entweder in einem Deutschförderkurs oder einer Deutschförderklasse benötigen würde.

Das bringt uns dann nämlich zur zweiten Frage: Was ist MIKA-D? Und welche Rolle spielt MIKA-D in diesem Zusammenhang?

Was ist der MIKA-D-Test?

Denn die Entscheidung, ob ein Kind in eine Deutschförderklasse muss oder nicht, wird im Anschluss an einen Sprachtest gefällt. Und der Sprachtest, der aktuell in Österreich, und zwar landesweit verpflichtend, in Verwendung ist, nennt sich eben MIKA-D. MIKA-D ist das Kürzel für „Messinstrument zur Kompetenzanalyse – Deutsch“.

Ich höre jetzt einige von euch schon denken, ja, gut, einen Sprachförderbedarf mit einem Sprachtest zu bestimmen, klingt nicht komplett abwegig. Man kann sich vermutlich schlechtere, noch willkürlichere Entscheidungsgrundlagen vorstellen. Ja, stimmt. Es geht bestimmt noch schlechter. Ich könnte auch nach Augenfarbe entscheiden. Aber das, was momentan passiert ist deswegen noch lange nicht gut.

Aber alles der Reihe nach.

MIKA-D ist also ein Instrument zur Messung von Sprachkompetenzen der Getesteten, und zwar auf Deutsch. Da stellen sich natürlich mehrere Fragen: Erstens, was an Deutsch wird getestet, um zu einem Ergebnis zu kommen? Zweitens, wie aussagekräftig sind die Testergebnisse, wenn es darum geht, die, in diesem Fall, sprachliche Schulreife eines Kindes festzustellen? Und drittens, wie wird der Test durchgeführt? Was sind die Rahmenbedingungen für den Test?

Beginnen wir diesmal von hinten.

Wie wird der Test durchgeführt? Grundsätzlich sind Schuldirektor·innen dazu verpflichtet, bei der Schulreifefeststellung einzuschätzen, wie gut oder “schlecht” die Deutschkenntnisse der Kinder sind. Geht die Direktorin oder der Direktor eben davon aus, dass ein Kind dem Unterricht nicht folgen können wird, dann wird er oder sie einen Sprachtest, das heißt einen MIKA-D-Test, veranlassen.

Durchgeführt wird dieser Test dann immer im Frühjahr, das heißt die jüngsten getesteten Personen sind womöglich erst fünf Jahre alt, weil der Testzeitpunkt eben noch in ihre Kindergartenzeit fällt. Beauftragt mit der Durchführung der Test werden dann aber Pädagogen und Pädagoginnen, die (standardmäßig) nicht speziell für Sprachtestungen ausgebildet sind. Die Lehrkräfte müssen vor der ersten Anwendung einen Onlinekurs von 8 mal 45 Minuten absolvieren. Das sind genau 6 Stunden. Ein längerer Nachmittag also.

Ich habe einen Doktor in Sprachwissenschaft, einen Magister in Romanistik, ein Diplom in Basisbildung, mehrjährige Erfahrung im Bereich DaF-DaZ, sowohl ohne als auch mit Zweitschrifterwerb. Keine dieser Lern- und Arbeitserfahrungen hatte einen Schwerpunkt auf Sprachtestungen. Ich würde mich nicht trauen, mit gutem Gewissen nach einem Nachmittag Onlineschulung einen MIKA-D-Test abzunehmen. Nur mal so zur Einordnung des Qualitätsanspruchs des Tests.

Anhand des Testergebnisses wird dann festgestellt, ob ein Kind als ordentliche Schülerin oder ordentlicher Schüler in eine Regelklasse aufgenommen wird, oder ob er oder sie einen außerordentlichen Status bekommt. Das ist wieder einmal eine sehr unverständliche Bezeichnung, auf die ich heute leider nicht eingehen kann. Aber allein schon die Absprache der “Ordentlichkeit”, nur weil man gerade noch dabei ist, die Unterrichtssprache zu lernen, ist schon sehr fragwürdig.

Mit außerordentlichem Status hat eine Schüler·in zwei Möglichkeiten, zwischen denen er oder sie natürlich nicht selbst wählen kann, sondern die ihm oder ihr quasi durch das Testergebnis vorgegeben werden.

  1. Deutschförderkurs parallel zum Regelunterricht (Testergebnis: Deutschkenntnisse “mangelhaft”)
  2. separaten Deutschförderklasse (Testergebnis:  Deutschkenntnisse “ungenügend”)

Am Ende des ersten Semesters wird der Sprachtest dann für alle außerordentlichen Schüler·innen wiederholt. Fällt das Ergebnis diesmal besser aus, darf man “aufsteigen”. Das heißt eine außerordentliche Schülerin in einer Deutschförderklasse darf in den Deutschförderkurs, bleibt aber außerordentlich in der Regelklasse. Ein außerordentlicher Schüler in einem Deutschförderkurs verliert seinen außerordentlichen Status und wechselt ganz in die Regelklasse. Nach Bedarf mit zusätzlichem Förderunterricht in Deutsch als Zweitsprache. Dann allerdings nur als Freigegenstand oder unverbindliche Übung, und sofern es dafür auch Personal gibt.

Hat sich das Ergebnis in diesem Semester nicht verbessert, bleibt das Kind nicht nur als außerordentliche Schüler·in in der Deutschförderklasse, sondern muss noch dazu das komplette erste Schuljahr wiederholen. Selbst wenn ein Kind den nächsten Test am Ende des zweiten Semesters bestehen würde, bleibt es auf gut Deutsch “sitzen”. Mit dem Testergebnis “mangelhaft”, statt “ungenügend” schafft es der oder die Schüler·in zwar in den Förderkurs, mit gleichzeitigem Besuch der Regelklasse, aber eben wieder in derselben Schulstufe.

Bei der vollen Förderzeit quasi von zwei Schuljahren ist eine Schüler·in eventuell schon acht oder neun Jahre alt, wenn er oder sie endlich in eine “normale” erste Klasse kommt.

Natürlich, das Ziel des Modells ist es, die Kinder möglichst schnell in den Regelunterricht zu überführen, wie es so schön heißt. Praktisch gelingt dies jedoch nur wenigen. Im Pandemiejahr 2020/21 waren es lediglich 30%, die in die Regelklasse wechseln konnten. Ob in der eigenen oder einer Schulstufe darunter, ist aus dieser Zahl nicht herauszulesen. Zudem ist diese Zahl, die vom Bildungsministerium als “Erfolg” verbucht wird, ernüchternd, wenn man sich überlegt, wie die Bilanz aussehen würde, wenn 70% der Schüler·innen einer Regelklasse ihr Schuljahr wiederholen müssten.

Schauen wir uns vielleicht noch den Sprachtest selbst etwas genauer an, damit klarer wird, warum ich die Testergebnisse „ausreichend“, „mangelhaft“ und „ungenügend“ bis jetzt immer in Anführungszeichen gesetzt habe.

Wie funktioniert der MIKA-D-Test?

Der MIKA-D-Test wird grundsätzlich in einem 1:1-Setting durchgeführt. Die testende Lehrperson nimmt gleichzeitig, also vor Ort in Echtzeit quasi, auch die Auswertung des Testergebnisses vor.

Es handelt sich bei MIKA-D um einen sogenannten quantifizierenden Sprachtest. Mithilfe von Wimmelbildern und Handpuppen werden aus den Kindern (zumindest in der Primarstufe) 20 Minuten lang dann spezifische Sprachhandlungen hervorgelockt. Es handelt sich also hier um artifizielle, um künstliche Sprachdaten. Die Kinder werden also nicht über eine längeren Zeitraum begleitet und beobachtet, sondern in eine künstliche Testsituation gebracht, in der sie sprachliche “Leistungen” erbringen sollen, denen dann Zahlenwerte mit einer bestimmten Bedeutung zugeordnet werden.

Die getesteten sprachlichen Bereiche sind: Wortschatz, W-Fragen, Satzverständnis und Verbstellung. Das ist natürlich ein äußerst selektiver, punktueller Zugriff auf die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder. Noch dazu sind die Regeln für die Interpretation dieser Zahlenwerte nicht transparent. Abgesehen davon dass es bei MIKA-D ja sowieso nur um Deutsch geht und nicht, genauso wie später in der DFK oder im DFKurs, um ihr gesamtes sprachliches Repertoire.

Schauen wir uns das vielleicht an einem Beispiel an:

Vor allem das letzte Kriterium, die Verbstellung, ist — aus sprachwissenschaftlicher Sicht — auffällig und wurde dementsprechend auch häufig kritisiert.

Deutsch ist im Bereich der Verbstellung etwas speziell, sagen wir einmal. Wir platzieren unsere konjugierten Verben je nach Satztyp unterschiedlich. In einem Hauptsatz steht das Verb typischerweise an zweiter Position. Das Mädchen spielt mit dem Auto. In einem Nebensatz wandert es aber an das Ende des Satzes. Auf dem Bild sieht man, dass das Mädchen mit dem Auto spielt.

Soweit so gut. Aber hat diese grammatische Besonderheit des Deutschen wirklich einen Einfluss auf das Sprachverständnis? Können wir davon ausgehen, dass ein Kind, das während des Tests einen Satz mit falscher Wortstellung produziert, automatisch ein so schlechtes Deutschniveau hat, dass es im Regelunterricht nicht mitkommen würde? Die schnelle Antwort für heute ist: natürlich nicht.

Die Regeln, nach denen hier beim MIKA-Test Punkte vergeben werden, die schließlich für die Entscheidung herangezogen werden, ob ein Besuch einer DFK notwendig ist, sind nicht wissenschaftlich abgesichert.

Aus eigener Erfahrung als Trainerin für DaF/DaZ weiß ich auch, dass gerade das Ignorieren der Verbletztstellung im Nebensatz ein Phänomen ist, dass mit fortschreitender sprachlicher Entwicklung und erweitertem Wortschatz wieder verstärkt auftritt. Weil man plötzlich mehr sprachliche Mittel zur Verfügung hat, mehr Wörter kennt, schneller sprechen oder schreiben kann. Das heißt Sprachlernprozesse sind nicht linear, sie sind dynamisch und hängen zu einem großen Teil auch von Umweltfaktoren an, die über einen solchen quantifizierenden Sprachtest nicht gemessen werden können.

Und trotzdem bildet die Verbstellung einen der Grundpfeiler der Testmethode.

Ein weiterer Kritikpunkt, der immer wieder angebracht wird, und der sich auf die Gesamtheit des Test bezieht, ist der, dass bei quantifizierenden Sprachtests an alle getesteten Personen ein und dieselbe Messlatte angelegt wird. Individuelle sprachbiographische Faktoren — wie etwa bisherige Lernvoraussetzungen, Erstsprache usw. — werden dabei ignoriert. Es wird unhinterfragt vorausgesetzt, dass alle Getesteten zum Testzeitpunkt denselben Entwicklungsstand erreicht haben, und dass das Bisschen, was schließlich getestet wird, zum Beispiel eben die Verbzweit-/letztstellung, auch für alle Getesteten gleich wichtig ist, die gleiche Relevanz hat.

Ich kann wieder aus eigenen Erfahrung sagen, dass die Verbzweit/-letztstellung für viele Lernende, die nicht für einen speziellen Anlass (z. B. einen Deutschtest) oder sehr gewissenhaft nach dem Lehrbuch lernen, eher wenig Relevanz hat. Ja, die Verbletztstellung im deutschen Nebensatz ist auffällig, wenn man sie ignoriert wird man aber meist trotzdem verstanden. Also wenn es darum geht, effizient und effektiv zu kommunizieren, ist die Stellung des Verbs im Nebensatz relativ egal.

Es kann also zu Recht in Frage gestellt werden, ob diese Art des Testens und der MIKA-D-Test im Besonderen, überhaupt dazu geeignet ist, Sprachlerner·innen bestimmten Fördermaßnahmen zuzuordnen. Ob das Messen von Zahlenwerten, die während eines so kurzen Testzeitrahmens, wie es hier der Fall ist, ermittelt werden, überhaupt die Art von Sprachkompetenz misst, die für eine erfolgreiche Integration in einer Regelklasse notwendig ist.

Denn für die betroffenen Schüler·innen sind die Schlussfolgerungen, die aus dem MIKA-D-Testergebnis gezogen werden, weitreichend und folgenschwer. Der Besuch einer Deutschförderklasse kann in die Schullaufbahn und weiter die Lebensbiographie eines Kindes stark einschneiden. Vor allem dann, wenn sich dieser Besuch über mehrere Jahre erstreckt.

Diskriminierende Effekte

Schauen wir uns also zum Schluss dieser Folge noch die dritte Frage an: Welche diskriminierenden Effekte hat diese Art von Sprachförderung?

Vieles von dem, was ich bis jetzt zum Ablauf und zum Aufbau der Sprachtestungen und des Fördermodells der Deutschförderklassen gesagt habe, deutet schon sehr klar auf diskriminierende Praktiken hin.

Mit einem Sprachfördermodell wie dem der Deutschförderklassen arbeitet die derzeitige österreichische Bildungspolitik durchaus am Zahn der Zeit. Das Quantifizieren steht nicht nur im akademischen Bereich für “Wissenschaftlichkeit” schlechthin, auch in der Politik ist ein starker “Trend zur Zahl” zu beobachten.

Mit einem standardisierten, einfach (für die testenden Personen) handzuhabenden Messinstrument ist hier offensichtlich versucht worden — sehr überhastet übrigens — Dinge zu legitimieren, die vorn und hinten nicht zusammenpassen.

Nur wird dabei übersehen, dass den betroffenen Kindern damit in den allermeisten Fällen nicht geholfen ist. Nun kann man natürlich die Art der Sprachkompetenztestung kritisieren. Das habe ich bereits in Ansätzen versucht zu tun.

Eine noch schärfere Kritik sollte meines Erachtens aber an den Folgen dieser Testungen angebracht werden. Ein Messinstrument wie der MIKA-D-Test fungiert ja quasi als Kontrollprozedur, jetzt einmal im diskurslinguistischen Jargon ausgedrückt. Ein Sprachtest, der praktisch ein Instrument der Machtausübung ist. Er ist von der machtstärksten Gruppe im Diskurs um Bildungschancen, Bildungsgerechtigkeit, Zugang zu Bildung erfunden und implementiert worden. Was fatal ist, vor allem für die Kinder, um die es in diesem Diskurs um Bildungschancen, Bildungsgerechtigkeit, Zugang geht. Jene Kinder, die ohnehin schon mit weniger kulturellem, sprich hier vor allem sprachlichem, und sozialem Kapital in die Schule kommen.

Denn: Allein dieser Test legt schließlich fest, was an der Schule sprachlich als normal gilt und was von dieser Normalität abweicht. Und genau diese diskursiven Praktiken, wie die des Sprachtestens, sind es, die harte, lebensweltliche Konsequenzen haben. Weil es geht in weiterer Folge dann ja nicht nur um Sprache.

Die soll zwar erlernt werden — zwar mehr schlecht, als recht, das werden wir später noch sehen —, aber die Diskriminierungserfahrungen sind weit diverser und komplexer, als “nur” der Stempel “kann nicht gut genug Deutsch”.

Diejenigen Kinder, die eben nicht gut genug Deutsch können — was auch immer das heißt — werden aufgrund dieses einen Testergebnisses von den anderen Schüler·innen ihrer Regelklasse getrennt, in ein nicht sprachlernförderliches, auch nicht deutschlernförderliches, Umfeld gesteckt, in dem nicht nur der Erwerb anderer fachlicher Kompetenzen, sondern auch das sozial-emotionale Wohlbefinden der Kinder auf der Strecke bleibt.

Die Chancen auf Bildung, auf den Erwerb von kulturellem und sozialem Kapital, um die es in diesem Diskurs ja vorrangig geht, sind damit also äußerst ungleich verteilt. Bildungspolitisch benachteiligte Gruppen erfahren in diesem Modell also eine zusätzliche Benachteiligung.

Werfen wir einen Blick auf die Details.

Evaluierung der Deutschförderklassen

Das stellt sich allerdings als gar nicht so einfach heraus. Eine umfassende empirische Studie zur Effektivität dieser Deutschförderklassen steht nämlich noch aus. Kolleginnen von der Uni Wien haben daher letzten Herbst eine ausgedehnte Literaturrecherche zum Thema gemacht, um dieses segregierende Modell auf Forschungsgrundlagen zu stellen, und um es an internationalen Best Practice-Modellen zu messen. Schließlich ist das österreichische Modell ja weder wissenschaftlich fundiert oder begleitet worden, noch hat es eine Pilotstudie gegeben, in der diese Art von Sprachförderung auf ihre positiven oder negativen Effekte getestet worden wäre.

Die Schlussfolgerung dieser Metastudie ist im Grunde ganz simpel: Die internationale Forschung zu Sprachfördermodellen zeigt mittlerweile sehr deutlich, welche Faktoren dazu beitragen, dass Kinder Sprachen besser lernen und sich in eine Klassengemeinschaft, in eine Schulgemeinschaft integrieren.

Damit ein Sprachfördermodell erfolgreich sein kann, braucht es

  1. eine qualitativ hochwertige, sprachsensible pädagogische Ausbildung,
  2. eine ebenso qualitativ hochwertige sprachfokussierte Unterrichtspraxis und
  3. die Förderung von Inklusion und sozio-emotionaler Entwicklung.

Das aktuelle österreichische Modell erfüllt keines dieser Kriterien.

Die Ausbildung bereitet den pädagogischen Nachwuchs nicht auf diese spezielle Unterrichtssituation vor. Einer Umfrage von 2020 zufolge hatten nur 38% der Lehrer·innen in diesen Deutschförderklassen auch eine Ausbildung für den Unterricht in Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache. In den Regelklassen waren es überhaupt nur 11%. Die sprachliche Vielfalt, die diversen sprachlichen Repertoires der Kinder wurden von allen Befragten damals als Last beschrieben und nicht als Resource. Multilinguale Strategien fehlen ebenso komplett, was darauf hindeutet, dass mehrsprachige Unterrichtsmethoden auch in den restlichen Klassenzimmern, aus denen niemand befragt worden ist, kaum zur Anwendung kommen.

Auch der Fachunterricht kommt in diesen Klassen sehr oft zu kurz. Die Lehrer·innen fühlen sich überfordert, die Klassengröße, die Vermischung unterschiedlicher Klassenstufen, der Druck, den Sprachtest am Ende des Semesters zu bestehen ist zu groß, für alle Beteiligten.

Das führt mitunter dazu, dass auch der Deutschunterricht sehr monoton verläuft — schließlich muss für den Test gelernt werden. Ob in diesem Setting dann wirklich Sprachkompetenzen entwickelt werden können, die im weiteren Verlauf der Schullaufbahn nützlich sind, die irgendwo sonst nützlich sind, ist damit mehr als fraglich.

Die Autorinnen räumen zwar ein, dass es durchaus auch Studien gibt, die segregierenden Modellen (Modellen mit separaten Deutschklassen) ein eher positives Zeugnis ausstellen. Allerdings handelt es sich dabei durchgehend um sehr kurzfristige Angebote, die von hochqualifiziertem Personal geleitet werden und wo intensive Sprachförderung und -begleitung auch nach dem Wechsel in eine Regelklasse noch gewährleistet ist. Bei keinem der drei Punkte kann Österreich momentan mithalten.

Dazu kommt ein ganz wichtiger Einwand: Diese erfolgreichen kurzfristigen Sprachfördermaßnahmen sind — ohne Ausnahme — nur für jene Schüler·innen gedacht, die ganz neu im jeweiligen Land ankommen, als Migrant·innen, als Flüchtlinge. Das österreichische Modell ist aber ein Sammelbecken für alle Kinder, die den MIKA-D-Test nicht bestanden haben, egal wie lange sie schon in Österreich leben.

Und für sie alle gilt: Sie werden für den Großteil ihrer Zeit in der Schule von ihren Klassenkolleg·innen aus der Regelklasse abgeschottet. Kolleg·innen, die ihnen helfen könnten, sich sozial zu integrieren, Kolleg·innen, die ihnen gute gleichaltrige Sprachvorbilder sein könnten, von denen sie auch im Fachunterricht lernen könnten. Stattdessen werden sie oft als Außenseiter gesehen, stigmatisiert, als “Förderkinder” abgetan. Wenn es ihnen doch gelingt, Freundschaften zu schließen, bricht der Kontakt aber oft ab, mit dem Zeitpunkt, an dem das sogenannte “Förderkind”eine Klasse wiederholen muss, oder zwei.

Grundsätzlich sind diese Deutschförderklassen von großer Instabilität geprägt, die Schüler·innen kommen und gehen, genauso wie die Lehrkräfte. Da es sich um Mehrstufenklassen handelt, ist der Altersunterschied zwischen den Schüler·innen noch dazu oft sehr groß, was auch nicht unbedingt förderlich für den Zusammenhalt ist. Da sich nur eine einzige Lehrperson in der Klasse befindet, einer Klasse, in der aber im Durchschnitt 22 Kinder sitzen, fällt es diesen oft auch schwer, eine vertrauensvolle Verbindung zu ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin zu schaffen. Was gerade im Bereich des Sprachenlernens eine ganz wichtige Rolle spielen würde.

Die beiden Pandemiejahre haben die Problematik an und in diesen Klassen noch verstärkt. Gemeinsame Stunden, wie das Turnen zum Beispiel, wurden Corona bedingt abgesagt. Noch weniger Kontakt zur Regelklasse. FehlendeRessourcen, die für das Distance Learning notwendig gewesen wären, gab es nicht. Und der gefürchtete MIKA-D-Test am Ende des Semesters? Der ist natürlich geblieben. Mit all dem Druck auf die Schüler·innen, auf die Lehrer·innen, der dazugehört.

Alles in allem ist davon auszugehen, dass das Modell der Deutschförderklassen in Österreich nicht “fit for purpose” ist, also dem Zweck, zu dem es eigentlich geschaffen worden ist, nicht dienlich ist.

In der vorhin angesprochenen Lehrer·innenbefragung wurden natürlich auch Verbesserungsvorschläge erfragt. Genannt worden sind unter anderem die Verringerung der Klassengröße, Teamteaching, und zwar mit mindestenszwei, wenn nicht sogar drei Lehrer·innen, ganz viel gemeinsames Lernen im Fachunterricht in der Regelklasse, und allen voran eine gründlichere pädagogische Aus- und Weiterbildung. Nur so könnte schließlich auch gewährleistet werden, dass Mehrsprachigkeit anerkannt wird, sowohl bei den Kindern, als auch im Klassenzimmer, und nicht mehr nur einseitig Deutsch gefördert wird.

Mehr als 80% der befragten Lehrkräfte würde sich aber ohnehin ein integratives Sprachfördermodell wünschen. Also ein komplett anderes System. Auch für die Expert·innen gibt es deutlich bessere Modelle als das segregierende Immersionsmodell, wie es aktuell umgesetzt wird. Dazu mehr in der nächsten Folge.

Fazit

Sprachförderung ist nicht gleich Sprachförderung. Parteipolitische Agenden und die unhinterfragte Übernahme gesellschaftlicher Spracheinstellungen können auch aus einem gut gemeinten Förderangebot ein wenig effektives und noch dazu diskriminierendes Desaster machen.

Das Modell der Deutschförderklassen in Österreich ist besonders schlecht umgesetzt. Und war, um ehrlich zu sein, vermutlich auch nie gut gemeint. Es ignoriert wissenschaftliche Expertise aus einschlägigen linguistischen, bildungswissenschaftlichen und sprachdidaktischen Bereichen.

Es bezweckt zwar die möglichst rasche Eingliederung der Schüler·innen in eine Regelklasse, unterstützt die Entwicklung wichtiger sprachlicher Kompetenzen aber nicht, da es weder ausreichend noch ausreichend qualifizierte Pädagog·innen einsetzt, die Lernenden absichtlich von förderlichen Sprach- und sozialen Kontakten mit gleichaltrigen Sprachvorbildern abschottet und mithilfe eines wissenschaftlich nicht fundierten, und daher wenig aussagekräftigen, Sprachtests nach Defiziten auf Deutsch sucht, ohne die sprachlichen Ressourcen der Lernenden zu berücksichtigen. Die hohe “Durchfallquote” in diesen Klassen belegt diese Einschätzung.

Die Folgen für die betroffenen Kinder sind weitreichend: soziale Isolation, Stigmatisierung und fehlende Anerkennung ihres gesamten Sprachrepertoires und anderer fachlicher Kompetenzen, die willentliche Behinderung daran, für bis zu zwei Jahre wertvolles soziales und kulturelles Kapital in Form von formaler Schulbildung zu erwerben, das erhöhte Risko auch in der Regelklasse  zurückzubleiben und schließlich die Schule ganz abzubrechen. Und die Liste ist damit noch lange nicht zu Ende. Von verbesserten Bildungschancen und uneingeschränktem Zugang zu Bildung für alle Kinder kann hier kaum die Rede sein.

Österreichs Deutschförderklassen sind damit nicht “fit for purpose”. Ob die Ergebnisse der zur Zeit durchgeführten Evaluierung diesmal mehr Druck auf die verantwortlichen bildungspolitischen Akteur·innen ausüben werden, steht noch in den Sternen.

N.B.: Ich habe selbst keine Erfahrungen aus erster Hand, weder mit dem Unterricht in Deutschförderklassen, noch mit dem Unterricht in Deutschförderkursen. Meine Informationen stammen zum Teil aus der einschlägig wissenschaftlichen Diskussion, aus den bereits vorhandenen Ergebnissen der derzeit noch laufenden Evaluierung dieses Fördermodells, und aus den Beiträgen einer Tagung zum Thema Testen und Messen in der Schule in Wien.

Zum Nach- und Weiterlesen:

Ausgewählte kritische Stellungnahmen:

Ausgewählte Medienberichte: