Wörter reisen, seit es Sprache gibt. Lasst uns gemeinsam nachsehen, woher sie kommen. Mit unserem Reisewörterbuch jetten wir Folge für Folge durch die Länder und sammeln ein paar deutsche Wortsouvenirs aus anderen Sprachen. Zweite Etappe: Französisch.
Wer beim Wort Gallizismus nur an Asterix und Obelix denkt, irrt. Wenn auch nur zum Teil. Auch Gallizismen kommen aus dem heutigen Frankreich. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Menschen, sondern um Wörter oder Wendungen. Die meisten französischenstammigen Wörter sind für uns alte Bekannte. Kein Wunder. Die Sprache der alten französischen Könige (im Maskulin) hat den deutschen Wortschatz maßgeblich beeinflusst. Bereits im Mittelalter sprach man an den Höfen Europas in erster Linie Französisch. Noch heute sprechen wir von Bordüren, Haute Couture, Dessous, Eau de Parfum, und womit man sich sonst noch so gerne ziert und dekoriert.
Über die streng vertraulichen Wege, auf denen alle jenseits der Bourgeoisie zu ihrer Macht und ihrem Reichtum kamen, durfte meist nur ein Sekretär Bescheid wissen, der seinen Verpflichtungen in einem Büro nachkam. Das vulgärfranzösische bure stand ursprünglich für einen groben Wollstoff. Dieser wurde zur Herstellung von Mönchskutten verwendet. Und diese Kutten wiederum dienten den Schreiblingen als Schreibunterlage auf Holztischen. Vom Stofftuch, über den Tisch mit Stofftuch hin zum Schreibtisch und schließlich auch — und im Deutschen sogar nur — zum Raum mit Schreibtisch. Das Büro hat bereits eine steile Karriere hingelegt. Dafür steht im Deutschen der Sekretär sowohl für die Person, als auch für das Möbelstück. Seine Bezeichnung leitet sich vom französischen Wort secret ab, einem französischen Geheimnis also. Und diese Geheimnisse sollten mit allen Mitteln verschwiegen und wollten — ebenfalls mit allen Mitteln — gewusst werden.
Wenn die Adelsleute in ihre Salons luden, wimmelte es nur so von feiner Gesellschaft. Hier wurde gelacht und getanzt, bis sich die Balken bogen. Oder zumindest bis sich die adlige Zusammenkunft in die nächste Intrige verwickelt hatte. Oder ist dieser Ausdruck vielleicht doppelt gemoppelt? Solcherart hinterhältige Machenschaften gehen nämlich über das Italienische auf Latein zurück. Dort verstand man unter intrīcāre nichts anderes als verwickeln oder verwirren.
Groß, größer und noch mehr war in diesen Zirkeln die Devise. Mit der ursprünglichen Bedeutung vom französischen Verb deviser hatten diese Machtspielchen allerdings nichts gemein. Die Bedeutung abteilen erinnert noch an die alte Wappenkunst. Dort bezeichnete die sogenannte Devisa ein abgeteiltes Feld auf einem Wappen, auf das eine Inschrift platziert wurde.
Der Wahlspruch der französischen Revolution “Liberté, égalité, fraternité” stellt die alte Gesellschaftsordnung — zumindest zeitweise — auf den Kopf. Das wütende Großbürgertum hatte irgendwann genug vom ausladenden Lebensstil des Adels. Sie verlangen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Frauenrechte waren damals noch nicht en vogue. Also nicht in Mode, die ja auch in Wellen kommt, in Wogen quasi.
Die Revolution selbst könnte französischer nicht sein. Die spätlateinische revolutio stand noch für die Umlaufbewegungen der Gestirne, für das Zurückwälzen der Planeten um die Sonne. In Frankreich gab man dem lateinischen Fachausdruck bereits im Spätmittelalter eine allgemeinere Bedeutung. Was für ein Omen für die folgenden tiefgreifenden macht- und gesellschaftspolitischen Veränderungen im Europa des auslaufenden 18. Jahrhunderts.
Gesellschaftspolitische Umwälzungen geschehen nur selten ohne das sprichwörtliche Blutvergießen. Während der Revolution nahm man es damit allerdings mehr als Ernst. Nicht nur der König und seine Frau mussten ihre Köpfe unter der wohl berühmtesten Fallbeilmaschine der Welt lassen: der Guillotine. Und die kommt zur Abwechslung einmal nicht aus dem Lateinischen. Sondern von ihrem eifrigsten Verfechter: Joseph-Ignace Guillotin. Das Ziel des französischen Mediziners war es, den Vollzug der Todesstrafe zu humanisieren. Dass man aufgrund seines Vorschlags, eine bereits in Vergessenheit geratene Köpfmaschine mit Fallbeil nachzubauen, diese Maschine selbst — wer hätte es gedacht — für immer und ewig mit seinem Namen verbinden würde, hatte er nicht erwartet. Doch als genau das geschah, gab es kein Zurück mehr. Rien ne va plus! Nichts geht mehr. Was für ein Malheur, mag sich Mensieur Guillotine damals gedacht haben. Und in der Tat. Denn das malheur steht im Französischen für eine schlechte Stunde, eine mal heure eben.
Die Eskapaden, die unbesonnenen Handlungen oder heimlichen Fluchten, gab es bereits im Italienischen und im Spanischen. Sowohl scappata als auch escapada sind auf das vulgärlateinische Verb excappare zurückzuführen, das sich aus der Vorsilbe für ab (ex) und dem Wort für Kopfbedeckung oder Mönchsgewand zusammensetzt: cappa. Das Mönchsgewand ablegen also. Ein wunderbarer Euphemismus für besonders leidenschaftliches Verhalten.
Der Boulevard stammt ursprünglich aus dem Niederländischen. Das niederländische bulwerc erinnert an das deutsche Bollwerk. Und auch er französische Name der heutigen Prachtstraßen lässt noch erahnen, wie diese entstanden sind. Nämlich aus eingeebneten Stadtmauern, die zuvor ringförmig um eine Stadt herum gebaut worden waren. In Frankreich lassen sich Boulevards sehr einfach von Avenues und Alleen unterscheiden. Während Boulevards immer der Richtung ehemaliger Stadtmauern folgen, führen Avenues vom Stadtkern geradewegs — also ohne Krümmung — in die banlieus, den Vororten. Das lateinischsprachige Vorbild advenire unterstreicht die Funktion dieser Hauptverkehrsstraßen. Es bedeutet nämlich herankommen. Alleen kommen vom französischen Verb für gehen (aller). Was nicht von ungefähr kommt, denn diese baumbestandene Wege waren ursprünglich Fußgehenden vorbehalten.
Und jetzt habe ich doch tatsächlich Lust, mir mein schönes Sommerkleid anzuziehen und in den Schönbrunner Schlossgärten herumzuschlendern, ich meine: zu flanieren. Auch das könnte französischer nicht sein. Aber Achtung: Nicht immer ist alles Gold, was glänzt. Oder französisch, wenn es französisch aussieht.
So wie beim Friseur. Der geht zwar tatsächlich auf das Verb friser zurück, was so viel bedeutet wie sich kräuseln. Die Verbindung zur Tätigkeit eines Haarpflegers ist also durchaus gegeben. Die Berufsbezeichnung haben wir uns aber selbstausgedacht. Einfach ein -eur hinten dran, wie es im Französischen typisch ist, und schon fühlt man sich wie am französischen Hof. Ziemlich gefinkelt oder? Auch den Salon, bei dem wir unsere Reise heute begonnen haben, ist eigentlich gar nicht Französisch. Das dem Salon zugrunde liegende sala für Hof, Haus oder Gebäude stammt nämlich aus dem Langobardischen und ist somit germanischen Ursprungs. Und damit mehr Deutsch als Französisch. Also hütet euch vor einer Blamage. Die übrigens auch nicht französisch ist. Das deutsche Substantiv hat sich zwar aus dem französischen Verb blamer — also tadeln — gebildet. Das Nomen auf der Endung -age ist in Frankreich allerdings nicht gebräuchlich. Eine Peinlichkeit? Mitnichten. So sind sie nun mal die Sprachen. Sie wandeln — durch die Welt und dabei auch sich selbst. Wie heißt es noch so schön: C’est la vie!