Spracherwerbstheorien

Wie lernen Kinder Sprache?

Kuck mal, wer da spricht?

Ist es nicht erstaunlich, wie schnell kleine Kinder sprechen lernen? Scheinbar mühelos lernen sie Wörter, Grammatik und alles, was sonst noch dazugehört, um sprachlich mit anderen zu interagieren. In der Geschichte der Spracherwerbsforschung haben sich einige wenige große Erklärungsmodelle für dieses Phänomen herausgebildet. Diese reichen von nativistischen Ansätzen über interaktionistische Ansätze bis hin zu kognitivistischen Ansätzen sowie neuerdings auch Ansätzen, die über diese Dreiteilung hinausgehen. Genau diese Modelle wollen wir uns heute etwas genauer ansehen.

Das Thema ist natürlich viel zu groß, um es in all seinen vielen Facetten auszurollen. Wir werden uns einen groben Überblick über die gängigsten Erklärungsansätze verschaffen, und zwar indem wir sie in drei (einhalb?) große Erklärungsmodelle zusammenfassen. Anstatt nach den internen Streitpunkten, und Machtkämpfen teilweise, innerhalb dieser großen Modelle zu suchen, werden wir die Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen herausarbeiten.

Bevor wir das aber tun können, müssen wir uns klarwerden, worüber wir heute überhaupt reden werden. Wir müssen also zuerst definieren, was wir unter Spracherwerb verstehen, und dann auch noch eruieren, was es daran genau zu erklären gibt.

Spracherwerb vs. Sprachenlernen

Der Begriff Spracherwerb ist in der Literatur nicht klar definiert. Abgegrenzt werden kann bzw. könnte er aber von Konzept des Sprachenlernens. Wie genau diese Abgrenzung dann genau aussieht, welche “wirklich” die Unterschiede zwischen Spracherwerb und Sprachenlernen sind, wird in der Literatur mitunter auch kontrovers diskutiert.

Eine Unterscheidung, auf die ich mich heute beziehen möchte, weil sie für unser heutiges Thema sinnvoll und wichtig sein kann, wurde von Britta Hufeisen und Claudia Riemer vorgeschlagen. Sie differenzieren weniger zwischen Erwerb und Lernen, weil es immer einen — heutzutage sogar immer wichtiger werdenden — Bereich gibt, in dem sich diese beiden Prozesse überlappen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Erwerb auf der einen Seite auf natürliche Weise passiert, also ungesteuert abläuft, wie das zum Beispiel bei kleinen Kindern der Fall wäre, die ihre Muttersprache oder ihre ersten Sprachen lernen, und Lernen auf der anderen Seite in institutionellen Kontexten wie der Schule oder Sprachkursen in etwas stattfindet, befindet sich Zweitspracherwerb von älteren Kindern oder Erwachsenen zum Beispiel, die die Zielsprache im Zielland in einem solchen Sprachkurs (Integrationskurs, DaF-Kurs, DaZ-Kurs und so weiter) lernen, irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Natürlich kommen diese Menschen mit der Zielsprache auch außerhalb des Kurses in Kontakt. Man muss hier also von einer Überlappung von gesteuerten und ungesteuerten Erwerbsprozessen ausgehen.

Aber diese Unterscheidung ist heute eigentlich gar nicht zentral. Was heute wichtig ist — und das betonen auch die Autorinnen —, ist, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob man Sprache, und zwar egal welche und egal wie viele, zu ersten Mal lernt, also salopp gesagt: sprechen lernt, oder ob man eine Sprache, zusätzlich zu bereits erworbenen Sprachen lernt. Hier kann man dann zwischen L1, also der oder die ersten erworbenen Sprachen, und L2, also der oder den zweiten erworbenen Sprachen, unterscheiden. Auf die Details die hier im Rahmen der Sprachlehr- und -lernforschung bzw. der Spracherwerbsforschung ausgefochten werden, werden wir erst ein anderes Mal wieder zurückkommen, wenn es dann hier im Podcast um Mehrsprachigkeit in der Schule geht.

Heute werden wir ausschließlich von L1-Erwerb sprechen, also darüber, wie Sprache am Beginn des Lebens erworben wird, und wir werden davon ausgehen, dass dieser Erwerbsprozess ungesteuert ist.

Das zu erklärende Phänomen

Beim Spracherwerb geht es also darum, wie Kinder Sprachen erwerben. Soweit so gut. Doch wie genau sieht das aus, eine Sprache erwerben? Was genau, muss passieren, damit ein Kind am Ende eine Sprache erworben hat? Es muss Sprachlaute lernen und Wörter, Regeln, nach denen es diese miteinander kombinieren kann, sodass es für andere verständlich wird. Es muss aber auch lernen, dass und wie es Sprache einsetzen kann, um Gedanken auszudrücken, Gefühle, wie es mit Sprache handeln kann im Rahmen einer Sprachgemeinschaft. Dafür sind neben sprachlichen Fähigkeiten auch nonverbalen Signale wichtig, wie Gestik, Mimik zum Beispiel.

Das alles zusammengenommen ist eine komplexe Aufgabe, zu der es mittlerweile viel Forschung gibt, aus der hervorgeht — wenn auch nicht immer mit dem gleichen Fazit — dass sich diese Aufgabe in mehr oder weniger geordneten Schritten vollzieht. Welche diese Schritte sind und wie diese aussehen, das werden wir in den kommenden Folgen besprechen.

Heute blieben wir fürs Erste bei den Theorien zum Spracherwerb: Wir sprechen also heute dezidiert von Spracherwerb, dem Erwerb einer L1, und meinen damit den Erwerb einer Sprache im Säuglings- und Kleinkindalter. Dabei spielt es keine Rolle, welche Sprache das Kind erlernt oder ob ein Kind mit einer oder mehreren Sprachen gleichzeitig aufwächst. Natürlich gibt es von Sprache zu Sprache Unterschiede in der Entwicklung spezifischer sprachinterner Kompetenzen, etwa die Beobachtung, dass türkischsprachige Kinder die entsprechenden morphologischen Markierungen für Einzahl oder Mehrzahl bei Hauptwörtern sehr viel schneller zu beherrschen scheinen als zum Beispiel Kinder, die Arabisch lernen. Das liegt dann natürlich daran, wie ausdifferenziert die grammatischen Regeln in den einzelnen Sprachen sind.

Aber darum kann es heute in dieser Einführungsfolge leider nicht gehen. Und es wird auch nicht — einmal seit langem — um Mehrsprachigkeit per se gehen. Ich werde am Ende schon noch ein paar Worte zu den Besonderheiten von mehrsprachigem Spracherwerb sagen, werde mich aber im Großteil der Folge auf den einsprachigen Spracherwerb konzentrieren und dort, wo es geht, Beispiele zum konkret deutschsprachigen Spracherwerb bringen.

Die vorhin angesprochen zu erklärenden Phänomene, also der Wortschatzaufbau zum Beispiel, oder der Grammatikerwerb, können nun auf unterschiedliche Weise erklärt werden. In der Geschichte der Spracherwerbsforschung haben sich hier einige wenige große Erklärungsmodelle herausgebildet. Diese reichen von nativistischen Ansätzen über interaktionistische Ansätze bis hin zu kognitivistischen Ansätzen sowie neuerdings auch Ansätze, die über diese Dreiteilung hinausgehen. Die beiden zentralen Streitfragen, die zu einer Abgrenzung der unterschiedlichen Modelle voneinander geführt haben, sind erstens die Frage nach angeborenem auf der einen Seite und erworbenem Wissen auf der anderen Seite und zweitens die Frage nach sprachspezifischem und domänenspezifischem Wissen. Bei Versuchen, die Forschungslandschaft zu kartographieren, ist aber immer mitzubedenken, dass diese Modelle, die ich gerade genannt habe, schon lange nicht mehr in ihrer “Reinform” existieren.

Das Problem, vor dem alle Erklärungsmodelle gleichermaßen stehen, ist jenes, dass Sprache für uns viel zu komplex erscheint, als dass Kinder sie so einfach lernen könnten. Ohne Lehrerin, die ihnen auch nur eine einzige Regel erklären würde. In diesem Zusammenhang geht es speziell um das Argument der Inputarmut, das im Großen und Ganzen besagt, dass Kinder von ihrem Umfeld, ihren Bezugspersonen, nicht ausreichend sprachliche Daten zur Verfügung gestellt bekommen würden, um die kompetenten Sprecher·innen zu werden, die sie später eben einmal werden. 

Der sprachliche Input sei einerseits unvollständig, weil ein Kind halt nicht alle theoretisch möglichen Sätze hören würde, könnte, bevor es selbst anfängt grammatisch korrekte Sätze zu bilden in seiner oder ihrer Erstsprache. Der Input sei andererseits auch fehlerbehaftet, das heißt die Menschen, die mit dem Kind sprechen, denen das Kind beim Sprechen zuhört, würden nicht immer korrekte Sätze bilden. Sie versprechen sich, sie brechen Sätze vorzeitig ab und so weiter.
Und genau in der Art und Weise wie an diese Überlegungen herangegangen wird, unterscheiden sich dann eben auch die klassischen Erklärungsmodelle, die wir uns heute anschauen wollen.

Nativistische Ansätze

Der mit Abstand berühmteste Vertreter, um nicht zu sagen Begründer, des Nativismus in der Spracherwerbsforschung ist mit Sicherheit Noam ChomskyChomsky geht davon aus, dass Kinder immer schon mehr über Sprache wüssten, als sie im Input vorfinden würden. Dieses Wissen sei in ihnen quasi genetisch angelegt. Anfangs ging Chomsky davon aus, dass es sich bei diesem Wissen wirklich um Modul im Gehirn handelt, in denen bestimmte Sprachstrukturen, sogenannte Sprachuniversalien, und das Wissen darüber, wie man Hypothesen bildet und bewertet, gespeichert sind. Dieses Modul hat er damals Language Acquisition Device genannt. Das war also sein erstes Modell für seine Univeralgrammatik, von der wahrscheinlich viele von euch schon einmal gehört haben. Dabei handelt es sich um all das grammatische und sprachliche Wissen, mit dem ein Kind zur Welt kommen muss, um eine natürliche Sprache zu erwerben. Und zwar egal welche, denn für Chomsky waren diese angeborenen Strukturen eben universal, also für alle Sprachen gleich.

Auch wenn sich dieses Erklärungsmodell in den vergangenen Jahrzehnten stark weiterentwickelt hat, teilen die verschiedenen Ausprägungen die Annahme, dass Kinder gewisse angeborene Fähigkeiten besitzen würden, die ihren Spracherwerb maßgeblich bestimmen würden.

Außerdem hat man in diesem Zusammenhang ein Gen entdeckt, das sogenannte FOXP2-Gen, das vermutlich bei der Ausführung kommunikativer und vokaler Abläufe wirksam wird, insbesondere was die motorische Kontrolle von Sprechverläufen anbelangt. Im Zusammenhang mit grammatischen Fähigkeiten bzw. Defiziten (Entdeckungen dieser Art werden meist im Rahmen von Studien zu Sprachstörungen gemacht) konnten dagegen noch nicht auf eine genetische Grundlage zurückgeführt werden.

Aber egal, ob irgendwann einmal tatsächlich ein sogenanntes Sprachgen gefunden werden sollte oder nicht, was man bei Genen immer bedenken muss, ist, dass Gene sich ja nie direkt auf ein spezifisches Verhalten auswirken, sondern immer nur über andere anatomische Strukturen, also das zentrale Nervensystem, das autonome Nervensystem und das hormonelle System. Wobei die Entwicklung und Funktion dieser Strukturen auch mehr oder weniger stark von Umwelteinflüssen mitbestimmt wird. In diesem Zusammenhang produzieren Gene eben nur Moleküle, sonst nichts.

Es haben sich eben, wie gesagt, im Laufe der Jahrzehnte mehrere angepasstere Ansätze aus diesem ursprünglichen nativistischen Modell heraus entwickelt. Dazu gehören unter anderem das Prinzipien und Parameter-Modell. Auch dieses Modell stammt direkt von Chomsky selbst. Es geht bei diesem Modell nicht mehr von einer singulären Universalgrammatik für alle Sprache der Welt aus, sondern nur mehr davon, dass ein Kind von Anfang an Wissen über universale Prinzipien der Sprache besitzt. Das heißt die Sprachen der Welt würden sich eben nicht mehr eine Basisgrammatik teilen, sondern eben nur mehr einzelne Prinzipien. Zum Beispiel das Prinzip, dass Wörter miteinander kombiniert werden können. Welche genau mit welchen, um vor allem auch in welcher Reihenfolge, ist aber von Sprache zu Sprache unterschiedlich. Ob es heißt der blaue Himmel oder le ciel bleu (frz. „der Himmel blau“) wird dann durch bestimmte Parameter fixiert. 

Das heißt das Kind hat quasi eine Art Schaltkasten im Kopf, bei dem dann durch den muttersprachlichen Input nur noch die Schalter so oder so umgelegt werden müssen, sodass die Grammatik, die zuerst eben universal war, eben zur entsprechenden Muttersprache passt.

Bei gemäßigteren nativistische Ansätzen geht es dann im Grunde eigentlich nur mehr darum, das Ausmaß der Sprachstrukturen, die man für angeboren hält, zu reduzieren. Also man bleibt immer noch dem Paradigma der Angeborenheit verpflichtet, geht aber nicht mehr vielen verschiedenen Strukturen oder Prinzipien aus, sondern nur mehr von einer einzigen Grundlage für die menschliche Sprachfähigkeit. Von Chomsky selbst wieder einmal wurde hier die Rekursivität vorgeschlagen. Darunter versteht man die Fähigkeit, dass wir aus einem begrenzten Inventar an sprachlichen Mitteln unendliche Anwendungsmöglichkeiten schöpfen können. 

Bei stärker prozessorientierten nativistischen Ansätzen wiederum, die auch diesen gemäßigteren Ansätzen zuzurechnen wären, kommen überhaupt davon ab, nach angeborenen Strukturen im Gehirn zu suchen und gehen stattdessen davon aus, dass es eher Mechanismen sind, die angeboren sind. Allgemeine Mechanismen, die es den Kind erlauben, Sprache ganz genau zu beobachten, und sie effizient verarbeiten zu können.

Wie dem auch sei, egal welcher Ausprägung des Nativismus diese Ansätze folgen, sie gehen alle davon aus, dass erstens Kinder selbst im Erwerbsprozess keine aktive Rolle einnehmen, Sprachenlernen würde also einfach so passieren, und dass zweitens sprachlicher Input zwar notwendig sei, um sprechen zu lernen, aber nur als Auslöser, sogenannter Trigger. Bezugspersonen als Gesprächspartner·innen, spielen in diesen Erklärungsmodellen also kaum eine Rolle.

Interaktionistische Ansätze

Ganz anders ist das bei sogenannten interaktionistischen Ansätzen. Diese interessieren sich nämlich gerade auf die Lernumgebung der Kinder. Sie folgen also im Gegensatz zu nativistischen Ansätzen keiner Inside-out-Annahme, sondern einer Outside-in-Annahme. Ausschlaggebend für die Entwicklung interaktionistischer Modelle war die Feststellung, dass der sprachliche Input gar nicht so ungrammatisch und ungeordnet ist, wie von Chomsky angenommen wurde.

Außerdem würden Bezugspersonen ein kommunikatives Unterstützungssystem aufbauen, in dem dann Spracherwerb stattfinden kann. Der Spracherwerb wird in diesem Modell also von außen gestützt. Eltern müssten dabei nicht explizit Grammatikregeln vermitteln — das tun sie ja meist auch nicht — sondern nur korrigierende Rückkopplungsstrategien (Feedback) anwenden, die praktisch als indirekte negative Evidenz angesehen werden können. Wenn ein Kind zum Beispiel sagt: das rot und seine Mama darauf reagiert mit: ja, das ist rot, dann hat sie ihm oder ihr zwar nicht direkt gesagt, dass sein oder ihr Satz grammatisch noch nicht ganz vollständig war, aber sie hat durchaus gezeigt, dass ihr Satz von Satz des Kindes abweicht, und wodurch.

Dabei geht man aber meist nicht davon aus, dass sich eine fördernde Umgebung generell fördernd auf die Entwicklung auswirken. Man unterscheidet eher zwischen sozial-pragmatischen und datenbezogenen Faktoren.

Zu den sozial-pragmatischen Faktoren zählt man die Herstellung gemeinsamer Aufmerksamkeit, die Reaktionen der Bezugspersonen oder das Sprechen in emotional positiv besetzten Interaktionen. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder nicht auch in weniger fördernden Umgebungen lernen würden, etwa wenn Kind und Bezugsperson gerade nicht auf ein und dasselbe Objekt fokussieren.

Gerade auch deswegen spielt eben die datenliefernde Funktion des Inputs eine wichtige Rolle. Dabei geht es um die Häufigkeit und die Anzahl der Wörter, die ein Kind hört, um die Komplexität und die Vielfalt der Satzstrukturen und um die prinzipielle Länge der Äußerungen. Es gibt zum Beispiel Studien, die einen Zusammenhang mit der Wortschatzgröße beim Kind mit der Vielfalt und Menge der Wörter sowie der Länge der Äußerungen im sprachlichen Input der Mütter nachgewiesen haben.

Grundlegend für interaktionistische Ansätze allgemein ist die Idee, dass Kinder deswegen sprechen lernen, weil sie kommunizieren und sich mit anderen austauschen wollen. Gelingen tut ihnen das Sprechenlernen deswegen, weil ihre Bezugspersonen in der Regel in kindgerechter Weise mit ihnen sprechen und dieser Input nachgewiesenerweise informationsreich ist.

Kognitivistische Ansätze

Ein dritter Erklärungsansatz für die kindliche Sprachentwicklung, den ich heute ansprechen möchte, stellt die allgemeine kognitive Entwicklung des Kindes in den Vordergrund. Kognitivistische Ansätze sehen in Sprache keine spezifische Entwicklungsaufgabe. Ein Name, der eng mit dieser Auffassung verbunden ist, ist jener des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget.

Dieser sieht in der kindlichen Entwicklung, kurz zusammengefasst, ein Wechselspiel zwischen äußeren Einflüssen und inneren Strukturen. Piagets Stadien der Intelligenzentwicklung wurden mittlerweile zwar im Rahmen neuerer Forschungen relativiert, die Idee, das Spracherwerb ein aktiver und konstruktiver Prozess ist, bleibt aber auch heute noch zentral in verschiedenen Strömungen der Spracherwerbsforschung.

Als wesentliche Funktion von Sprache sehen kognitivistische Modelle die Repräsentation. Anders gesagt, Sprache dient in erster Linie dazu, anderes darzustellen. Als Grundlage für die Verwendung von Sprache wird das kindliche Symbolspiel gesehen: Das heißt erst wenn das Kind verstanden hat, dass der Holzbaustein in der Hand im Spiel auch ein Auto sein kann, der Baustein also als Symbol für das Auto stehen kann, das ja real nicht existiert, ist die Verwendung von Sprache zur Repräsentation außersprachlicher Wirklichkeit möglich. Das ist nun zwar für den Wortschatzerwerb durchaus relevant, für andere sprachliche Teilbereiche allerdings weniger. Diese — vor allem grammatische Fähigkeiten — werden aber im Rahmen kognitivistischer Modelle kaum behandelt. Kognitivistische Modelle betonen, im Gegensatz zu nativistischen und interaktionistischen, weniger die kommunikative Funktion von Sprache, sondern eher begrifflich-semantische Aspekte.

Ausgehend von den beiden letzten Ansätzen, also dem interaktionistischen und dem kognitivistischen, haben Forscher·innen einen weiteren Versuch gestartet, Spracherwerb zu erklären.

Konstruktivistsiche Ansätze

Sogenannte konstruktivistische Ansätze greifen auf kognitive Aspekte zurück, betonen aber aber auch, wie wichtig es für Kinder ist, mit anderen zu interagieren. In sozial-pragmatischen Ansätzen wie dem von Michael Tomasello zum Beispiel, gibt es zwar eine biologische, evolutionär entstandene Voraussetzung für Sprache und Kommunikation, allerdings ist diese Ausstattung nicht sprachspezifisch.

Spracherwerb kann damit als Teil eines generellen kulturellen Lernprozesses modelliert werden. Kinder würden nach und nach verschiedene soziale und kognitive Fähigkeiten erwerben, eine sogenannte kooperative Infrastruktur, wobei sprachliche Kommunikation nur eine unter vielen Fähigkeiten ist, die daraus resultiere.

Für Tomasello ist menschliche Kommunikation ein “grundlegend kooperatives Unternehmen”, und Sprache konstruiere sich im gemeinsamen Handeln. Das ist eine Perspektive, die sehr auf pragmatischen und semantischen Aspekten fokussiert. Um das Erlernen von strukturbezogenen Aspekten zu erklären, setzt der konstruktivistische Ansatz auf Imitation. Sehr kleine Kinder hören Sprache und würden sie dann imitieren. Mit dieser Sichtweise steht Tomasello durchaus nicht alleine da. Dabei wird Imitation nicht als unmotiviertes Wiederholen angesehen, sondern als eine Art aktives Lernen, das kulturell vermittelt wird, und bei dem nur Verhalten wiederholt wird, das sich durch eine bestimmte Absicht auszeichnet.

Sprache wird also deswegen von Kindern wiederholt, weil diese verstehen, dass Erwachsene mit ihr kommunizieren können und wollen. Aus konstruktivistischer Sicht besitzen Kinder nicht von Beginn an über sprachliches Wissen, so wie das in nativistischen Ansätzen vorausgesetzt wird, Kinder würden zuerst einmal ihre Umgebungssprache nachahmen, ohne sie zu analysieren, und dann erst später durch Analogiebildung zu einem komplexen und strukturierten System gelangen.

So gesehen bildet des konstruktivistische Modell einen Gegenpol zum nativistischen. Erstens wird hier dem Input eine viel wichtiger Rolle zugeschrieben, und zweitens basiert Spracherwerb hier nicht auf sprachspezifischen Fähigkeiten, sondern auf domänenübergreifenden wie der Imitation und der Analogiebildung, bei welchen es sich um allgemein sozial-kognitive Fähigkeiten handelt.

Emergenzmodelle

Um die Dichotomie zwischen Inside-out- und Outside-in-Annahmen aufzubrechen, schlagen sogenannte Emergenzmodelle vor, beide Komponenten — also Umwelt und biologische Anlagen — in die jeweiligen Erklärungsansätze mit einzubeziehen. Nicht „nature or nurture“ müsse es heißen, sondern „nature and nurture“. Danach ginge es „nur“ noch darum, zu überprüfen, wie stark die jeweiligen Komponenten ausgeprägt sind.

Das Gleiche würde theoretisch auch für das Gegensatzpaar „sprachspezifisch“ und „domänenübergreifend“ gelten. Mittlerweile besteht eigentlich auch hier ein Konsens darüber, dass es eine gemeinsame Perspektive geben muss. Wenn man diese dichotomischen Sichtweisen aufgibt, werden hybride Modelle möglich, die Sprache als spezialisiertes Wissenssystem sehen, dass sich erst aus dem Zusammenspiel von kindlichen Fähigkeiten und Umweltfaktoren entdecken kann.

Zwar werden auch hier dem Kind früh vorhandene Lernmechanismen zugeschriebenen, der Input gewinnt hier aber an Bedeutung. Das Kind bleibt durchgehend aktiv im Erwerbsprozess, muss also aktiv neue sprachliche Informationen aufnehmen, durch die sich das Wissenssystem verändert, was wiederum auf die Verarbeitungsprozesse zurückwirkt, neue Informationen verwertet werden können und so weiter und so fort.

Das dynamische Zusammenspiel der kindlichen Kompetenzen einerseits und der Umwelt andererseits, die auf diese Kompetenzen mit Input und Modellen reagiert, wird in neueren Ansätzen in der Spracherwerbsforschung groß geschrieben.

So viel heute erst einmal zur Einführung zum Spracherwerb von einsprachigen Kindern. Wie angekündigt möchte ich jetzt noch kurz ein paar Worte zum mehrsprachigen Spracherwerb sagen.

Mehrsprachiger Spracherwerb

Grundsätzlich stellt man sich unter Spracherwerb das Sprechenlernen in der Muttersprache vor, und zwar in einer einzigen Muttersprache. Und um ehrlich zu sein, darauf war auch die heutige Folge bis jetzt ausgerichtet. Dabei wird aber gerne übersehen, dass viele Kinder nicht in dieser Art und Weise sprechen lernen. Viele lernen vom Babyalter an zwei oder mehr Sprachen gleichzeitig, andere wiederum lernen zuerst eine und dann ziemlich rasch eine zweite oder dritte Sprache. Beide Szenarien fallen aber aus sprachwissenschaftlicher Perspektive unter den Begriff Spracherwerb.

Im ersten Fall, also wenn ein Kind mehrere Sprachen gleichzeitig erwirbt, sprechen wir von simultanen doppelten / dreifachem Erstspracherwerb, im zweiten Fall, wenn das Kind erst später mit der zweiten, dritten Sprache und so weiter konfrontiert wird, sprechen wir von sukzessivem Spracherwerb. Wobei der Erwerb einer weiteren Sprache zwischen 4 und 6 Jahren in etwa mit dem Begriff Früher Zweitspracherwerb bezeichnet ist. Wenn Kinder vor einem Alter von 4 Jahren eine weitere Sprache lernen, geht man in der Spracherwerbsforschung mittlerweile von einfach von Erstspracherwerb aus. Das heißt man macht keinen Unterscheid bei der Betrachtung von Kindern, die in den ersten vier/fünf Lebensjahren eine oder mehrere Sprachen lernen, egal ob simultan oder sukzessiv.

Das ist im Rahmen der Spracherwerbsforschung ein großer und wichtiger Schritt in Richtung Mehrsprachigkeitsforschung, die für sich genommen dann natürlich noch einmal viel stärker mit einer Differenzierung von Begriffen arbeitet. Auch um den zahlreichen Erwerbskonstellationen, also den Lernumgebungen der Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, gerecht zu werden.

Und auch wenn auf der einen Seite der Zeitpunkt, an dem der Erwerb einer zweiten oder weiteren Sprache beginnt, in diesen Fällen wichtig zu sein scheint, Wechselwirkungen zwischen zwei oder mehr Einzelsprachen zu beachten sind, und auf der anderen Seite spezifische Mehrsprachigkeitsphänomene wie „Sprachmischungen“ wie zum Beispiel Transfer, Borrowing oder Code-Switching vorkommen, wird Mehrsprachigkeit im Kindesalter in den einschlägigen Fachdiskursen heutzutage zum Glück sehr viel positiver bewertet.

Man geht mittlerweile davon aus, dass der Erwerb mehrerer Sprachen im Kindesalter in den allermeisten Fällen vollkommen unauffällig passiert, genauso wie einsprachiger Spracherwerb auch, dass die eben erwähnten Mehrsprachigkeitsphänomene wie Code-Switching und dergleichen effektive Kommunikationsstrategien und adäquate stilistische Mittel sind und vor allem auch, dass Mehrsprachigkeit allein bzw. an sich die Sprachentwicklung nicht negativ beeinflusst oder gar zu Sprachentwicklungsstörungen führt.

Was können wir also von heute mitnehmen?

Zusammenfassung

Es wird heute kaum noch bestritten, dass für den Spracherwerb sowohl biologische Anlagen als auch Angebot und Anregung aus der Umwelt nötig sind. Die Frage nach dem Ausmaß und der Art der biologischen Faktoren einerseits und der Umweltfaktoren andererseits ist allerdings noch lange nicht abschließend geklärt.

Was sie menschliche Sprachfähigkeit auszeichnet, ist sie Fähigkeit, ein besonders reiches und komplexes System an Lauten, Wörtern und Regeln auf kreative Art und Weise zu benutzen. Die Tatsache, dass sich Kinder dieses System aneignen können, liegt zum einen an ihrer biologischen Ausstattung und zum anderen an einem reichlichen und speziell auf sie abgestimmten Sprachangebot in ihrem Umfeld. Was nun vermutlich passiert, ist, dass grundlegende und im Kind angelegte Lernmechanismen es ihm oder ihr ermöglichen, sprachsystematische Regularitäten im Sprachangebot gezielt anzusteuern und aufzunehmen und so erstes sprachliches Wissen zu etablieren. Dieses wiederum beeinflusst und steuert die weitere Entwicklung. Am Ende haben wir es also mit einem äußerst dynamischen Aufbau sprachlichen Wissens zu tun.

Mehr wissen

Nativistische Ansätze
Interaktionistische Ansätze
Kognitivistische Ansätze
Emergenzmodelle
  • Hollich et al., Breaking the Language Barrier (2000) ; Buch online
  • Hirsh-Pasek und Golinkoff, The Origins of Grammar (1996) ; Buch-Vorschau