Heute geht es wieder einmal um Grammatik. Auch wenn die ja eigentlich ein ziemlich schlechtes Image hat. Lesen tun viele. Sprachen lernen. Sich Wortgeschichten anhören. Fun Facts über Sprachen und ihre Sprecher*innen recherchieren. Aber wenn es darum geht, Satzglieder zu bestimmen oder Nomen zu deklinieren, steigen viele aus.

Dabei ist das mit der Grammatik — zumindest in der Erstsprache — gar keine große Hexerei. Kinder lernen die Grammatik ihrer Erstsprachen praktisch nebenbei, scheinbar ohne große Anstrengung. Im Gegenteil: Kinder machen zwar Grammatikfehler beim Erwerb ihrer Erstsprachen, lassen sich dadurch aber nicht abbringen. Das Fehlermachen ist ihnen eigentlich ziemlich egal.

Vermutlich, weil sie spüren, dass ihre Fehler nicht willkürlich passieren. Sondern systematisch. Aber ich greife vor. Schauen wir uns noch kurz an, worum es heute gehen wird.

Morphologie und Syntax

Wenn wir über die Grammatik einer Sprache sprechen, verlassen wir die reine Wortebene und sehen uns an, wie und in welcher Form einzelne Wörter beim Sprechen und Schreiben miteinander kombiniert werden. Und da hat eben jedeSprache ihre eigenen Regeln.

Diese Regeln betreffen einerseits die Reihenfolge der Wörter im Satz, hier sprechen wir in der Sprachwissenschaft von Syntax. Und die Regeln betreffen andererseits die Form der Wörter, sie geben also an, wie sich Wörter in ihrer Form verändern können. Hier sprechen wir in der Sprachwissenschaft von Morphologie.

Ein einfaches Beispiel für ein morphologisches Phänomen wäre die Wortbildung. Wörter können auf Deutsch auf ganz unterschiedliche Art und Weise gebildet werden. Dazu gehört unter anderem die berühmt berüchtigte Komposition, die das Deutsche von vielen anderen Sprachen unterscheidet. Bei der Komposition nehmen wir zwei eigenständige Wörter und kleben sie quasi zu einem neuen langen Wort zusammen. Donaudampfschifffahrtsgesellschafts- und so weiter. Das sind dann diese potentiellen Wortungetüme, für die das Deutsche so bekannt ist.

Wenn sich die Regeln der Morphologie mit den Regeln der Syntax vermischen, wenn also die Art und Weise, wie ich ein Wort verändern muss, davon abhängt, ob und wie ich ein Wort in einem Satz verwende, dann sprechen wir von morphosyntaktischen Phänomenen. Das wäre zum Beispiel bei der Flexion der Fall.

Schließlich müssen wir müssen auf Deutsch unsere Verben in einem Satz nach dem Subjekt des Satzes beugen. Ein Beispiel:

  • ich spiele, aber
  • du spielst

Die Wortbedeutung ändert sich durch die Flexion nicht. Spiele und spielst haben die gleiche Bedeutung, was sich ändert ist nur die Person, die spielt.

Und damit haben wir eigentlich auch schon einen ersten vollständigen Satz. Ich spiele ist ein vollständiger deutscher Satz. Ein kurzer zwar., und keiner, mit dem man Literaturpreise gewinnt vermutlich, aber einer, der absolut der deutschen Grammatik entspricht.

Und genau darüber, wie Kinder zu ihren ersten eigenen Wortkombinationen kommen, und diese dann irgendwann zu Mehrwortsätzen ausbauen, darüber wollen wir heute ein bisschen genauer sprechen. Aber alles der Reihe nach. Denn wie bei den Lauten und bei den Wörtern, fängt auch bei den Sätzen alles beim Hören an.

Frühe rezeptive syntaktische Fähigkeiten

Nicht nur hier im Blog, sondern auch beim tatsächlichen Spracherwerb setzt der Erwerb produktiver syntaktischer Fähigkeiten — verglichen mit anderen Fähigkeiten wie der Produktion erster Laute oder erster Wörter — erst relativ spät ein.

Das gilt allerdings nur für die produktive Seite. Nicht für die rezeptive. Dazu müssen wir uns eigentlich nur zurückerinnern an die Folge zur frühen Sprachwahrnehmung. Dort haben wir schon einmal über die frühen Sprachverarbeitungsfähigkeiten von Babys im ersten Lebensjahr gesprochen.

Mit sieben Monaten erkennen Kinder bereits Funktionswörter im Sprachstrom — zum Beispiel Präpositionen wie mit, auf, bis — , was ihnen dabei hilft, grammatikalische Kategorien zu bilden. Da sich ihre Aufmerksamkeit stark am Sprachrhythmus orientiert, gelingt es ihnen bereits mit neun Monaten syntaktische Einheiten wahrzunehmen, es ist ihnen also klar, welche Wörter in einem Satz zusammengehören. Ab ca. 16 Monaten, gelingt es Kindern, Wörter einer bestimmten Wortart zuzuordnen. Wer sich nicht mehr an das Experiment mit dem Pronk erinnern kann, sollte sich nach diesem Beitrag gleich noch einmal Folge 12 anhören. Mit 18 Monaten ist das implizite kindliche Grammatikwissen so weit ausgeprägt, dass es Kindern auffällt, wenn jemand beim Sprechen gegen grammatische Regeln verstößt.

Aus diesen Daten schließen einige Forscher·innen (s. ex. Penner et al. 2006; Weissenborn 2000), dass Kinder bereits vor ihrem zweiten Geburtstag über ein umfangreiches rezeptives grammatisches Wissen verfügen.

Dieses Wissen zeigt sich schließlich auch in der kindlichen Sprache. Laut Rosemarie Tracy (2008) nähern sich Kinder zwischen einem und etwa dreieinhalb Jahren schrittweise in vier wichtigen Entwicklungsphasen dem zielsprachigen — also in unserem Fall deutschsprachigen — System.

Die Art und Weise wie Tracy den Erwerb syntaktischer Fähigkeiten erklärt, ist eher den nativistischen, aber den gemäßigten nativistischen Zugängen in der Spracherwerbsforschung zuzurechnen. Sie geht also davon aus, dass Kinder bereits sehr früh ein sehr gutes Verständnis für die Architektur deutscher Sätze hätten und sich das in ihren kindlichen und zunächst noch unvollständigen Sätzen auch zeigen würde.

Die Entwicklungsschritte werden bei Tracy durch gewisse qualitative Sprünge in der sprachlichen Entwicklung (sogenannte Meilensteine) markiert.

Meilenstein I

Der erste Meilenstein liegt in etwa zwischen 10 und 18 Monaten. Die meisten Kinder fangen um den ersten Geburtstag herum an zu sprechen. Zunächst sind das nur relativ wenige einzelne Wörter, wobei sich der Wortschatz in dieser Phase noch sehr langsam vergrößert. Die wichtigsten Details zum Wortschatzerwerb haben wir ohnehin schon in der letzten Folge ausführlich besprochen.

Meilenstein II

Der zweite Meilenstein folgt dann irgendwann zwischen 18 und 24 Monaten und ab hier wird es für uns heute besonders interessant. Denn in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres haben die meisten Kinder genug einzelne Wörter in ihrem produktiven Wortschatz, um diese Wörter auch miteinander kombinieren zu können. Man geht davon aus, dass das Kombinieren von Wörtern ab einem Wortschatzumfang von ca. 50 Wörtern losgehen kann. Und damit wird die Syntaxentwicklung — die ja bis jetzt nur auf rezeptiver Seite im Gange war — nun endlich auch beim Sprechen hörbar.

Beim Erwerb syntaktischer Fähigkeiten geht es für das Kind einerseits darum, Länge aufzubauen, also immer mehr Wörter zusammenzuknüpfen, und andererseits geht es darum, all diese vielen Wörter auch in eine korrekte Reihenfolge zu bringen, sowohl in einfachen Sätzen (z. B.: Hauptsätze, Fragesätze) als auch in komplexeren Sätzen (z. B.: Nebensätze, Passivsätze). Das bedeutet aber nicht, dass Kinder erst fünf Wörter lange Sätze sprechen und dann erst anfangen zu sortieren, während vorher alles noch heilloses Chaos war. Im Gegenteil.

Aber alles der Reihe nach.

Grundsätzlich beginnen Kinder in allen Sprachen eigentlich mit Zweiwortäußerunge.

  • Katze weg.
  • Mimi Sessel.
  • Kinder laut.

Die Äußerungen werden dann immer länger, je älter die Kinder werden. Dabei kann sowohl das Einsetzen von Zweiwortäußerungen als auch die Äußerungslänge individuell variieren. Besonders bei zweijährigen Kindern sollen sehr große Unterschiede zu beobachten sein.

Für den Spracherwerb des Deutschen konnte in einer Längsschnittstudie festgestellt werden, dass die Entwicklung der Syntax nicht unabhängig von der Entwicklung des Wortschatzes ist. Die Autorin dieser Studie schlussfolgert aus den gesammelten Sprachdaten, dass Kinder, die mit 21 Monaten mehr Wörter verwenden, dann mit drei Jahren auch längere, korrektere und komplexere Äußerungen produzieren.

Zugegeben, das, was Kinder in dieser Phase von sich geben, klingt noch eher nach Telegrammstil als nach wohlgeformten deutschen Sätzen. Die ersten Wörterkombinationen klingen vielleicht wie Brot essen oder Tür zu. An diesen Beispielen hören wir sehr deutlich, dass einerseits natürlich noch sehr viele Wörter fehlen. Vor allem Artikel, Präpositionen und so weiter lassen Kinder in diesem Alter noch aus.

Andererseits sehen wir aber auch, dass sowohl Verben wie essen in der Infinitivform und sogenannte Verbpartiklen wie zu am Ende der Äußerung stehen. Verbpartikeln sind Teile eines Verbs, die in einem Satz vom Verbstamm abgetrennt werden, und dann typischerweise ans Ende des Satzes geschoben werden, während der Rest vorne stehen bleibt.

Ein Beispiel:

  • Tür zu.

Vermutlich sollte der Satz beim Kind eigentlich heißen:

  • Mach die Tür zu. (Aufforderung)
  • Die Mama macht die Tür zu. (Aussagesatz)

Wir sehen hier, dass das Wort zu eigentlich zum Wort zumachen gehört, so wie auf zu aufmachen, oder an zu anmachen. Diese kleinen Wörter, die Partikeln zu, auf, an und so weiter stehen typischerweise am rechten Rand eines Satzes. In der Grammatikforschung würden wir sagen, sie stehen in der rechten Satzklammer.

Auf diese Satzklammer werden wir gleich noch einmal zurückkommen.

Exkurs Satzbau

Allerdings ist das hier vielleicht auch ein guter Zeitpunkt, um ein paar grundlegende Dinge der deutschen Satzstruktur zu wiederholen. Denn Deutsch hat, was die Satzstellung angeht, eine Besonderheit, durch die es sich von den allermeisten anderen Sprachen der Erde unterscheidet. Nämlich eine variable Verbstellung.

Deutschsprachig aufwachsende Kinder müssen nämlich lernen, dass finite Verben, also Verben, die gebeugt sind, die an das Subjekt angepasst worden sind (ich laufe statt laufen), je nach Satzart im Deutschen an einer anderen Position stehen müssen.

Wie in anderen Sprachen auch, haben wir auf Deutsch zwei unterschiedliche Satztypen.

  • Hauptsätze: können für sich allein stehen.
  • Nebensätze: können nicht allein stehen, müssen immer an einen Hauptsatz gebunden sein.

Das Besondere am Deutschen ist nun aber, dass die finiten Verben in einem Hauptsatz immer an zweiter Position stehen, in einem Nebensatz aber immer an letzter Position.

Noch ein Beispiel:

Die Kinder essen zu Mittag (Hauptsatz), bevor wir in den Park gehen (Nebensatz).

Und genau diese variable Verbstellung kann nun auch zur Erklärung kindlicher Mehrwortäußerungen in dieser Phase des Syntaxerwerbs herangezogen werden. Wenn man nun nämlich weiß, dass das gebeugte Verb auf Deutsch sowohl an zweiter als auch an letzter Position vorkommen kann, klingen Sätze wie Mama auch Durst hat gar nicht mehr so falsch. Als Reaktion auf eine Warum-Frage, wäre diese Äußerung nämlich durchaus korrekt. Warum trinkt die Mama? — Ja warum? Weil Mama auch Durst hatDas einzige, was das Kind vergessen hat, weil es in der Entwicklung einfach noch nicht so weit ist, ist die Konjunktion weil. Die muss man sich als Erwachsene oder Erwachsener eben einfach dazu denken. So wie wir es bei den Artikeln oder den Präpositionen ja auch machen.

Meilenstein III

Der dritte Meilenstein wird meist in einem Alter zwischen 24 und 36 Monaten erreicht. Man erkennt diesen Sprung in der Entwicklung daran, dass Kinder in diesem Alter anfangen, gebeugte Verben in einfachen Sätzen an die zweite Position zu stellen. Genau so, wie es eigentlich sein sollte.

Gleichzeitig tauchen nun auch andere Wortklassen auf, die bis jetzt meist ausgelassen wurden: u. a. Artikel (der, die, das, ein, eine, …) , Präpositionen (zu, mit, auf,…), Hilfsverben (müssen, können, wollen,…).

  • Mama Lego spielen. wird zu Die Mama spielt Lego.

Die Artikeln sind da  — ob sie auch korrekt sind, ist wieder eine andere Geschichte  —, das Verb ist gebeugt und es steht an der richtigen Position.

Natürlich ist keine der vier Phasen, die bei Tracy beschrieben werden, vollkommen getrennt von den anderen zu sehen. Phasen- oder Stufenmodelle in der Spracherwerbsforschung sind immer als durchlässige Modelle zu verstehen. Entwicklungsphasen folgen nicht eine auf die andere, wobei die eine abgeschlossen sein muss, bevor die andere anfängt. Vielmehr entwickelt ein Kind eine neue Fähigkeit, die zwar auf eine neue Phase hinweist, deswegen aber alte Strategien nicht ablöst oder überflüssig macht. Das heißt es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass Kinder nach dem Erwerb einer bestimmten Fähigkeit, alte Muster noch  — eine Zeit lang zumindest — beibehalten.

Und genauso ist es auch hier: Die Kinder haben grundsätzlich verstanden, dass das Verb, wenn es gebeugt ist, an Position zwei gehört, produzieren aber auch immer wieder Sätze, in denen sie das gebeugte Verb am Ende lassen. Auch das erklärt Tracy wieder mit einer grammatikalischen Besonderheit der deutschen Sprache.

Wir haben bereits am Anfang über die sogenannte Satzklammer gesprochen. Die wird jetzt noch einmal wichtig. Trennbare Verben wie zumachen, aufräumen oder einkaufen werden im einfachen deutschen Hauptsatz in der Mitte getrennt. Der Verbstamm bleibt wie gewohnt an Position zwei und die Verbpartikel rutscht ans Ende des Satzes. Wenn man nun Stamm und Partikel einkreisen würde und die beiden Kreise mit einem Bogen verbinden würde, entsteht eine Art Klammer auf dem Papier — die Satzklammer eben.

Und die ist im Deutschen super wichtig. Omnipräsent quasi. Auch für Kinder schon. Nicht nur bei trennbaren Verben. Viele Sätze werden nämlich mit dieser Satzklammer gebildet.

Noch zwei Beispiele:

  • Mama hat schon Nudeln gekocht. (Sätze im Perfekt (1. Vergangenheit))
  • Ich will auch Nudeln essen. (Sätze mit Modalverben)

Und genau das dürfte laut Tracy auch der Grund sein, warum Kinder, wenn sie bereits wissen, dass das gebeugte Verb im Satz auf Position zwei vorrückt, immer noch hin und wieder Sätze mit einer Infinitivform am Satzende produzieren. Weil sie es offensichtlich oft hören. Sie wiederholen also zielsprachliche Strukturen von Modalverbsätzen, sagen aber nur den Infinitiv am Schluss und lassen das Modalverb an der zweiten Position aus, weil Modalverben in der Entwicklung eben auch erst in dieser Phase gerade erworben werden. Das zeigt, dass der Verlauf des Erstspracherwerbs durchaus robust ist, was sich übrigens auch in Spracherwerbsstudien in anderen Sprachen als Deutsch bestätigen lässt, und dass die Kinder dabei sehr systematisch vorgehen.

Dass sie auf dem Weg zur Zielsprache durchaus auch sehr gewitzte Zwischenlösungen finden, um den anfänglichen Abstand zwischen implizitem Wissen und fehlenden sprachlichen Mitteln zu verringern, sehen wir zum Schluss noch einmal in der vierten und letzten Entwicklungsphase.

Meilenstein IV

Den vierten Meilenstein erreichen Kinder etwa ab 30 Monaten. Und zwar dann, wenn sie beginnen, komplexe Sätze (= Sätze mit auffälliger Satzstellung, Passivsätze, …) zu äußern. Typisch für diese Phase sind vor allem Nebensätze mit einer Konjunktion (dass, ob, wenn, …). Diese Nebensätze zählen im Deutschen zu den komplexen Sätzen, weil sie eine andere Verbstellung verlangen als Hauptsätze. Nämlich die Verbendstellung.

Häufig lassen Kinder hier anfangs zwar noch die Konjunktionen aus. Interessant ist aber, dass sie die außergewöhnliche, aber für das Deutsche typische, Verbletztstellung nur selten verletzen. Das heißt die gebeugten Verben stehen in den meisten Fällen trotzdem schon ganz hinten.

Belegen lässt sich diese Schlussfolgerung in der Forschung unter anderem an sogenannten Füllsilben. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Platzhalter, die an der Stelle zielsprachlicher Wörter stehen. Und zwar immer dort, wo die Kinder schon mehr über die deutsche Satzstruktur wissen, als sie mit Wörtern sagen können.

Beispiele

  • [nnnn] so laut is.

Als Antwort auf eine Warum-Frage, steht das [nnnn] am Anfang hier für die Konjunktion weil: Weil es so laut is.

  • Ich [eee] ein Hose maln.

Die Füllsilbe [eee] ersetzt hier ein Modalverb: z. B. Ich will / Ich kann eine Hose malen.

Kinder haben offenbar eine besondere Sensibilität für die typischen deutschen Satzmuster, und sie orientieren sich an dem, was sie hören, und zwar auch schon dann, wenn sie noch gar nicht alle Satzpositionen selbst füllen können.

Eine ähnlich clevere Idee, Lücken in Sätzen zu ergänzen, kann man übrigens auch bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern beobachten. Diese wählen oft richtige Füllwörter, anstelle von Füllsilben, und zwar einfach aus einer anderen Sprache. Ein Kind, das mit Deutsch und Englisch aufwächst, könnte zum Beispiel sagen:

  • Das darf man if man will.

Hier wurde das deutsche wenn durch das englische if ersetzt. > Das darf man, wenn/if man will.  Aber das mit der Mehrsprachigkeit ist wieder eine andere Geschichte; für bestimmt eine andere Folge.

Der Erwerb syntaktischer Fähigkeiten im Deutschen ist mit der Konstruktion “einfacher” Nebensätze zwar noch lange nicht abgeschlossen. Mit ungestörtem Entwicklungsverlauf haben aber alle Kinder mit zirka dreieinhalb bis vier Jahren die grundlegenden Regeln der deutschen Satzstruktur erworben.

Was dann noch bleibt, ist das Verknüpfen dieser Sätze zu eigenen Texten: zu ersten eigenen Geschichten, aber auch zu ersten schlechten Ausreden und vermutlich noch schlechteren ersten Witzen. Aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte.

Angeboren oder erlernt?

Der Verlauf, den wir uns heute angeschaut haben, das schrittweise Erreichen dieser vier großen Meilensteine, ist allerdings nur ein grober Einblick in die vielfältigen teilweise parallel verlaufenden, oft von Zwischenstufen durchzogenen Lernprozessen, die trotz der Verallgemeinerungen hier auch sehr individuell ablaufen können.

Eine wichtige Frage, die sich aber gerade aufgrund dieser Verallgemeinerungen stellt, ist: Handelt es sich bei diesen Prozessen um eine angeborene Logik? Sind Grammatikstrukturen von Geburt an in unseren Köpfen, in unseren Genen angelegt?

Nein, denn dann müssten alle Kinder der Welt am Ende die gleiche Grammatik, und damit die gleiche Sprache sprechen. Spracherwerbsverläufe sind zwar immer und überall stabil. Kinder, egal mit welchen Sprachen sie aufwachsen, gehen rund um den Erdball sehr systematisch beim Erwerb dieser Sprachen vor. Das zeigen zahlreiche einzelsprachliche Studien (vgl. Tracy 2008: 96).

Doch im Vergleich zwischen verschieden Sprachen zeigen sich Erwerbsunterschiede. Englischsprachige Kinder zum Beispiel kombinieren Verb und Objekt in ihrer ersten Äußerungen anders als deutschsprachige Kinder. Nämlich genau andersherum.

  • Deutsch: Objekt—Verb → Hut nehmen. ; Hund füttern.
  • Englisch: Verb—Objekt → Take hat. ; Feed doggie.

Die Art und Weise wie sich diese Verläufe generalisieren lassen, deuten jedoch darauf hin, dass Kinder eine besondere Sensitivität für die sprachlichen Strukturen ihrer Erstsprachen haben. Die Gestik, die Mimik, die Prosodie, aber auch der Kontext liefern den Kindern wichtige Hinweise, was ein Wort bedeutet, wie es verwendet wird, und welche Wörter mit anderen wie zu einem Satz verknüpft werden dürfen. Die Sensitivität für sprachliche Strukturen zusammen mit dem kindlichen Fokus auf diese anderen para- und nicht-sprachlichen Merkmale, scheinen die idealen Voraussetzungen dafür zu sein, dass der kindliche Spracherwerb auf die ein oder andere Weise und in den allermeisten Fällen erfolgreich zur Zielsprache führt.

Ein ausreichendes und diverses Sprachangebot ist und bleibt damit auch auf der Grammatikebene essentiell beim Sprechenlernen.

Fazit

Der kindliche Erstspracherwerb ist in den meisten Fällen sehr robust. Kinder eignen sich die Strukturen der Umgebungssprachen sehr systematisch an. Was am kindlichen Spracherwerb angeboren ist und was durch die Umwelt beeinflusst wird, ist bis heute ungeklärt. Feststeht, dass Kinder die Strukturen ihrer Erstsprachen sehr früh durchschauen und bereits in ihren ersten eigenen Wortkombinationen nachbauen.

Auf ihrem Weg zur Zielsprache lassen sich vier wichtige syntaktische Meilensteine identifizieren: Der Erwerb der deutschen Satzstruktur beginnt mit dem Erreichen des ersten Meilensteins mit etwa einem Jahr: den ersten eigenen Wörtern. Allerdings wird die Systematik des produktiven Erwerbs syntaktischer Fähigkeiten erst mit dem Erreichen des zweiten Meilensteins hörbar. In dieser Phase äußert ein Kind nämlich sein oder ihre ersten Zweiwortsätze. Dabei stehen Verbenoder Verbpartikel wie auf, ab, oder weg zum Beispiel immer noch am rechten Rand der für das Deutsche typischen Satzklammer. Hat ein Kind den dritten Meilenstein erreicht, beginnt es, Verben zu beugen und diese gleichzeitig an den linken Rand der Satzklammer zu befördern. Einen letzten wichtigen Entwicklungsschritt (vierter Meilenstein) hat ein Kind dann getan, wenn es schließlich auch vollständige Nebensätzebilden kann, in denen das gebeugte Verb, anders als in Hauptsätzen, wieder ans Satzende geschoben wird.

Vergleicht man typische kindliche Äußerungen mit Sätzen von Erwachsenen, erkennt man, dass Kinder eigentlich von Anfang an auf dem richtigen Weg sind. Ihre auf den ersten Blick sehr elementar wirkenden Satzformen orientieren sich ab den ersten Wortkombinationen im zweiten Lebensjahr an den zielsprachigen Strukturen der Erwachsenensprache.

Unsere menschlichen Sprachen sind allesamt unheimlich komplex. Manche würden vielleicht sogar sagen, sie sind wahnsinnig kompliziert. Doch Menschenkinder sind sprachbegabte Wesen. Sie wollen kommunizieren und so Beziehungen zu all den großen Menschen um sie herum aufbauen und stärken.

Unsere Aufgabe ist es nicht, ihnen Wort für Wort und Regel für Regel dieser Sprachen beizubringen. Zuhören und aus dem Gesagten Regularitäten ableiten, können Kinder sehr gut alleine. Das haben wir in dieser Serie nun oft genug gesehen. Unsere Aufgabe ist es stattdessen, unser Kinder mit Sprache zu umgeben, sie teilhaben zu lassen an der Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten, die uns dank Sprache zur Verfügung stehen. Wir müssen mit ihnen sprechen und philosophieren, singen und reimen, dichten und fabulieren.

Unsere Aufgabe ist es, mit unseren Kindern zu kommunizieren. Und zwar so als wären sie genau die kompetenten kleinen Sprachwesen, die sie in Wirklichkeit auch sind.

Weiterlesen

  • Kauschke, Christina (2012). Kindlicher Spracherwerb im Deutschen. Verläufe, Forschungsmethoden, Erklärungsansätze. Berlin: De Gruyter.
  • Penner, Zvi et al. (2006). Sprachentwicklung. In H.-O. Karnath/P. Thier (Hrsg.), Neuropsychologie (S. 632-639). Berlin: Springer.
  • Tracy, Rosemary (2008, 2. Aufl.). Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen: Narr Francke.
  • Weissenborn, Jürgen (2000). Der Erwerb von Morphologie und Syntax. In H. Grimm (Hrsg.), Sprachentwicklung (S. 141-169). Göttingen: Hogrefe.