Die Pejorisierung von Frauenbezeichnungen
Freilich, wäre dies das 15. Jahrhundert, würden wir Mittelhochdeutsch sprechen und unter Frauenzimmer (vrouwenzimmer) nichts weiter verstehen als die Gemächer und Gefolgsleute einer Adligen. Heute können wir mit dieser Bedeutung jedoch nichts mehr anfangen. Weil es die entsprechenden Räumlichkeiten bzw. die mit ihnen einhergehende Entourage in unserer Gesellschaft nicht mehr gibt. Ein Frauenzimmer im 21. Jahrhundert bezeichnet bestenfalls scherzhaft, viel häufiger aber einfach nur abwertend, eine einzelne weibliche Person.
Nun aber die berechtigte Frage: Wie kam es zu diesem semantischen Wandel? Warum steht das Wort heute dem Weibsbild näher als einer adeligen Dame? Und warum ist das kein Einzelfall? Vielen Frauenbezeichnungen erging es im Laufe der deutschen Sprachgeschichte ähnlich. Angefangen beim Wort Frau selbst, über das Fräulein, bis hin zur Mamsell und zur Dirne. Wo auf ihrem Weg haben diese Bezeichnungen ihre ursprüngliche Bedeutung verloren und sind einer Degradierung, Funktionalisierung und/oder Sexualisierung zum Opfer gefallen?
Die gängigste Erklärung sieht Höflichkeit und männliche Galanterie als Ursache für den Bedeutungswandel. Um Frauen zu schmeicheln, habe man (als Mann) in der Wortschatzkiste lieber einmal eine Etage zu hoch gegriffen und Bezeichnungen gewählt, die eigentlich adeligen Frauen vorbehalten waren. Durch die seltene Verwendung wären die zuvor gebräuchlichen Bezeichnungen schließlich abgewertet worden.
Doch ist das tatsächlich die einzige Theorie? Nübling (2011) findet nein. Sie hält die Höflichkeitsthese für zu kurz gegriffen und setzt sich dafür ein, den historischen gesellschaftlichen Kontext dieser Bedeutungsveränderungen wesentlich stärker in den Blick zu nehmen.
Diskursanalytischer Rahmen
Im Zuge der Debatte um gendersensible Sprache wird aus kritischen Kreisen immer wieder darauf hingewiesen, dass Sprache nichts mit unserer Lebensrealität zu tun hätte (Stichwort: Sexus vs. Gender). In Folge 4 und Folge 6 von Schon gewusst? habe ich bereits versucht zu erklären, warum Sprache nicht für ein in sich geschlossene grammatikalische und lexikalisches System angesehen werden darf und warum Sprachgebrauch immer mit der Sprechsituation und den an ihr beteiligten Akteur*innen verknüpft ist.
Hinweise, wie jener, dass das biologische Geschlecht nichts mit dem grammatischen gleichzusetzen wäre, basieren auf einer weit verbreiteten Vorstellung von Sprache als „Objekt“, das abseits des menschlichen Sprechens existiere und in seiner vermeintlich festen Form manipuliert, benutzt und in eben dieser weitergegeben werden kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Reifikation von Sprache. Aus dieser Vorstellung wird dann gerne abgeleitet, dass Sprache ist wie sie ist, und der Mensch nichts „für sie kann“, es sei denn, er würde willentlich in das System eingreifen und es (meist zum Negativen) verändern.
Einen etwas anderen Zugang zu Sprache finden weit verbreitete Erklärungshypothesen für die semantische Bedeutungsverschiebung von Frauenbezeichnungen seit dem Spätmittelalter. Darin wird Sprache zwar als grundsätzlich wandelbar angesehen, der gemeinsame Nenner mit der oben beschriebenen Argumentationslinie im Genderdiskurs bleibt aber die fehlende Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen ein solcher Wandel stattfinden kann.
Aus diskursanalytischer Sicht blendet diese Perspektive nämlich aus, dass Sprache oder besser: unser Sprechen gleichzeitig gesellschaftliche Realität bedingt und von gesellschaftlicher Realität bedingt wird. Dadurch ist es möglich, ungleiche Verhältnisse und Strukturen innerhalb der Gesellschaft zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Allerdings ist jede Sprechsituation immer schon in bestehende Machtstrukturen eingebettet, wodurch es essentiell wird, die historische Entwicklung eines bestimmten Diskurses, also den sozio-politischen und historischen Kontext, diskursiver Praxis zu dekonstruieren.
Ich möchte in diesem Beitrag zeigen, dass der Fokus auf diese diskursiven Rahmenbedingungen auch im oben dargestellten Erklärungsmodell für die Pejorisierung von Frauenbezeichnungen in der deutschen Sprache fehlt.
Die Pejorisierung von Frauenbezeichnungen
Der semantische Wandel von Frauenbezeichnungen gilt als Paradebeispiel für Bedeutungswandel. Beispiele wie die Verdrängung des Wortes Weib (ahd. wip) durch Frau (ahd. frouwe) oder die Bedeutungsveränderung der Bezeichnung Dirne (ahd. diorna) vom „jungen Mädchen“ zur „Prostituierten“ werden sowohl im wissenschaftlichen als auch immer öffentlichen Diskurs immer wieder hervorgeholt. Doch viel zu selten wird auch nach Begründungen für die sukzessive Abwertung weiblicher Personen in der Sprache gesucht. Wenn historische Aufarbeitungen stattfinden, wie etwa in diversen Einführungen in die deutsche Sprachgeschichte (vgl. ex. Schmid 2009) oder anderen Werken zum deutschen Sprachwandel (vgl. ex. Keller 1995), wird häufig auf das sog. „Invisible-Hand-Phänomen“ verwiesen.
Nach dem Konzept der „invisible hand“ ist Sprache als ein „Phänomen dritter Art“ (vgl. Keller 1994) zu begreifen, das weder Artefakt (vom Menschen gemacht) noch Naturphänomen ist. Ungeplante, aber zielgerichtete sprachliche Handlungen einzelner Sprecher*innen seien zwar die Basis aller Phänomene des Sprachwandels, es sei aber erst die Sammlung ganz vieler dieser Einzelhandlungen zu koordinierten Strukturen, die — geleitet von eben jener namensgebenden „unsichtbaren Hand“ — zu tatsächlichen Veränderungen in der Sprache führen könnte. Vereinzelte Sprechhandlungen allein hätten demnach keinen Einfluss auf Sprechwandel, viele ähnliche Sprechhandlungen hingegen schon.
Versuche, aus dieser Perspektive heraus die sukzessive Pejorisierung von Frauenbezeichnungen wie Fräulein, Magd oder Dirne zu erklären, führen die semantische Abwertung von Frauen nun, paradoxerweise, auf ihre Aufwertung, ihre Verehrung durch Männer zurück.
Pejorisierte Frauenbezeichnungen als Zerrspiegel der Kultur?
Männer seien Frauen gegenüber normalerweise höflich, so die These. Bereits im Mittelalter, der Zeit, in der die heute noch pejorativ gebrauchten Frauenbezeichnungen eine (erste) Abwertung durchlebt haben, sei es üblich gewesen, das damals allgemein gebräuchliche Wort Frau (ahd. wīp) durch das Wort Frau (ahd. vrouwe) zu ersetzen, das eigentlich Frauen mit höherem sozialen Rang vorbehalten war. Durch die häufige Verwendung sei der ursprüngliche Höflichkeitscharakter des zweiten Wortes jedoch verblasst, und es sei zur gewöhnlichen Bezeichnung von Frauen aller gesellschaftlicher Schichten geworden. Gleichzeitig habe das erste Wort, das dadurch deutlich seltener Verwendung fand, eine Abwertung erfahren.
Soweit so einfach. Doch was steckt eigentlich hinter dieser Erklärung? Welche Annahmen über Frauen und ihre Stellung in der Gesellschaft werden hier gemacht?
Gilt die Höflichkeitsmaxime nur für Männer? Müssen/Mussten Frauen Männern gegenüber nicht höflich sein? Müssten nicht auch, sollte semantischer Wandel tatsächlich auf Höflichkeit zurückzuführen sein, Bezeichnungen für Männer diesen Wandel durchgemacht haben? Und wenn ja, warum lassen sich bei Männerbezeichnungen (weder in diesem noch in einem anderen Zeitraum) keine semantischen Abwertungen beobachten? Und nicht zuletzt: Hat, so gesehen, also nur männliches Sprechen Einfluss auf Sprachwandel? Was ist mit weiblichem Sprechen? Warum ist weiblicher Sprachgebrauch in dieser Frage (in der es um die Bezeichnung von Frauen geht) nicht relevant?
Diesen Fragen widmet sich Nübling (2011), indem sie Gegenargumente zur — oftmals unhinterfragten — These der „unsichtbaren Hand“ liefert. Anstatt den Umweg über die den Männern unterstellte Höflichkeit zu nehmen, geht sie den „direkten“ Weg und setzt die Bezeichnung von Frauen ab dem Mittelhochdeutschen mit den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedingungen und den Machtverhältnissen zwischen Mann und Frau in dieser Zeit in Verbindung. Sie zeigt, dass die in der oben beschriebenen These vorgeschobene Inflationierung lediglich die soziale Degradierung des Wortes Frau erklären kann, jedoch keine Anhaltspunkte für andere Bedeutungsverschiebungen, wie Funktionalisierung und Biologisierung bzw. Sexualisierung, liefert.
Dies lässt sich an folgendem Vergleich illustrieren: Bei den oben bereits erwähnten Wörtern Weib (wīp) und Frau (frouwe) handelt es sich in erster Linie um soziale Degradierungen. Beide Bezeichnungen rutschen eine soziale Kategorie tiefer; das Weib erhält zusätzlich noch eine negative Bedeutung („schlampige, liederliche Frau“) und dient heute als Schimpfwort.
Am Beispiel der Dirne (ahd. diorna) greift die Kategorie der sozialen Degradierung allerdings nicht mehr. Diorna bezeichnete im Althochdeutschen noch ein junges Mädchen egal welchen Standes. Im Mittelhochdeutschen erfährt diese Bezeichnung jedoch eine Funktionalisierung: Mit dierne war nun eine junge Dienerin oder Magd gemeint. Im 16. Jahrhundert schließlich wandelt sich der semantische Gehalt des Wortes noch einmal. Ab diesem Zeitpunkt ist Dirne ein Synonym für Prostituierte. Soziale Klassen spielen in diesem speziellen Wandelprozess eine unbedeutende Rolle. Wichtig erscheinen Kategorien wie das Alter („jung“), die gesellschaftliche Stellung („Dienerin“) und sexuelle Verfügbarkeit („Prostituierte“). Die Bezeichnung Dirne macht also im Laufe der Jahrhunderte sowohl eine Funktionalisierung als auch eine Sexualisierung durch.
Die beiden letzteren Kategorien — Funktionalisierung und Sexualisierung — lassen sich für Nübling jedoch nicht hinreichend mit der Inflationierung von Bedeutung, wie im Fall von Frau, erklären. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Dirne häufiger verwendet wurde und daraufhin seine Bedeutung verändert hat. In diesem Zusammenhang macht Nübling auch eine weitere Beobachtung:
Sie weist darauf hin, dass die durch soziale Degradierung motivierten Abwertungen nur bei referierenden Personenbezeichnungen auf Frauen beschränkt waren. Nur wenn über Frauen gesprochen wurde, haben sich die Bezeichnungen nach und nach semantisch abgenutzt. Bei männlichen Bezeichnungen (Herr für einen sozial hochstehenden Mann, Mann als neutraler Allgemeinbegriff) ist dies nicht der Fall. Bei Bezeichnungen mit Adressatenfunktion, also wenn mit einer Person gesprochen wurde, verhält es sich für Frauen und Männer aber gleich. Dort, wo Höflichkeit für gewöhnlich am stärksten zum Tragen kommt, nämlich bei der direkten Anrede, werden die Ausdrücke für sozial hochstehende Personen (vrouwe und herre) ab dem Neuhochdeutschen für beide Geschlechter neutralisiert.
Nübling schlussfolgert daraus, dass es für die semantische Abwertung von Dirne einen anderen Grund geben muss. Für solche Pejorisierungsverläufe ist Dirne allerdings nur eines von vielen Beispielen. Eine detaillierte Darstellung der Wandelpfade weiterer Bezeichnungen, die Nübling anführt, findet sich am Ende dieses Beitrags in einem „Deep Dive: Wissen“.
Die Frau in der Sprache und in der Gesellschaft. Eine Spiegelthese.
Als Erklärung für diese Entwicklungen zieht Nübling die Metapher des gesellschaftlichen Spiegels heran. Die Beobachtung, dass es bei den Pejorisierungen dieser Bezeichnungen nicht allein und den sozialen Stand, sondern vor allem auch um die Position der Frau in der Gesellschaft (Funktion) sowie den Verweis auf ihre biologische Konstitution und/oder sexuelle Verfügbarkeit geht, bringe die Parallelen zwischen Sprachgebrauch und gesellschaftlicher Realität deutlich zum Vorschein.
Sie vermutet einen ausgeprägt patriarchal geprägten Blick auf die Frau und ihre Bedeutung (als Gehilfin und sexuelle Partnerin) für den Mann. Sie betont, dass meist Bezeichnungen für sehr junge, unverheiratete Frauen am stärksten von Pejorisierungen betroffen sind, was den Schluss nahelegt, dass Informationen über 1. sexuelle Zugänglichkeit und 2. Alter einen entscheidenden Einfluss auf die Form und Qualität des Bedeutungswandels haben. Im Gegensatz zur Höflichkeitsthese sei es bei echten Pejorisierungen (alle hier besprochenen bis auf Frau) nämlich nicht zu einem Verlust von Bedeutung gekommen (die Bezeichnung Frau enthält heute keine Information über den gesellschaftlichen Stand mehr), sondern im Gegenteil zu einem Bedeutungszuwachs (abgewertete Bezeichnungen wie Fräulein, Mamsell, Dirne enthalten heute nicht nur Informationen über das Alter, sondern auch darüber, was sich ein potentieller Partner sexuell von einer weiblichen Person „erwarten“ könne.
Auswertungen lexikographischer Daten zum Frauen- und Männerbild im Mittelalter stützen Nüblings These. Vergleicht man, welche Themen im Zusammenhang mit Männern und Frauen in historischen Wörterbüchern aus dieser Zeit auftauchen (vgl. Warnke 1993; Blankenburger 2003), ergibt sich ein sehr deutliches Bild. Rund ein Drittel der Belege bringen Frauen mit „Ehe, Familie und Häuslichkeit“ in Verbindung, einen ähnlich hohen Wert liefern die Analysen für Männer nur in Bezug auf ihre Sozialstellung. Der Familienstand und seine Rolle als Vater sind für den Mann generell irrelevant. Beide Geschlechter werden in den Einträgen häufig bewertet, wobei der Mann zu 75 % positiven, die Frau zu 72,5 % negativen Bewertungen unterzogen wird. Schließlich ist auch bezeichnend, dass die Sexualität der Frau oft hervorgehoben wird, sie übernimmt zu gleichen Teilen die Rolle des Sexualobjekts für den Mann und die Rolle der Unzüchtigen oder Prostituierten.
Um schließlich zu erklären, warum sich gerade der männliche Blick auf die Frau durchgesetzt haben soll, verweist sie auf Schulz (1975), die Männern einen weitaus größeren gesellschaftlichen Handlungsrahmen als Frauen zuschreibt und daraus folgert, dass sich männlicher Sprachgebrauch leichter verbreiten konnte:
„A woman’s life has been largely restricted to the home and family, while men have lived in a larger world. […] They have created our art, literature, science, philosophy, and education, as well as the language which describes and manipulates these areas of culture.“
Dies würde auch eine weitere Frage beantworten, die durch die „Invisible-Hand-These“ unbeantwortet bleibt, nämlich jene, warum bei echten Pejorisierungen jene Bedeutungskategorien hervorgehoben werden, die sehr spezifische Informationen über die Frau für den Mann enthält. Auch das lässt sich nicht durch galantes männliches Verhalten erklären.
Nübling plädiert also dafür, in dieser Frage den einfacheren Weg zu gehen und die Pejorisierung von Frauenbezeichnungen als simplen Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse zu sehen. Wir als Sprecher*innen können im Diskurs nur jene Positionen besetzen, die uns von den sogenannten Gatekeepern dieses Diskurses (in diesem Fall vermutlich gesellschaftlich, politisch und kulturell einflussreiche Männer) zugestanden werden. Diese Positionen bestimmen wiederum, mit welcher Wahrscheinlichkeit unsere Stimme im Diskurs gehört wird (historisch gesehen ist diese Wahrscheinlichkeit für eine Frau sehr gering gewesen) und in welchen Kontexten wir sprechen dürfen bzw. in welchen Kontexten mit und über uns gesprochen wird (als Frau sind das im Rahmen der hier besprochen Phänomene des Bedeutungswandels v.a. der „Dienst“ an patriarchischen Strukturen, biologische Merkmale und sexuelle Verfügbarkeit).
Ein kritisch diskursanalytischer (Aus-)Blick
Gesellschaftliche Strukturen hinterlassen Spuren in der Sprache und unserem Sprechen; genauso wie unser Sprechen Spuren in der Gesellschaft hinterlassen kann. Aus diskursanalytischer Perspektive ist diese Einsicht weder neu noch verwunderlich. In den öffentlichen Diskurs finden diese Perspektiven allerdings bis heute wenig Eingang. Das mag an ihrem fundamental kritischen Charakter liegen, an ihrem Ziel, bestehende, oftmals fossilisierte Strukturen zu hinterfragen, und daran, dass sie dadurch immer auch an den Befindlichkeiten der sprachlichen Hüter*innen dieser Diskurse kratzen.
Doch die Aufgabe sprachwissenschaftlicher Forschung ist es nicht, Machtpositionen zu legitimieren. Der wissenschaftlich beschreibende Blick auf den Forschungsgegenstand zieht nicht auch einen neutralen Blick auf diskursive Praxis nach sich. Sprachwissenschaftler*innen dürfen auch (v. a. weil es gar nicht anders geht) Standpunkte vertreten und dort Veränderungen einfordern, wo Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- und andere benachteiligende Praktiken auf gesellschaftlicher Ebene mit sprachlicher Praxis verwoben sind.
An Personenbezeichnungen wie Fräulein, Magd oder Dirne wird deutlich, dass Sprache nicht abseits gesellschaftlicher Realitäten gedacht werden kann. Diskurskritische Positionen wie jene von Nübling sind daher wichtig und wertvoll, da sie Rollenbilder und gesellschaftliche Strukturen reproduzierende diskursive Praktiken hinterfragen und dadurch sagbar machen, was im öffentlichen Diskurs um gendersensible Sprache leider immer noch nicht sagbar ist. Auch wenn das einigen politisch, gesellschaftlich und kulturell einflussreichen Männern gegen den Strich gehen mag.
Weiterführende Literatur
- Der Originaltext von Damaris Nübling.
- Mehr zum Sprachwandel im Deutschen (Nübling et al. 2017).
- Mehr zur „Invisible-Hand-These“ (Rudi Keller 1994; 2014).
- Ein weiterer Aufsatz von Nübling (2009) zur lexikographischen Inszenierung von Geschlecht. Darin zitiert Nübling auch Warnke (1993) und Blankenburger (2003).
Deep Dive Wissen
Nübling teilt die Pejorisierungen, die unterschiedliche Frauenbezeichnungen durchlaufen haben, in drei Klassen ein: soziale Degradierung, Funktionalisierung und Biologisierung/Sexualisierung. Die hier reproduzierten Graphiken stammen aus Nübling (2009).
Beim Wort Weib (wīp) handelt es sich um eine soziale Degradierung. Während es bis zum Mittelhochdeutschen noch die allgemeine Bezeichnung für eine weibliche Person war, wird es heute als Schimpfwort für eine „schlampige, liederliche Frau“ verwendet. Auch das Wort Frau (frouwe) hat einen Wandel von der Bezeichnung für eine sozial hochstehende Frau zur Allgemeinbezeichnung durchgemacht. Schließlich kam es auch bei Fräulein zu einer sozialen Abwertung, wobei in diesem Fall auch eine Sexualisierung („Hure“) und später eine Funktionalisierung („Bedienung“) hinzukamen.
Andere Bezeichnungen lassen sich jedoch nicht allein mit einer Bedeutungserweiterung erklären. Das Wort Magd erfährt eine klare Funktionalisierung, während es bei Mamsell (von frz. mademoiselle) zusätzlich dazu noch zu einer Sexualisierung kommt.
Auch bei der Bezeichnung Dirne kommt es zunächst zu einer Funktionalisierung, wobei hier die anschließende Sexualisierung am deutlichsten ausgeprägt zu sein scheint.