Etwas ungewöhnliche Weihnachten
Ja, in der heutigen Folge geht’s um Weihnachten. Es ist aber keine typische Weihnachtsfolge. Es wird keine Weihnachtsjingles geben, keine Glöckchen, die da durch die Folge bimmeln. Keinen Schnee. Keine Geschichten über Pusch und Kekse. Die teile ich lieber auf Social Media. Die Geschichten — die Kekse sind meine. Und auch Christkinder und Weihnachtsmänner wird’s heute nicht geben. Was dann noch bleibt? Winterschrecks natürlich!
Die Idee für die heutige Folge hab ich mir diesmal nicht ganz selber ausgedacht. Da hatte ich ein bisschen Hilfe von zwei großartigen Frauen. Zum einen von Leonora Leitl, die das Buch, von dem ich mich hab inspirieren lassen, geschrieben und gestaltet hat. Und zum anderen von Carla Heher, die das Buch gerade vor ein paar Wochen in ihrem Gemeinschaftsblog und -podcast empfohlen hat.
Wie ihr mehr über die beiden erfahren könnt, verrate ich euch natürlich auch noch einmal am Ende des Beitrags.
Das Buch, um das es geht, heißt Krissi Krampus, ist dieses Jahr, also 2021, im deutschen Kunstanstifter-Verlag erschienen, und ist gerade vor ein paar Wochen bei uns zu Hause eingetrudelt. Es handelt sich bei der Krissi um ein Kinderbuch. Für welches Alter lasse ich an dieser Stelle einmal offen. Erstens, weil ich es wirklich nicht weiß. Und zweitens, weil wir bei uns zu Hause eher selten nach Altersangaben lesen. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Buch, auf jeden Fall, spielt im Sommer, in den Alpen, genauer gesagt auf dem Krampusberg. Wo die Monstervillen und Gruselpaläste stehen, in denen eben im Sommer die Winterschrecks wohnen. Und genau um diese Winterschrecks wird es heute gehen. Auf dem Krampusberg da wohnen zum Beispiel die Hexe Befana, das Wudele oder die Kurenti.
Aber alles der Reihe nach. Schließlich soll es hier ja auch um Sprache und Sprachgebrauch gehen. Es soll heute um die Frage gehen, warum wir eigentlich von all diesen Kreaturen sprechen.
Schrecken im Winter
Ich persönlich mag sie ja, die vierte Jahreszeit. Ich bin im Winter geboren, ich kann mit der Hitze im Sommer nicht wirklich was anfangen. Der Winter hat auch seine Tücken. Es wird nicht nur kalt, sondern auch dunkel, die Nase rinnt, der Hals kratzt, und wortgeschichtlich herleiten lässt er sich auch nicht wirklich, der Winter. Kein Wunder also, dass wir den Winter seit jeher mit ganz fürchterlich Schrecklichem verbinden.
Im Alpenraum waren es besonders die sogenannten Raunächte (auch: Rauchnächte) zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag im Jänner, in denen man sich ganz besonders vor diversen Teufeln und Dämonen fürchten musste. Dort, wo man die Zeit nicht nach sogenannten Sonnenkalendern gerechnet hat, also nicht den Lauf der Erde um die Sonne als Basis für die Zeitrechnung verwendet hat, musste man am Ende des Jahres immer ein paar Tage anhängen, um das Kalenderjahr an das beobachtbare astronomische Sonnenjahr von mehr oder weniger 365 Tagen anzupassen. Solche Tage sind zum Beispiel auch in verschiedenen ägyptischen Kalendern vorgekommen oder im Kalender, der in Frankreich während der französischen Revolution verwendet wurde. Bei Kalendern, die sich nach den Mondphasen gerichtet haben, also sogenannten Mondkalendern, bei denen ein Monat immer genau 28 Tage hatten, mussten eben 12 zusätzliche Tage an das Mondjahr angehängt werden.
Und so lässt sich jetzt auch viel einfacher erklären, warum wir diese Schreckgestalten, die da bei der Krissi im Buch vorkommen, und die wahrscheinlich einige von uns auch in ihrem eigenen regionalen Brauchtum kennen, gerade im Winter, rund um Weihnachten, und dann noch bis in den Februar hinein, so aktiv sind.
Erstens: Diese Tage sind ja irgendwie zwischen den Jahren gehangen, haben weder hier noch dorthin gehört, haben irgendwie eine Lücke gebildet zwischen der Welt im alten Jahr und der Welt im neuen.
Zweitens: Dann sind diese Tage noch dazu in die dunkelste aller Jahreszeiten gefallen. Und jeder der kleine Kinder zu Hause hat, oder selbst einmal ein kleines Kind war, wird wissen, warum man sich in der Dunkelheit vorsehen sollte. Was heißt Kinder, nicht einmal ich geh heute noch gern in der Nacht aufs Klo. Hauptsächlich, weil ich immer in die Türstöcke renne, aber auch das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall gibt’s noch eine dritte Erklärung für die Besonderheit dieser 12-tägigen Periode:
Denn schließlich hat mit diesen Tagen dann auch noch der Winter angefangen, der für viele damals einfach wirklich sehr hart war. Wir reden da ja von einer Zeit vor der großen Christianisierung Europas, wo noch diverse heidnische Völker den Kontinent bewohnt haben. Die bekanntesten Schreckgestalten, die uns noch heutzutage durch den Winter begleiten, gehen auf Figuren aus der heidnischen Mythologie und auf vorchristliche Glaubensvorstellungen zurück.
Nimmt man all diese Faktoren zusammen: Jahreswechsel, Winter, Dunkelheit, dann ist es gar nicht verwunderlich, dass die Menschen sich hier Figuren ausgedacht haben, die die Gefährlichkeit und die Strenge der kalten Jahreszeit personifiziert haben, die dem Schicksal, dem sich die Menschen in Europa im Winter ausgeliefert gesehen haben, die diesem Schicksal eine Gestalt haben verleihen können. Teufelsähnlich Kreaturen mit hässlichen Fratzen und pelzigen, tierähnlichen Körpern. Das Unheil in Person quasi, vor dem man sich — wenn man wusste wie — schützen konnte. Weil man es sehen konnte.
Und was genau hat man gemacht, um sich vor diesen Gestalten zu schützen? Man hat entweder Haus und Hof mit Weihrauch ausgeräuchert — daher vermutlich auch der Name Raunächte — oder man hat versucht, sie mit Lärm zu vertreiben. Versionen dieser alten Bräuche haben sich bis heute zu Silvester oder am Dreikönigstag am 6. Jänner erhalten. Eine andere Herleitung für das Wort Raunacht geht auf das mittelhochdeutsche Wort rûch für haarig zurück. Was dann mit der äußerlichen Gestalt dieser Winterschrecks in Verbindung gebracht werden kann. Dieses alte Wort ist auch heute noch in Verwendung, wenn man im Pelzhandel zum Beispiel von Rau- oder Rauchwaren spricht, also von noch nicht verarbeiteten Tierfellen.
Aber wer sind all diese gruseligen Gestalten, die in dieser Zeit, die uns dieses Jahr gerade noch bevorsteht, ihr Unwesen treiben? Versuchen wir, eine kurze Liste zu machen.
Der Krampus
Hierzulande — und damit meine ich in erster Linie den östlicheren Alpenraum — sind die bekanntesten Winterschrecks vermutlich die Krampusse. Genauso wie die Krissi im Buch. Der Name Krampus kommt wahrscheinlich vom mittelhochdeutschen Wort krampen was einfach soviel wie Kralle bedeutet hat. Damit können wir uns jetzt auch schon relativ gut vorstellen, wie ein solcher Krampus auszusehen hat: nämlich eine teufelsartige Gestalt, mit Hörnern am Kopf, Ziegenbeinen an den Füßen, zotteligem Pelz am ganzen Körper und natürlich die spitzen langen Krallen an den Händen.
Im Barock, das war dann also im 16./17./18. Jahrhundert in etwa, wurde der Krampus als Kreatur, die davor eigentlich immer allein unterwegs war, dem Nikolaus zur Seite gestellt, um dadurch vermutlich einen pädagogischen Effekt zu erzielen. Da sind dann also Krampus und Nikolaus gemeinsam von Haus zu Haus gezogen und haben dort die Kinder beschenkt. Das heißt der Nikolaus hat den lieben Kindern, den braven Kindern Nüssen mitgebracht, Obst, später vielleicht dann auch Schokolade. Heute vermutlich hauptsächlich Schokolade!? Und der Krampus, der hat für die schlimmen Kinder, die unartigen Kinder aber nur Kohlen dabei gehabt.
In manchen Regionen werden auch die für den Krampus typischen Weidenruten eingesetzt, mit denen die Verkleideten die Zuschauer*innen triezen dürfen, wie man so schön sagt — also so lange ärgern oder aufziehen (das Wort triezen kommt ja auch aus dem niederdeutschen trisse, also etwas mit einer Seilwinde hinaufziehen). Wie dem auch sei, ob das Schlagen mit der Rute wirklich nur als triezen zu bezeichnen ist, oder doch an Körperverletzung grenzt, ist eine Frage, die wir nicht hier und heute beantworten wollen.
Dieser Brauch, lärmende, mit Ruten um sich schlagende Krampusse durch die Straßen laufen zu lassen, ist eng verwandt mit den ebenfalls berühmt-berüchtigten Pertchenläufen. Perchten gibt es in schöner und schiacher Ausführung. Die sogenannten Schönperchten sind ganz in weiß gekleidete Männer und Frauen, die mit Tänzen und kleinen Glöckchen den Frühling einläuten und Glück für das neue Jahr bringen sollen.
Die sogenannten Schiachperchten auf der anderen Seite (ö. schiach = hässlich) tragen aber hölzerne teufelsähnliche Masken, sind komplett mit Fell bedeckt und lärmen mit ihren großen Glocken und schlagen mit ihren Peitschen um sich. Um den Jahreswechsel herum ziehen sie traditionellerweise lärmend durch die Dörfer in den westlichen österreichischen Bundesländern, um dort die Dämonen zu vertreiben, die eine andere winterliche Schauerfigur auf ihrem Weg durch die winterliche Alpenlandschaft begleiten: Frau Perchta.
Frau Perchta
Frau Perchta ist eine Sagengestalt, die ursprünglich aus der Vorstellung der nordischen Göttin Frigg hervorgegangen ist. Da man bei ihrer Entstehung auch einen keltischen Einfluss vermutet, könnte auch der Name Perchta — und damit auch der der Perchten, die versuchen, sie zu vertrieben — einen keltischen Ursprung haben. Andere Herleitungen gehen auf das althochdeutsche Wort peraht zurück, für hell oder glänzend.
Frau Perchta kann der Sage nach sowohl belohnen, als auch bestrafen, und zwar durchaus sehr gewaltsam. Sie hält ihre dämonischen Begleiter in Schach und beschützt so die guten, fleißigen Menschen vor ihnen, bestraft aber jene, die faul sind. Entweder ganz klassisch, mit Waffen wie Messern und dergleichen, oder auch mit ihrem Atem, mit dem sie nicht nur töten kann, sondern auch blenden. Eine Fähigkeit die sich ja auch in ihrem Namen widerspiegelt: Perchta, die Helle, die Glänzende.
Ihre Wanderungen unternimmt sie in eben jenen Raunächten zwischen der Wintersonnenwende und dem Dreikönigstag. Phänomene und Ereignisse, die in dieser verlorenen Zeit zwischen dem alten und dem neuen Jahr passieren, werden häufig mit dieser Figur der Frau Perchta in Verbindung gebracht.
Das nord- bzw. mitteldeutsche Pendant zur Frau Pertcha ist die Frau Holle, die viele von uns wahrscheinlich aus dem berühmten Märchen von den Gebrüdern Grimm kennen — egal wie nördlich oder südlich wir im deutschsprachigen Gebiet wohnen. Apropos, Süden: Ganz am anderen Ende von Europa, nämlich in Italien, findet man dann das südliche Pendant zur alpenländischen Perchta: die Hexe Befana.
Die Hexe Befana
Die Hexe Befana ist ein anderes weibliches Wintergeschöpf, das ursprünglich eine doppelte Funktion hatte:
Sie brachte den italienischen Kindern am Abend des 5. Jänner Geschenke. Oder Kohlen, wenn die Kinder nicht brav waren. Sie hat also die Aufgaben überkommen, die sich weiter nördlich Nikolaus und Krampus geteilt haben. Wie der Weihnachtsmann ist sie über den Kamin in die Häuser gekommen, wo die Kinder bereits etwas zu essen und trinken für sie bereitgestellt haben. Bevor sie weitergezogen ist, hat sie noch einmal mit ihrem Besen die gute Stube gefegt — oder wie man sich sagt: die Sorgen und Probleme des alten Jahres hinfort. Auch heute noch wird sie in ganz Italien an diesem Tag gefeiert. Ihr bestrafender Charakter ist im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund getreten.
Der Name Befana ist durch eine Verballhornung des italienischen Wortes für das Fest entstanden, das am 6. Jänner gefeiert wird: das Epifaniasfest. Epiphaneia aus dem Griechischen für Erscheinung oder Oberfläche, steht im christlichen Glauben für eine ganz besondere Erscheinung, nämlich die Erscheinung des Herrn. Und genau den, den Herrn aller Herrn, von dem die drei Heiligen Könige ihr auf ihrem Weg nach Jerusalem erzählt haben sollen, sucht Befana einer christlichen Legende nach bis heute noch. Und beschenkt bis dahin einfach jedes Kind, jedes brave Kind, dem sie begegnet.
Während sich das Fest zu Christi Geburt aufgrund von diversen kirchenpolitischen und Kalenderreformen im katholischen Glauben auf den 25. Dezember verschoben hat, bleibt der 6. Jänner der Dreikönigstag und eben auch der Tag der Hexe Befana. Wie bei allen mytischen Geschöpfen ranken sich auch um Befana viele, oft ganz unterschiedliche Geschichten und Legenden. Wie so oft liegen vermutlich auch ihr diverse heidnische Mythen und Traditionen zugrunde, die nach der Christianisierung Europas dann in die in die Feierlichkeiten aufgenommen wurden, die die christliche Glaubensgemeinschaft durchs kirchliche Jahr — und vor allem durch den Winter — begleiten.
Doch dort, wo man den Winter vertreibt, muss man auch den Frühling Willkommen heißen. Oder? Das heißt neben diesen ganzen furchteinflößenden Gestalten, die man mit dem Winter verbindet, gibt es auch solche, die den Beginn des Frühjahrs markieren, zum Beispiel die Südtiroler Wudelen, die slowenischen Kurenti oder die österreichischen Flinserl. Weniger schrecklich, weil sie mit einer freundlicheren Jahreszeit als dem Winter in Verbindung gebracht werden, sind aber auch diese Geschöpfe — meiner Meinung nach — nicht.
Das Wudele
Das Wudele stammt aus Südtirol. Seine Aufgabe ist es, dort im Fasching, wie gesagt, den Winter zu vertreiben. Und das aber ordentlich. Das Maul des Wudele sieht aus wie das von einem Krokodil, riesige, weiße Zähne. Es hat einen überdimensionalen, haarigen Kopf mit Hörnern an Stelle von Ohren. Das Wudele wird auch Schnappviech genannt, weil sein Unterkiefer beweglich ist und laut auf und zu schnappen kann. Wie die Perchten tauchen Wudelen meist in Gruppen auf.
In den südtiroler Dialekten heißt es Wuodlan für Ziegen. Das bringt das Wudele in Zusammenhang mit der Habergeiß, einer anderen Dämonengestalt, deren Aussehen an eine Ziege erinnert. Mit ihrer Zistel am Rücken, ihrem Tragekorb, in den sie schlimme Kinder stecken konnte, zieht die Habergeiß meist vor Weihnachten mit den Perchten durch die Straßen.
Die Figur der Habergeiß wiederum ist eng verwandt mit dem skandinavischen Julbock, der — bis er auch dort vom Weihnachtsmann abgelöst wurde — die Weihnachtsgeschenke gebracht hat, und heute noch als niedliches kleines Strohtier an den Weihnachtsbäumen hängt. Der Bock war die Verkörperung von Thor, dem Wettergott der germanischen Völker, der der bäuerlichen Bevölkerung damals auch als Fruchtbarkeitsgott gedient hat. Deswegen hat auch der Julbock für das neuerliche Erwachen der Natur nach dem langen Winter gestanden.
Und auch die slowenischen Kurenti und die österreichischen Flinserl leiten den Frühling ein. Wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise.
Die Kurenti
Die Kurenti, zottelige Dämonen im Schafsfell, erinnern eher an das Wudele aus Südtirol. Sie tragen Ohren aus Gänsefedern oder Hörner aus Leder, haben ein großes Maul mit Zähnen aus weißen Bohnen und einer langen Zunge aus Stoff, sie schwingen Stöcke, die mit Igelstacheln umwickelt sind und vertreiben mit großen Glocken an ihren Gürteln die kalte Jahreszeit. In Gruppen ziehen sie im Fasching von Haus zu Haus, um Glück für das kommende Jahr zu bringen.
Wir sehen also, wir drehen uns langsam im Kreis. Dämonische Verkleidungen, Schutz vor dem Winter und die freudige Erwartung des Frühlings. Die Geschichten rund um diese Winterschrecks sind praktisch durch den gesamten Kontinent gewandert und haben mal hier mal da ihre Spuren hinterlassen, in der Mythologie, im Brauchtum, in der Sprache. Erzählungen vermischen sich, Figuren verschmelzen und neue Traditionen verbinden sich mit alten, noch älteren Traditionen. Auch deswegen lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen, woher ein bestimmter Brauch, ein bestimmter Name, eine bestimmte Figur stammt. Aber: Wir könnten diese Liste noch ewig fortführen, und würden vermutlich trotzdem immer wieder auf die gleichen Erzählungen, auf die gleichen Figuren stoßen, in der ein oder anderen Art.
Es ist auch gar nicht meine Absicht, heute alle dämonischen Nachbarn von der Krissi am Krampusberg vorzustellen. Wer Lust hat, noch mehr über die Kreaturen zu erfahren, macht sich am besten über die Links am Ende dieses Beitrags schlau. Und die, denen die Liste heute noch nicht lang genug war, die können — sollten! — natürlich im Buch von Leonora Leitl nachschauen. Denn bei der Krissi wohnen auch noch eine Wilde Frau, der Strohmann Mizukaburi, eine Teufelsfamilie und andere, kleinere mythische Figuren.
Viele dieser schaurigen Gestalten spielen heute noch ein essentielle Rolle im Brauchtum, manche sind sogar Teil des immateriallen Kulturerbes der UNESCO, so wie die Kurenti oder die Flinserl, unser letztes Geschöpf für heute.
Die Flinserl
Auch die Flinserl sind Frühlingsgestalten, die während des Bad Ausseer Faschings Obst und Nüsse an die Kinder verteilen. Sie haben zwar dieselbe Aufgabe wie das südtiroler Wudele — also den Frühling einzuleiten —, könnten aber optisch nicht weiter von ihm entfernt sein. Sie ähneln eher Mensch nicht Tier, sie tragen überdimensionale Halskrausen, farbenfrohe Spitzhüte und aufwändig bestickte Masken und Gewänder, denen sie auch ihren Namen verdanken. Als Flinserl werden nämlich auch die bunten Pailletten bezeichnet, mit denen die Ornamente auf den Kostümen umstickt sind.
Aber wer schon einmal ein Foto von diesen Figuren gesehen hat oder sogar schon einmal selbst beim Fasching in Bad Aussee dabei war, wird mir wahrscheinlich recht geben, dass sie schon so eine gewisse Spookigkeit an sich haben. Also: Mich wundert es also nicht, dass Leonora Leitl sie in ihrem Buch bei Krissi am Krampusberg wohnen lässt.
Und damit sind wir auch schon wieder dort, wo wir heute angefangen haben. Nämlich bei Krissi Krampus und ihren schrecklichen Nachbarn, sei es jetzt das Flinserl, die Hexe Befana oder die Teufelin höchstpersönlich. Das Buch rückt sie alle in den Fokus der Geschichte. Es geht einmal nicht um uns, uns, uns, um unseren Blick, um unsere Ängste. Und bietet trotzdem so unglaublich viel Projektionsfläche zum sich Hineinfühlen, zum Mitfühlen. Und genau das ist es, was Krissi Krampus zu einem ganz fantastischen Kinderbuch macht. Es zeigt nicht das Unheimliche, das Gruslige, das Fürchterliche aus Sicht der Kinder und liefert dann, ganz beiläufig, eine erwachsene Coping-Strategie, mit der dann am Ende die Angst wie weggeblasen ist.
Es bietet kleinen Menschenkindern die Möglichkeit, sich mit den grusligen Gestalten zu identifizieren und die Welt durch ihre Augen zu sehen. Das Buch malt nicht in schwarz und weiß, im Gegenteil: Wir tauchen beim Lesen in eine Gruselwelt ein, in der die Charaktere — so furchteinlösend ihre äußerliche Gestalt und ihre anfängliche Attitude auch sein mögen — mit jeder Seite menschlichere Züge bekommen. Ich möchte natürlich nicht alle Details aus dem Buch verraten, schließlich soll jede*r die Möglichkeit haben, die Geschichte selber entdecken zu dürfen.
Und trotzdem: Egal, mit welchen Traditionen und Brauchtümern Kinder in Berührung kommen, in der Familie, in der Großfamilie, in den elementaren Bildungseinrichtungen (der Krippe, dem Kindergarten, der Volksschule). Egal ob bei ihnen der Weihnachtsmann kommt, oder das Christkind, oder der Nikolo, mit oder ohne Krampus — Bücher wie das von der Krissi holen die Kinder dort ab, wo sie gerade stehen und nehmen ihnen die Angst vor dem Unbekannten, dem Anderen. Eine ganz wichtige Lektion für so viele Lebensbereiche. Denn ganz oft passen die kindlichen Vorstellungen und das erwachsene Narrativ aus dem Umfeld einfach nicht zusammen.
Da gibt es die einen, die zwar von der Mama oder vom großen Bruder schon zigmal erklärt bekommen haben, dass der Krampus eh nicht echt ist, aber die sich trotzdem jedes Mal fürchten, wenn sie die Maske sehen. Und dann gibt es die anderen, die zwar liebend gern hingehen würden, unter die Maske schauen würden, die aber gleichzeitig — wenn auch gut gemeinte — Schauergeschichten erzählt bekommen, in denen diese unheimlichen Wesen vorkommen, aber unantastbar bleiben.
Und genau das war auch meine Motivation für diese Folge: Wir haben uns heute ein bisschen genauer angeschaut, wer oder was eigentlich hinter den Figuren steckt, die heute noch zum Teil wichtige Elemente unserer alpenländischen, aber auch europäischen Traditionen sind. Ich mein, der Krampus zum Beispiel grinst uns mittlerweile schon ab Anfang November von jedem Supermarktregal herunter an.
Und so gesehen ist Krissi Krampus dann eigentlich auch ein Erwachsenenbuch. Es fordert uns Große dazu auf, uns mit der Herkunft unserer Traditionen auseinanderzusetzen, nachzuforschen, Dinge herauszufinden, die wir normalerweise gar nicht mehr hinterfragen. Die wir alle brav mitmachen, von denen wir aber eigentlich nichts mehr verstehen. Es hilft uns, eine respektvolle und kindgerechte Perspektive einzunehmen, und hilft den Kleinen, eine Sprache zu finden, um über den Krampus und Co. zu reden, ohne diesen Gestalten notwendigerweise ihren schauderhaften Zauber und ihre möglicherweise immer noch sinnstiftende Funktion zu nehmen.
Weiterführende Links
Wilde Frauen
Wilde Frauen, auch Salige Frauen oder Salkweiber genannt, sind weibliche Sagengestalten aus der Alpenregion. Sie leben in Feldspalten oder an Flussufern, gelten als menschenscheu, aber hilfsbereit, und lassen sich leicht durch Lärm vertreiben. Ihre Geschichten kann man in diversen österreichischen Sagen nachlesen.
Der Teufel
Der Teufel hat im Brauchtum, in Mythen und Legenden immer seine Finger im Spiel. Nicht nur im Christentum ist er der Widersacher (hebr: śāṭān) eines gütigen Gottes, der Durcheinanderbringer (gr. διάβολος | diabolos), der die Menschen verwirrt, sie von „rechten Weg“ abbringt, das Symbol schlechthin für das Böse. Als Anführer der gefallenen Engel, der Dämonen, führt er die Menschen in Versuchung und versucht, sie zur Sünde zu verleiten. Im übertragenen Sinn wird er auch oft als „Herr der Fliegen“ (hebr. בעל זבוב, Baʿal Zəvûv) bezeichnet. Im nördlicheren deutschen Sprachraum zog dieser Beelzebub im Spätmittelalter noch mit dem Heiligen Nikolaus durchs Land, bis er in Knecht Ruprecht unbenannt wurde. Warum wir ständig von Gottes Sohn hören, bei Teufels Tochter aber erst gemeinsam mit Krissi Krampus an der Tür klopfen, wird wohl ein ewiges Kirchengeheimnis bleiben.
Katzen und Raben
Und wo der Teufel – und sein Töchterchen – waltet, muss man auch nicht lang nach Katzen oder Raben suchen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Tieren im Mittelalter und im christlichen Glauben Symbolkraft für diverse menschliche, göttliche oder dämonische Eigenschaften zugesprochen wurde. Der Fuchs steht für Hinterlist, der Hase für Feigheit, die Taube für Demut, Hoffnung und die Liebe.
Während die Katze im alten Ägypten noch als heiliges Tier verehrt wurde, galt sie im Christentum als Gesandte des Teufels und Gestalten, in die sich Hexen verwandeln konnten, um unentdeckt zu bleiben. Der Rabe wurde bereits in der Bibel als Symbol für den Satan gedeutet, da die Vögel nach der Sintflut nicht zurück zu Noahs Arche kehrten, sondern sich lieber vom toten Fleisch der in der Flut Ertrunkenen ernährten. Aber auch in der weltlichen Vorstellung war der Aasfresser eng mit Gräueltaten wie dem Krieg verbunden.
Beide Tiere, die Katze als Wagenzieherin der Göttin Frigg und der Rabe als Begleiter des Gottes Odin oder als tierische Gestalt der Göttin Morrígan, wurden mit der großflächigen Christianisierung Europas zu Symbolen heidnischen Glaubens.
Der Strohmann Mizukaburi
Der japanische Strohmann Mizukaburi hat nicht mit rhetorischem (Un-)Geschick zu tun (→ Strohmann-Argument). Von Kopf bis Fuß in Stroh geschnürt ziehen Männer aus Tome (im Norden Japans) mit rußverschmierten Gesichtern durch die Straßen und schütten Kübel voller Wasser über die Häuser, um die Familien vor Unglück und Feuer zu schützen. Dieser Brauch zählt seit 2018 (als Teil der „Raihō-shin, ritual visits of deities in masks and costumes“) zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO.
Leonora und Carla im Netz
- Leonora lebt im (ober-)österreichischen Mühlviertel, wo sie nicht nur Kinder- und Jugendbücher schreibt, sondern auch illustriert. Ihr ausgezeichnetes Werk ist stets ein bisschen schräg und witzig, genauso wie ihr Koffer-Papiertheater, mit dem sie Kinder auf ihren Lesetouren Lust auf Literatur machen möchte. Leonora findet ihr hier auf Instagram.
- Gemeinsam mit ihren Kolleginnen bloggt Carla hier über interessante, witzige und/oder spannende Kinder- und Jugendbücher, die vielfältige und progressive Rollenbilder enthalten, keine Stereotypen und Klischees nachbilden, aber dafür auch marginalisierte Charaktere oder Lebensrealitäten zum Thema machen. Ein wunderbarer Fundus für alle kleinen und großen Kinder. Auf Instagram ist sie mit ihrem Gemeinschaftsblog hier vertreten.
Zum Schluss noch ganz kurz etwas in eigener Sache: Schon gewusst? ist, wie ihr mittlerweile bestimmt schon wisst, mein ganz persönliches Herzensprojekt. Ich schreibe hier zwar in meiner Funktion als Sprachwissenschaftlerin, Sprachtrainerin und Geschäftsführerin des Lehrwerks — finanzielle oder anderweitige Unterstützung bekomme ich für diesen Podcast und die Arbeit, die hinter den Folgen steckt, aber nicht. Damit ich Schon gewusst? also werbefrei und kostenlos für alle weiterführen kann, bin ich auf euer Engagement angewiesen.
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