Wir werden heute über das Wort Frieden sprechen. Wir werden uns anschauen, woher es kommt, womit es verwandt ist. Wir werden populäre Friedenssymbole unter die Lupe nehmen, die sich vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts verbreitet haben. Wir werden auch darüber sprechen, wie sich die Friedenskonzepte in der Neuzeit verändert haben und wir werden versuchen zu verstehen, warum es uns so schwer fällt, Frieden zu definieren, ihn zu verstehen.

Beginnen wir am besten gleich mit der letzten Frage: Was ist Frieden überhaupt? Ist er das Gegenteil von Krieg? Die Abwesenheit von Krieg? Klingt erst einmal plausibel.

Frieden im Wörterbuch

Fragen wir einfach mal den Duden. (Wen sonst?) Der gibt uns erst einmal drei Bedeutungen. Nummer eins: Frieden ist ein “[vertraglich gesicherter] Zustand des inner- oder zwischenstaatlichen Zusammenlebens in Ruhe und Sicherheit”. In dieser Bedeutung kann laut Wörterbuch auch nur der Friedensschluss gemeint sein.

Die zweite Bedeutung, die der Duden anführt, lautet: “Zustand der Eintracht, der Harmonie”. Diese Bedeutung ist eng verknüpft mit der “ungestörten Ruhe”. Wir kennen das vom Ausdruck: Lass mich in Frieden! statt Lass mich in Ruhe!

Die dritte Bedeutung ist laut Duden eine christlich-religiöse: Der Frieden in Sie ruhe in Frieden! meint die “Geborgenheit in Gott” nach dem Tod. Auch im Segensspruch Friede sei mit euch! wird das Wort verwendet.

Wenn wir also von den beiden letzten Definitionen absehen, die im Grunde nur metaphorische Übertragungen der ersten sind, haben wir mit unserem ersten Interpretationsversuch gar nicht so unrecht gehabt. Frieden hat heute eine in erster Linie politisch-militärische Bedeutung. Wir verstehen darunter ein Leben in Ruhe und Sicherheit.

Was steckt im Wort Frieden

Der Duden weist aber auch auf die Wortgeschichte dieses Begriffs hin. Frieden stammt vom mittelhochdeutschen vride bzw. vom althochdeutschen fridu und hatte ursprünglich die Bedeutung “Schonung, Freundschaft”. Von Ruhe und Sicherheit war also damals noch nicht explizit die Rede.

Sehen wir uns das einmal etwas genauer an. Im DWDS, im digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, finden wir eine indoeuropäische Wurzel, auf die unser deutsches Wort zurückgehen soll, nämlich *prāi-, *prī- (gern haben, schonen, friedlich-frohe Gesinnung). Aus dieser Wurzel sind nicht nur der Freund und das Adjektiv frei hervorgegangen, sondern eben auch unser Frieden. Das heißt Freund, frei und Frieden haben eine gemeinsame Geschichte.

Unter dem Wort frei verstehen wir heute soviel wie unabhängig, unbeschränkt. Wie kommen wir aber auf diese Bedeutung? Aus dem Indoeuropäischen stammt sie jedenfalls nicht. Oder doch?

Man vermutet heute, dass die neuhochdeutsche Bedeutung vom althochdeutschen Substantiv *frīhelsī für Freiheit stammt. Hier schwingt die Idee mit, dass eine Person genau dann frei ist, wenn sie über ihren eigenen Hals quasi verfügen kann. Diese Personen, diese sogenannten freien Männer, wären somit als Gegenstück zu den Unfreien zu sehen.

Und es waren natürlich auch die eigenen Freunde, die Stammesgenossen, und nicht die stammesfremden Unfreien und Kriegsgefangenen, die man gern hat und deswegen schont, wie wir eben in der ursprünglichen Definition gehört haben. Darauf könnte also auch unsere heutige Vorstellung von frei zurückzuführen sein.

Der Frieden geht nun, wie gesagt, auf dieselbe indoeuropäische Wurzel zurück. Durch die germanische Endung *-þus wurde aus dem Adjektiv ein Substantiv. Also *friþuz bzw. althochdeutsch fridu. Der fridu war dann im Mittelalter also ein Vor­gang oder Zustand, der aus Nähe, Verwandtschaft oder Zu­nei­gung re­sul­­tiert, also ein Zustand der Schonung und des Wohlwollens.

Bevor wir uns aber genauer anschauen, wie der Frieden seitdem in der Friedensforschung definiert wurde und wird, noch ein kleiner Exkurs in die Grammatik.


Exkurs: Grammatik und Frieden

Der Frieden hat heute zwei — grammatikalisch korrekte — Formen. Zum einen eben Frieden, mit -n am Ende. Und zum anderen Friede, ohne -n. Wer in der letzten Folge zu den Flexionsklassen der deutschen Nomen gut aufgepasst hat, kann sich sicher noch daran erinnern, dass diese doppelte Form mit der Abwanderung bestimmter maskuliner Substantive, also Hauptwörter mit dem Artikel der, aus der schwachen Klasse in die starke Klasse zu tun hat.

Das ahd. Wort fridu wurde aufgrund seines u-Stamms, also aufgrund seiner Endung auf -u, ursprünglich stark flektiert. Im Übergang zum Mittelhochdeutschen hat sich diese u-Klasse jedoch aufgelöst. Alle u am Ende von Wörtern werden seitdem wie ein offenes e ausgesprochen. Wir hören das bei Friede, wo sich der Stamm von fridu zu vride ändert. Die Nomen aus dieser Klasse sind also in andere Klassen abgewandert.

Deutsch ist nicht nur heute, sondern war immer schon eine Sprache mit unzähligen Dialekten. Und wir hören das, wenn heute ein bisschen querfeldein fahren durch das deutschsprachige Gebiet: Die Art und Weise, wie Menschen sprechen, unterscheidet sich oft von einem Dorf ins nächste ziemlich stark.

Und genau dieser sprachlichen Variation liegt nun auch die heutige Doppelform von vride zugrunde: Während die einen das Wort im Mittelhochdeutschen weiterhin stark dekliniert haben (der vride, des vrides), haben sich andere für eine schwache Deklination entschieden, für die sogenannte n-Deklination, über die wir letzte Folge gesprochen haben. Hier hat es dann also geheißen: der vride, des vriden und so weiter.

Nur dann sind ja in weiterer Folge viele Substantive aus dieser Klasse der schwachen Maskulina wieder abgewandert. Wir erinnern uns noch. Das schwach deklinierte Wort vride hat — wie viele andere Substantive, die nicht einfach in die starke Klasse gerutscht sind — im Zuge dessen ein zusätzliches -s im Genitiv erhalten. Und schließlich hat im 18. Jahrhundert dann auch noch der Nominativ das -n der anderen Fälle übernommen.

Heute hat sich weitgehend diese zweite Form mit -n und Genitiv-s durchgesetzt. Im Nominativ Singular hält sich aber in manchen Kontexten — wir erinnern uns an die Beispiele aus dem religiösen Bereich — die Form Friede im Nominativ Singular.

Nun wissen wir also, woher das Wort stammt, mit dem wir heute das Konzept von “Ruhe und Sicherheit” im inner- und zwischenstaatlichen Zusammenleben bezeichnen. Doch dieses Konzept hat sich im Laufe der Geschichte mitunter sehr stark gewandelt. Und genau hier kommt auch wieder der anfangs erwähnte Krieg ins Spiel.

Friedenskonzepte der Neuzeit

Wichtig in dieser Entwicklung sind unter anderen Namen wie Thomas Hobbes, Immanuel Kant oder Johan Galtung.

Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes prägt am Beginn der Neuzeit das Konzept des formellen Friedens und meint damit das Streben nach Sicherheit und Ordnung. Vor dem Hintergrund der Religionskriege im Europa des 17. Jahrhunderts spricht er sich für einen Vertrag zwischen Herrscher·in und Untertanen aus, durch den dauerhafter Frieden ermöglich werden soll.

Für Hobbes ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. Er selbst hat das im englischen Bürgerkrieg erlebt. Um die ewigen Kriege “aller gegen alle” zu beenden, sieht er nur einen Weg, und zwar müssten alle Menschen ihr „Naturrecht“ — wie er es nennt — gegen andere Krieg zu führen, an ein souveränes und starkes Staatsoberhaupt abgeben. Dieses Staatsoberhaupt würde dann zwar über das staatliche Gewaltmonopol verfügen, aber im Gegenzug dafür über das Wohl seiner oder ihrer Untertanen wachen, indem es eben für Recht und Ordnung im Staat sorgt.

Diese Auffassung findet im 17. Jahrhundert große Zustimmung in Europa. Sie hat die Grundlage gebildet für die Entstehung neuer souveräner Staaten und hat schließlich den Weg geebnet für den Absolutismus, später auch für den Faschismus und seine Ausläufer.

Im Gegensatz zu Hobbes steht der deutsche Philosoph Immanuel Kant für den sogenannten materiellen Frieden. In seiner berühmten Schrift “Zum ewigen Frieden” legt er kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert die Grundsteine für unser modernes Friedensverständnis.

In seiner Abhandlung formuliert Kant zwei entscheidende Bedingungen für internationalen, also staatenübergreifenden, Frieden. Er spricht zum einen davon, dass Frieden sehr stark mit Demokratie zusammenhängt — und eben nicht mit Absolutismus. Und zum anderen fordert er eine internationale Organisation als Friedensbund. Seiner Ansicht nach kann nur eine internationale und freiwillige Rechtsgemeinschaft garantieren, dass sich alle Staaten auch wirklich daran halten, auf Krieg zu verzichten.

Während also Hobbes Frieden noch als Sicherheit vor Krieg und Gewalt definiert, sehr eng quasi, sieht Kant im Frieden die Herrschaft des Rechts, das den Krieg verhindern soll.

Nur: Die Tatsache allein, dass dieses Konzept nun da war, dass man sich nun mit der Demokratisierung der Gesellschaften beschäftigt hat, hat — wie wir leider wissen — nicht die Gefahr und die Ausübung von Kriegen verhindern können. Bis heute nicht.

Die Sache zwischen Krieg und Frieden ist ganz offensichtlich komplizierter als die Theorie. Und genau das ist der springende Punkt.

In der Realität liegt sehr viel zwischen Krieg und Frieden.

Was sich in der Sprache nach zwei konträren Konzepten anhört, die sich klar voneinander abgrenzen lassen, ist eigentlich ein ganzes Spektrum an Zuständen, auf dem sich Gemeinschaften im Zusammenleben befinden.

In der neueren Friedensforschung geht man daher davon aus, dass es sich bei Frieden eigentlich um einen Prozess handelt, und nicht um einen — wenn auch erstrebenswerten — Zustand. Nicht-Krieg, also die Abwesenheit von Krieg, ist in diesem Verständnis nur der erste Schritt Richtung Frieden. Und wie weit wir auf diesem Weg gekommen sind, lässt sich daran festmachen, wie wahrscheinlich ein neuer Krieg ist. Über die Bereitschaft zu Gewalt, wozu Konflikt und Misstrauen zählen, und über die Vorbereitung auf den Krieg, und dazu zählen Rüstung und Militär.

Der norwegische Mathematiker, Soziologe und Politologe Johan Galtung prägt in diesem Zusammenhang das Konzept des positiven Friedens. Das Wort positiv bezieht sich hier aber nicht auf eine Wertung dieser Art des Friedens. Positiver Frieden ist nicht besser als negativer Frieden.

Die Begriffe positiv und negativ beziehen sich nur auf die Art und Weise, wie Frieden definiert wird.

Unsere deutschen Wörter positiv und negativ stammen ja ursprünglich aus den lateinischen Wörtern ponere und negare, also setzen, legen, stellen für ponere und verneinen oder ablehnen für negare. Die lateinische negatio war also eine Verneinung oder Ablehnung, während das lateinische Adjektiv positivus für etwas gestanden hat, das gesetztoder gegeben war.

Negativer Frieden definiert sich also — wie noch bei Hobbes — ausschließlich über die Abwesenheit von Gewalt und Krieg. Positiver Frieden auf der anderen Seite meint die Anwesenheit von Strukturen innerhalb einer Gesellschaft, die Krieg verhindern können. Das erinnert natürlich sehr an die demokratische Rechtsstaatlichkeit bei Kant. Da hier also nicht nur etwas fehlen muss, um von Frieden sprechen zu können, nämlich Krieg, sondern auch etwas da sein muss, das Frieden ermöglicht, spricht man in diesem Fall eben von positivem Frieden.

Im Politiklexikon der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung findet man daher heute folgende Definition für Frieden:

„Frieden bezeichnet eine umfassende und dauerhafte Rechtsordnung und Lebensform, bei der Wohl und Wohlstand der Bürger und Bürgerinnen oberste Ziele sind.“

Die Betonung auf Wohlstand stammt jetzt von mir. Denn für Galtung ist nicht nur — und damit geht er über Kant noch ein Stück hinaus — personelle Gewalt, also körperliche oder kriegerische Gewalt, die von einer Person oder von mehreren Personen ausgeht, verantwortlich für Konflikte. Auch die strukturelle Gewalt, die von staatlichen bzw. gesellschaftlichen Strukturen ausgeht, spielt für ihn eine große Rolle, wenn es darum geht, Frieden zu konzeptualisieren.

Klassische Beispiele für strukturelle Gewalt sind in etwa Altersdiskriminierung, Nationalismus, Rassismus, Sexismus. Die ungleiche Verteilung von Einkommen, von Bildungschancen, von Lebenserwartungen. Diese Formen struktureller Gewalt stecken in den “Werten” einer Gesellschaft, in ihren Normen, ihren Institutionen, in der Art und Weise, wie in einer Gesellschaft über soziale Verhältnisse gesprochen wird — oder eben nicht gesprochen wird.

Frieden im öffentlichen Diskurs

Frieden ist für uns in Mitteleuropa zur Normalität geworden. Er ist für uns in zahlreichen Diskursen normalisiert worden. Wir nehmen ihn als gegeben und vergessen dabei, dass wir uns — auch heute noch, und immer — in einem kontinuierlichen Prozess befinden, uns und auch allen, die nach uns kommen, ein Leben in Frieden zu ermöglichen.

Ganz besonders in Österreich findet auch heute noch Geschichtsverleugnung am laufenden Band statt. Der Aufschrei in der Bevölkerung ist punktuell, kurz und laut; politische Konsequenzen sehen wir nicht.

Der Krieg darf — wie es scheint — nicht thematisiert werden. Und somit auch nicht der Frieden. Das notorische Schweigen über Krieg und Frieden führt mitunter dazu, dass nicht nur historische Fakten verdreht werden, sondern auch aktuelle politische Ereignisse aus dem rechten Licht rücken.

Deutschsprachige Medien berichten vom “ersten Krieg in Europa seit 1945”. Lag den Zypern 1974 nicht in Europa? Oder der Balkan in den 1990er-Jahren? Währenddessen konzentrieren sich Politiker·innen seit “Tagen und Wochen” auf den Ukraine-Krieg, und ignorieren damit, dass im Land schon seit 2014 Krieg herrscht. Und wenn man ganz frech ist, verlegt man den Krieg “vor die Tore Europas”. Das hilft natürlich immer.

Der Krieg hat in Europa keinen Platz mehr, zumindest nicht im Diskurs, und durch unser verkürztes Verständnis von Frieden ist auch dieser in letzter Zeit wieder deutlich in die Ferne gerückt. Die Welt gibt aus, liefert mehr, rüstet nach, während durch die pandemiegebeutelte Bevölkerung wieder nur ein leiser Ruf nach Frieden hallt.

Doch dieser Beitrag soll in einem hoffnungsvollen Ton enden. Denn Rufe nach Frieden sind zum Glück ebenso alt wie die blutdurstige Lust nach Krieg. Ganz eindrücklich zeigt sich das in den vielfältigen Friedenssymbolen, mit denen wir über Frieden sprechen können, ohne überhaupt das Wort Frieden in den Mund nehmen zu müssen. Wir wollen uns zum Schluss für heute ein paar dieser Symbole etwas genauer anschauen.

Friedenssymbole

Das Symbol, das aktuell wohl am häufigsten in den sozialen Netzwerken anzutreffen ist, ist die Taube. Obwohl die Taube vielen wahrscheinlich aus der biblischen Sintflut-Erzählung bekannt ist, wird sie erst mit dem Weltfriedenskongress 1949 in Paris zum weltweiten Symbol für den Frieden und für die Friedensbewegung.

Pablo Picasso hat für diesen Kongress die Silhouette einer Taube entworfen und hat für seine Lithographie 1955 den Friedensnobelpreis erhalten.

Ein zweites Symbol, das seit den 1960-ern auch als Friedenssymbol verwendet wird, ist das ursprüngliche Victory-Zeichen. Dabei handelt es sich um eine Handgeste, bei der Zeige- und Mittelfinger zu einem V ausgestreckt werden, während der Daumen über die beiden eingezogenen anderen Finger gelegt wird. Die Handinnenseite zeigt dabei nach außen, also vom Zeigenden oder von der Zeigenden weg.

Um den Ursprung des Handzeichens ranken sich Legenden. Berühmtheit hat es aber erst im Zweiten Weltkrieg erlangt. Den Anfang hat der Siegeszug vermutlich im Radio genommen, als der damalige belgische Justizminister 1941 in der BBC dazu aufgerufen hat, den Buchstaben V als Erkennungszeichen, als Kampfansage gegen die deutsche Besatzung zu verwenden. Das V steht schließlich nicht nur für das englische victory, sondern auch für das französische victoire und das Niederländische vrijheid, Freiheit.

Die BBC hat die Geste in ihrer “V for Victory”-Kampagne bis zum Ende des Krieges. Im Radio kam auch eine hörbare Version der Geste zum Einsatz, nämlich der Morsecode für den Buchstaben V, dreimal kurz und einmal lang. Was natürlich — und zurecht — viele musikaffige Hörer·innen an das berühmte Schicksalsmotiv aus Beethovens 5. Symphonie erinnert hat.

Das Zeichen ist damals so populär geworden, dass sich ihm nicht einmal die Deutschen entziehen konnten, gegen die es sich eigentlich gerichtet hat. Sie haben es also übernommen, um damit auf ihren eigenen Sieg hinzuweisen. Ein Sieg, der zum Glück nie kam.

Während der spätere US-Präsident Richard Nixon die Geste noch als Siegeszeichen im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg verwendet hat, ist es von vielen Anti-Kriegsaktivist·innen und Anhänger·innen der 68-er-Bewegungen endgültig als Friedenszeichen, als peace sign, umgedeutet worden.

Die Geste ist aber sehr vielschichtig, weil die sehr unterschiedliche Bedeutungen hat. Nicht überall wird positiv gedeutet. Dreht man beim Ausführen nämlich die Hand, zeigt die Handfläche also Richtung ausführender Person, kann die Geste — zumindest in Commonwealth-Ländern — schwer beleidigend wirken. Vergleichbar ist ihre Bedeutung dann etwa mit dem Stinkefinger, also dem ausgestreckten Mittelfinger.

Die Geste kann allerdings auch für die Zahl 2 stehen, Frohsinn in Fotos unterstreichen, und taucht heute in unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten auf.

Ein drittes Symbol, das ich heute ansprechen möchte, ist das CND-Logo. Das Logo, da trau ich mich wetten, kennt ihr alle. Es ist diese umgedrehte Mistgabel in einem Kreis. Könnte auch ein Krähenfuß sein, aber das ist eine andere Geschichte.

Die Buchstaben CND stehen für das englische Campaign for Nuclear Disarmament, also Kampagne für nukleare Abrüstung. Die Kampagne ist 1957 in London mitten in der Phase des atomaren Aufrüstens nach dem Zweiten Weltkrieg und den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki entstanden. Das Ziel der Kampagne war eben zunächst der Stopp der nuklearen Aufrüstung und dann auch die komplette nukleare Abrüstung aller Staaten. Heute stellt sich die Kampagne nicht nur gegen die atomare Bewaffnung, sondern auch gegen die Entwicklung, Herstellungund Drohung mit der Verwendung von ABC-Waffen, also atomarer, biologischer oder chemischer Waffen, sowie auch gegen den Bau von Atomkraftwerken im Vereinigeten Königreich.

Das Logo, das die Kampagne gewählt hat, ist heute als Friedenssymbol weit verbreitet. Es wurde unter anderem für den Widerstand gegen den Vietnamkrieg und von der 68-er-Bewegung benutzt, und ist heute Teil des Unicode-Standards, weswegen das Zeichen eben auch als Peace-Zeichen auf allen Computern, Smartphones und so weiter dargestellt werden kann.

Aber wie ist die Kampagne zu ihrem Logo gekommen? Das Logo wurde vom britischen Künstler Gerald Holtom für den weltweit ersten großen Friedensmarsch entworfen, dem ersten Ostermarsch. Laut Holtom selbst kann das Logo auf zwei Arten gelesen werden: Entweder als zwei sogenannte Semaphoren, also als zwei Buchstaben aus dem militärischen Winkeralphabet, bei dem mit Flaggen einzelne Buchstaben über Distanz übermittelt werden: einmal ein N für Nuclear, bei dem die Fahnen mit beiden Händen schräg nach unten ausgestreckt werden, und einmal ein D für Disarmament, bei dem eine Flaggenhand nach oben ausgestreckt wird, und eine nach unten. Der Kreis ist dann die Erde rundherum, und fertig.

Holtoms zweite, nachträgliche Interpretation bedient sich einer weniger kampflustigen Lesart und schon gar keiner Sprache des Militärs mehr: im Gegenteil, das Zeichen soll eine verzweifelten und wehrlosen Menschen darstellen mit nach unten gestreckten Händen und nach außen gekehrten Handflächen, ein Zeichen der Kapitulation.

Wie es auch sein mag, es ist wie in der Sprache, und überall sonst im Leben: Nichts ist wirklich eindeutig.

Zusammenfassung

Was können wir also von heute mitnehmen:

Menschen haben Konflikte. Konfliktfreie Gemeinschaften sind weder möglich noch wünschenswert. Doch die Art und Weise, wie wir mit Konflikten umgehen, entscheidet, wie nahe wir im Kontinuum zwischen Krieg und Frieden dem ein oder anderen Pol stehen.

Warum ist es aber so schwierig über Frieden zu sprechen? Die allermeisten Faktoren, die hier eine Rolle spielen, konnten wir heute nicht einmal erwähnen. Und trotzdem haben sich drei zentrale Aspekte herauskristallisiert.

Erstens: Das Wort Frieden stammt von einer indoeuropäischen Wurzel, die auch für unsere neuhochdeutschen Wörter“Freund” und “frei” verantwortlich ist. Doch die tatsächliche Bedeutungsübertragung von frei auf Friede bleibt bis heute im Dunkeln.

Zweitens: Wir glauben zu wissen, was Frieden ist, wenn wir an die Abwesenheit von Krieg denken, sind dann aber oft überrascht, dass sich die Welt nicht in Schwarz und Weiß einteilen lässt. Wir vergessen im Alltag oft, dass es sich bei Frieden um einen Prozess handelt und nicht um einen Zustand.

Und drittens: Genau diese verkürzte Definition von Frieden führt zu einer Unterdrückung von Debatten über Krieg und Frieden im öffentlichen Diskurs. Einem Diskurs, in dem Frieden — und zwar weder als Zustand noch als Prozess — nur äußerst selten thematisiert wird. Ein Versäumnis vor allem in der Hinsicht, dass sich positiver Frieden im Sinne von Johan Galtung nicht nur an der Abwesenheit von personeller Gewalt von Außen festmachen lässt, sondern auch vom Umgang mit struktureller Gewalt im Inneren einer Gesellschaft abhängt.

Und doch gibt es viele Wege, Frieden im Alltag zur Sprache zu bringen.

Wählt eure Sprache, wählt eurer Symbol, malt es euch ganz groß auf eure Fahnen und tragt es in die Welt hinaus. Denn kein Problem löst sich mit den Mitteln, die es geschaffen haben. Kein Krieg löst sich durch Krieg. Auch wenn Europa hier gerade im Rückwärtsgang durch die Geschichte fährt.

Weiterlesen

  • Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache definiert das Wort Frieden und stellt Verbindungen zu seinen sprachlichen Wurzeln her.
  • Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes entwirft im „Leviathan“ sein Bild vom Menschen und seinem Staat. Dessen Hauptaufgabe sieht er darin, frieden zu sichern. Einen Überblick liefert auch der Artikel auf Wikipedia.
  • Immanuel Kant entwickelt in seinem Beitrag „Zum Ewigen Frieden“ eine demokratischen Zugang zum neuzeitlichen Friedenskonzept. Das Kant-Lexikon fasst die Ideen des Philosophen knapp zusammen.
  • Johan Galtung führt seine Idee des positiven Friedens sowie der strukturellen Gewalt in „Violence, Peace, and Peace Research“ (1969) aus. Zum positiver Frieden gibt es auch eine Zusammenfassung der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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