Zeichensetzung.

Ohne Punkt und Komma

Ohne Punkt und Komma. Wir alle reden. Manche von uns mehr, andere weniger. Doch niemand von uns verwendet beim Sprechen Punkte oder Kommas. Beim Schreiben allerdings, da sieht die Sache anders aus. Ein geschriebener Text ohne Punkt und Komma wäre heutzutage undenkbar.  Trotzdem bestätigen Studien immer wieder: Satzzeichenfehler gehören auch in höheren Schulstufen zu den häufigsten Fehlern. Da stellt sich natürlich die Frage: Woher kommt der Beistrich überhaupt? Und brauchen wir ihn heute eigentlich noch?

Kommas sehen und hören

Auf Altgriechisch bezeichnete das Komma einen Abschnitt oder spezifischer: ein Satzglied, zu dem wir später noch kommen werden. Im Deutschen benennt das Komma allerdings nicht den Satzteil, sondern das Satzzeichen davor oder danach. Und: Nicht selten steht und fällt mit dem Einsatz dieses Satzzeichen der Sinn und Unsinn der deutschen Sprache.

Schließlich macht es einen Unterschied, ob die kleine Nichte sagt:

Komm, wir essen, Opa! oder

Komm, wir essen Opa!

Sprachfluss und Sprachmelodie verleihen gesprochener Sprache normalerweise erst Bedeutung. In einem mündlichen Gespräch haben wir im Normalfall keine Probleme damit, zwischen einer Frage oder einer Aussage zu unterscheiden. Nehmen wir die vier Wörter: Ist noch Kuchen und da.

Frage:

Ist noch Kuchen da? (Die Stimme geht am Ende der Äußerungseinheit nach oben.)

Das erfordert erstens eine Antwort und zweitens vermutlich auch, dass wir das Stück sogar noch servieren.

Aussage:

Ist noch Kuchen da. (Die Stimme geht am Ende der Äußerungseinheit nach unten.)

Das ist auf der andere Seite im Grunde einfach eine Aufforderung, uns zu bedienen.

Auch in Fällen, wie dem mit dem armen Opa vorhin, haben wir beim Sprechen selten Schwierigkeiten.

Nehmen wir ein anderes Beispiel.

Er will, sie nicht. versus Er will sie nicht.

Hier ist uns der Bedeutungsunterschied beim Hören vollkommen klar. Das liegt an Betonung, Satzmelodie, Rhythmus und Pausen. Doch durch das Aufschreiben gehen diese prosodischen Merkmale gesprochener Sprache verloren. Sie lassen sich aus den Buchstabenzeichen auf dem Papier allein nicht herauslesen.

Stellt euch vor, wir würden den Satz Er will, sie nicht. ohne Komma schreiben. Wir würden ihn automatisch lesen wie Er will sie nicht. Was macht das Komma hier also? Wozu dient es? Und vor allem, wem?

Antike Satzzeichensysteme

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir ein Stück in die Vergangenheit reisen. In eine Zeit, in der man in Europa tatsächlich noch ohne Punkt und Komma geschrieben hat: die Antike.

Die sogenannte Scriptura Contiunua bestand damals nur aus Großbuchstaben zwischen die weder Abstände noch andere Satzzeichen gesetzt wurden. Wer gerade einen solchen Text vor dem geistigen Auge hat, erkennt, wo hier das Problem lag. Schnelles Lesen gab es damals noch nicht. Hin und wieder wurden bestimmte Schriftstücke aber auch mit satzzeichenähnlichen Markierungen zu versehen.

Das vorherrschende System der damaligen Zeit war jenes von Aristophanes von Byzanz. Aristophanes war Philologe und Leiter der Bibliothek von Alexandria. Man kann also sagen, er lebte für die Schrift. Er entwickelte eine systematische Interpunktion, bestehend aus drei Punkten, die an jeweils unterschiedlichen Höhen des Schriftbildes platziert werden konnten. Dabei ist aber wichtig zu verstehen, dass diese Punkte keinerlei grammatische Bedeutung hatten, sondern lediglich eine rhetorische. Im Grunde zeigten die Punkte also nur an, wie kurz oder lang die Pause zwischen zwei Sprechakten sein sollte. Es war also nicht viel mehr als eine Vorlesehilfe. Diese Art der Interpunktion half politischen Rednern oder Schauspielern ihre Texte publikumswirksam vorzutragen.

Ein Punkt am unteren Rand des Schriftbildes markierte längere Satzabschnitte wie Haupt- und Nebensätze. Diese Satzteile wurden in der griechischen Rhetorik mit colon, also Glied, bezeichnet. Auch heute sprechen wir noch von einem Gliedsatz, wenn es um einen Nebensatz geht.

Ein Punkt am oberen Rand des Schriftbildes hingegen markierte eine deutlich längere Pause. Er wurde daher als Satzpunkt nach ganzen Sätzen eingesetzt.

Ein Mittelpunkt markierte wesentlich kürzere Abschnitte innerhalb eines Satzes, sogenannte kommata. Die müssen wir uns jetzt eine Minute lang merken.

Mittelalterliches Chaos

Im europäischen Mittelalter verbreiteten sich gleich mehrere unterschiedliche Satzzeichensysteme. Auch damalsdienten die Satzzeichen noch ausschließlich dazu, das Vorlesen zu erleichtern. Diesmal jedoch keine politischen Reden oder Theaterstücke, sondern die Bibel.

Im Spätmittelalter tauchte auch die sogenannte virgula suspensiva auf. Dabei handelte es sich um einen gewöhnlichen Schrägstrich, der für eine Pause innerhalb eines Satzes stand. Einen einheitlichen, geschweige denn standardisierten Gebrauch dieser Satzzeichen gab es damals allerdings noch nicht.

Schnelles Lesen, schweres Lesen

Erst die Erfindung des Buchdrucks machte ein einheitliches Interpunktionssystem unverzichtbar. Nicht nur wurden mehr Schriftstücke gedruckt, das Gedruckte musste auch für mehr Menschen lesbar sein. Durch das einheitliche Schriftbild gedruckter statt handgeschriebener Buchstaben, war es den Leser·innen plötzlich möglich, sehr viel schneller zu lesen als früher.

Doch die Schnelligkeit hatte ihren Preis: Schnelleres Lesen bedeutete weniger Zeit für Satzanalysen. Wo fangt ein Satz an? Wo hört er auf? Wo sind Sinneinheiten innerhalb eines Satzes? All diese Fragen konnten die Leser·innen in ihrem neuen Lesetempo nicht mehr schnell genug beantworten. Es musste ein standardisiertes System von Satzzeichen her, das diese Antworten eindeutig im Schriftbild fixierte. Das war die große Stunde des venezianischen Buchdruckers Aldus Manutius.

Die Geburtsstunde des modernen Kommas

Gemeinsam mit seinem Enkel, den man auch Aldus Manutius nannte, war er maßgeblich an der Verbreitung diverser Satzzeichen beteiligt. Er führte unter anderem die Praxis ein, nach jedem vollständigen Satz einen Punkt zu machen. Außerdem verkürzte er die mittelalterliche Virgel, jenen Schrägstrich also, der zur Kennzeichnung von Pausen im Satz verwendet wurde. Mit diesem neuen Zeichen markierte er nun ganz konkret kleinere Sinnabschnitte innerhalb eines Satzes. Also das, was die Griechen bereits Komma genannt hatten.

Mit dem Beginn der Neuzeit übertrug man dann den Namen für den Satzabschnitt, der durch das Zeichen markiertwurde, auf das Zeichen selbst, das Komma war geboren.

Nur in der alten Frakturschrift, die in den deutschsprachigen Gebieten Europas lange Zeit vorherrschte, wurde die Virgel erst um 1700 vollkommen durch den Beistrich ersetzt.

Die Entwicklung von der langen Virgel zum kurzen Komma klingt heute noch im Französisch oder im Italienischen nach. Bis heute heißt das Komma dort virgule oder virgola.

Große Errungenschaft oder Schikane?

Mit Manutius dem Älteren und seinem Enkel hatte sich aber auch das Verständnis von der Funktion der von Satzzeichen grundlegend verändert. Zum ersten Mal diente die Interpunktion nicht der rhetorischen, sondern der grammatischen Gliederung von Texten. Nicht nur der Punkt, auch das Komma hilft uns sehr große Textmengen mit sehr komplexen Inhalten in sehr kurzer Zeit zu lesen und zu verstehen.

Deswegen setzen wir das Komma auch heute noch ein, um Sätze zu strukturieren. Ein Komma zeigt den Leser·innen, dass ein Satz in seinem Aufbau an dieser Stelle unterbrochen wird. Durch einen anderen Satz, einen Nebensatz zum Beispiel. Durch eine Aufzählung. Äpfel, Birnen und Bananen zum Beispiel. Oder durch Einschübe, Anreden oder sonstige Elemente, die in einem Satz hervorgehoben werden sollen. So wie in: Hast du den gebacken, den leckeren Kuchen?

Doch warum wird etwas, was im Zeitalter der Renaissance und Reformation als große Errungenschaft gefeiert wurde, heute oft als Schikane empfunden?

Mit Müh und Not

Der Grund dafür ist vermutlich in der Standardisierung der deutschen Orthographie zu suchen. Seitdem es vor zirka 120 Jahren die ersten Bestrebungen gab, die deutsche Rechtschreibung ein für allemal zu vereinheitlichen, steht ein unverbesserlicher Normgedanke im Zentrum aller Überlegungen zur “richtigen” Schreibung. Es geht darum, wie geschrieben werden muss, um der Norm zu entsprechen, und nicht mehr darum, wie geschrieben werden sollte, um für andere verständlich zu sein.

Das Fatale an dieser Sichtweise ist, dass sie den Blick auf das Schriftsystem an sich verstellt, weil man nur doch die Regeln sieht. Das Fatale an dieser Sichtweise ist aber auch, dass sie sich auf den Unterricht in den Schulen überträgt. Oft geht es im Rechtschreibunterricht nur um das “rechte Schreiben nach der Norm“, und nicht darum, was in unseren Köpfen passiert, wenn wir Punkte, Kommas und andere Satzzeichen am Papier lesen.

Fakt ist: die Zeichensetzung, und hier vor allem die Kommasetzung, ist noch bis zur Matura einer der Bereiche in der Orthographie, in dem am meisten Fehler gemacht werden. Eine Untersuchung von 2016 ergab, dass nur 7,2 % der Lehramtstudierenden eine sichere Zeichensetzung beherrschen. (Bremerich-Vos/Scholten-Akouin, zit. n. Esslinger 2018)

Aber wenn das so ist, ist es dann nicht an der Zeit, das ganze Regelwerk einmal ordentlich zu überholen und so richtig zu vereinfachen?

Nein.

Genau diesen Fehler hat man Mitte der 1990er-Jahre mit der ursprünglichen Rechtschreibreform nämlich schon einmal gemacht. Auf Wunsch und Druck der Allgemeinheit wurden damals die allermeisten Beistrichregeln abgeschwächt. Das heißt die Schreiber·innen durften sich in vielen Fällen aussuchen, ob sie einen Beistrich setzen wollen oder nicht. Mit der Novelle zur Reform zehn Jahre später mussten diese Lockerungen aber zum Großteil wieder zurückgenommen werden. Es hatte sich herausgestellt, dass Beistriche eine wesentlich wichtigere Funktion für uns als lesende Menschen haben, als wir denken.

Weg vom Schreiben, hin zum Lesen

Das Erlernen der Beistrichregeln kann jedoch mühsam sein. Mühsam vor allem dann, wenn im Unterricht nur die Regeln im Vordergrund stehen, der Sinn dahinter aber unklar bleibt. Ein einfacher Perspektivenwechsel kann hier helfen. Weg vom Schreiben und hin zum Lesen (vgl. den sprachreflexiv-lesebasierten Ansatz bei Esslinger/Noack 2020).

Der Sinn der Kommasetzung liegt seit jeher bei der lesenden und nicht bei der schreibenden Person. Wir schreiben den Beistrich nicht, um uns als Schreibende das Schreiben zu erleichtern, sondern den Lesenden das Lesen.

Zunächst ging es darum, rhetorisch wirksam vorzutragen, später darum, den Leseprozess zu beschleunigen und Mehrdeutigkeiten zu beseitigen.

Ja: Kommas lesen ist sehr viel einfacher, als sie zu schreiben. Aber indem wir sie schreiben, indem wir uns die Mühe machen, sie zu schreiben, erleichtern wir anderen das Lesen ungemein. Lesen ohne Kommas ist in der schnelllebigen und hoch komplexen Welt, in der wir heute leben, höchst unpraktisch. Es kostet wertvolle Zeit, ist kognitiv herausfordernd und führt selbst dann noch zu Missverständnissen.

Ihr seid noch immer nicht überzeugt vom Sinn und Zweck des Kommas? Dann fragt doch einfach mal den armen Opa vom Anfang der Beitrags, was er von der ganzen Sache hält. Okay, natürlich geht es bei der Kommasetzung nicht immer um Leben oder Tod. Doch wenn wir Deutsch sprechen oder Deutsch schreiben, haben wir immer die Hörenden oder Lesenden im Blick. Nie uns selbst. Und das ist meiner Meinung nach doch ein Grund ein kleines Bisschen stolz zu sein und sich ein ganz klein wenig anzustrengen, damit das auch so bleibt.

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