Kommunikationsquadrat.

Vier Ohren. Vier Schnäbel.

Sprache ist der Kitt, der uns Menschen zusammenhält. Doch was, wenn Sprache nicht nur zusammen bringt, sondern auch auseinander? Kommunikation ist manchmal ein richtiger Kraftakt. Doch warum kommt es so oft zu Missverständnissen? Und warum verstehen wir uns so oft „falsch“? Genau diese Fragen wollen wir im heutigen Beitrag beantworten.

„Wie wir miteinander reden, sagt wie wir zueinander stehen.“  (F. Schulz von Thun)

So banal dieser Satz auch klingen mag. In der Sprachwissenschaft gibt es diese Einsicht noch nicht sehr lange. Lange Zeit wurde über Wörter diskutiert, über ihre Bedeutung und ihre Geschichte. Dass Sprache auch der Kitt ist, der uns Menschen zusammenhält, wurde außen vor gelassen. Doch was, wenn Sprache nicht nur zusammenbringt, sondern auch auseinander?

Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Pärchen steht mit dem Auto an einer Ampel. Die Frau sitzt am Steuer und der Mann sagt: “Du, die Ampel ist grün!” Da antwortet die Frau: “Fährst du oder fahre ich?” Was ist hier schief gelaufen? Warum reagiert die Frau eingeschnappt? Hätte der Mann etwas anderes sagen sollen?

Dieses Beispiel — so plausibel es auch klingt — stammt nicht aus dem Alltag, sondern von Friedemann Schulz von Thun. Schulz von Thun ist einer der wohl einflussreichsten deutschsprachigen Kommunikationspsychologen. Die Aufgabe der Kommunikationspsychologie ist es, eben dieses und andere Missverständnisse wissenschaftlich zu beschreiben.

Das Vier-Ohren-Modell

Dazu hat Schulz von Thun das sogenannte “Vier-Ohren-Modell” entwickelt. Für ihn besteht eine Kommunikationssituation, wie wir sie gerade beschrieben haben, immer aus drei Teilen: einer Senderin oder einem Sender, einer Nachricht, und einem Empfänger oder einer Empfängerin.

Die vier Ohren gehören natürlich der Empfängerin, in diesem Fall also unserer Autofahrerin. Sie hört die Nachricht “Es ist grün” also mit vier verschiedenen Ohren. Auf der anderen Seite sitzt der Sender, unser Beifahrer, der umgekehrt vier Schnäbel besitzt. Er spricht die Äußerung also mit vier verschiedenen Schnäbeln. In der Literatur sieht das Ganze dann in etwa so aus:

Anders formuliert bedeutet das also: Eine Äußerung kann auf vier verschiedenen Ebenen interpretiert werden. Viel Stoff also für Missverständnisse!

Für dieses vierseitige Modell kombiniert Schulz von Thun zwei andere bekannte kommunikationspsychologische Modelle. Zum einen bezieht er sich auf die Annahme des Wiener Psychologen Paul Watzlawick, der davon ausgeht, dass das, was wir sagen, neben einem Inhaltsaspekt immer auch einen Beziehungsaspekt hat. Und zum anderen bezieht er sich auf den Sprachtheoretiker Karl Bühler. Dieser hatte sprachlichen Zeichen bereits in den 1930 Jahren drei unterschiedliche Funktionen zugeschrieben. Auch er ging davon aus, dass ein sprachliches Zeichen immer in Beziehung zum Sender, zur Empfängerin und zu den Gegenständen und Sachverhalten steht. Dabei hat das Zeichen eine Ausdrucksfunktion, eine Appellfunktion und eine Darstellungsfunktion.

Wollen wir also etwas sagen, drücken wir erstens etwas über uns aus, unsere Gedanken zum Beispiel oder unsere Gefühle, wir fordern zweitens unser Gegenüber auf, etwas zu tun, wie Babys, die durch ihr Quengeln, Weinen oder Schreien Milch verlangen, und wir stellen drittens Informationen über Gegenstände und Sachverhalte dar, wir wollen anderen also schlicht und einfach auf der Inhaltsebene etwas mitteilen. Und zwar tun wir das immer alles gleichzeitig.

Diese beiden Sichtweisen auf sprachliche Kommunikation verknüpft Schulz von Thun nun in einem gemeinsamen Modell, mit Ohren und Schnäbeln.

Jede Äußerung enthält vier Botschaften.

  • Auf der Sachebene vermittelt der Sender Sachinformationen. Über die Farbe der Ampel zum Beispiel.
  • Auf der Appellebene kommuniziert er, was er bei der Empfängerin erreichen möchte. Er formuliert einen impliziten Wunsch, eine Handlungsanweisung. Dass sie losfährt zum Beispiel.
  • Auf der Ebene der Selbstoffenbarung gibt der Sender etwas von sich preis. Zum Beispiel dass er es eilig hat, weil er ein wichtiges Meeting hat.
  • Auf der Beziehungsebene schließlich bringt er zum Ausdruck, wie er zur Empfängerin steht. Vor allem dieserAspekt wir häufig durch Tonfall, Mimik und Gestik vermittelt.

Gut möglich, dass an der Ampel genau hier das Problem lag. Denn das, was ein Sender in eine Botschaft hineinsteckt, ist oft nicht das, was eine Empfängerin aus ihr heraushört.

Was ist an der Ampel passiert?

Schauen wir uns also unser Beispiel mit der Ampel noch einmal genauer an. Auf welcher Ebene hat unsere Frau die Äußerung ihres Partners wohl verstanden?

Auf der Sachebene hat der Mann seine Partnerin über die Fakten informiert. Sie hätte die Aussage “Die Ampel ist grün.”“wörtlich” verstehen können, wie wir in der Alltagssprache oft sagen. Und nur die nüchterne Beschreibung einer Tatsache verstehen können.

Auf der Appellebene hat der Mann seine Partnerin dazu bewegen wollen, etwas zu tun. Sie hätte die Aussage also auch als Aufforderung verstehen können loszufahren.

Auf der Ebene der Selbstoffenbarung  hat der Mann etwas über sich selbst kommuniziert. Gut möglich also, dass seine Partnerin den Satz “Es ist grün.” nicht auf die Ampelfarbe bezogen hat, sondern darauf, dass er es eilig hat, und gefälligst rasch zur Arbeit kutschiert werden möchte.

Auf der Beziehungsebene hat der Manns schließlich zum Ausdruck gebracht, wie er zu seiner Partnerin steht. Sie hätte also auch durchaus davon ausgehen können, dass er sich ihr überlegen fühlt und sich quasi gezwungen sieht, ihr zu helfen, weil sie “offensichtlich” übersehen hat, dass die Ampel bereits grün ist.

Nun ist es aber so, dass wir immer und überall alle vier Ebenen hören. Wir können nicht einfach drei Ohren zuhalten, um mit dem vierten besser zu verstehen. Genauso wie der Sender mit jeder Nachricht auf allen vier Ebenen gleichzeitig kommuniziert, nimmt die Empfängerin auch jede Nachricht gleichzeitig mit all ihren vier Ohren auf.

Natürlich ist das Ampel-Beispiel etwas überspitzt dargestellt. Doch es verdeutlicht, wodurch Störungen und Konflikte in der Kommunikation zustande kommen. Nämlich wenn Sender und Empfängerin diese vier Ebenen unterschiedlich deuten und gewichten. So ist es durchaus denkbar, dass er mit seinem “Es ist grün.” das Gewicht auf die Appellebene gelegt hat. Mit ihrer Antwort zeigt die Fahrerin allerdings, dass sie seinen Einwurf als Bevormundung auffasst. Ein klassischer Fall von Mansplaining würden wir heute wohl sagen. “Fährst du oder fahre ich?”

Wer hat nun recht?

Er oder sie? Ist nicht das die Frage, die wir uns immer stellen, wenn wir uns streiten? Wenn wir sagen: “Das hab ich doch gar nicht so gemeint!” oder “Du hörst nur, was du hören willst!”

“Reine” Sachinformation gibt es in der Kommunikation nicht.

Wir können nicht nur auf der Sachebene kommunizieren und die anderen Ebenen ausblenden. Weder auf der Senderseite noch auf der Empfängerinnenseite. Appell, Selbstoffenbarung und Beziehung schwingen immer mit. Manchmal stärker, manchmal weniger stark.Wie stark, das hängt von der Beziehung zwischen den Kommunikationspartner*innen ab und zu einem großen Teil auch davon, wie wir uns gerade fühlen, was uns beschäftigt, wie sehr wir bei der Sache sind oder auch nicht.

Außerdem hat jede Person einen anderen Kommunikationsstil. Bei manchen ist die Sachebene stärker ausgeprägt, bei anderen die Beziehungsebene oder eine der beiden anderen Ebenen. Je nach Stärke der Ausprägung werden dann natürlich auch Nachrichten unterschiedlich interpretiert.

Spannend, aber auch spannungsreich, die Kommunikation. Man weiß nie, was man bekommt. Die vielen Dimensionen sprachlicher Botschaften führen nicht selten zu Störungen in der Kommunikation. Da Menschen meist nicht nur zum Spaß sprechen, sondern mit dem, was sie sagen, mit jemandem über etwas kommunizieren wollen, ist das Sprechen an sich immer eine gesellschaftliche Handlung. Und handeln hießt hier eben informieren, appellieren, offenbaren und Beziehungen pflegen.

Das kann anstrengend sein. Kommunikation ist manchmal ein richtiger Kraftakt. Wir müssen klar formulieren, auf Tonfall, Mimik und Gestik achten, oft zwischen den Zeilen lesen und uns selbst als Kommunikationspartner oder -partnerin gut kennen, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen.

Es kann also nicht schaden, anderen gut zuzuhören, und sich immer vor Ohren zu führen, dass miteinander reden immer auch bedeutet miteinander zu leben. Und das ist eben nie einfach.

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