Framing

Werden wir durch Sprache manipuliert?

Dieser Ganze Genderquatsch hängt mir schon zum Hals raus. Fast schon wie diese Klimakleber an jeder Ecke. Wird man ja wohl noch sagen dürfen, oder? “Das sind doch bloß Worte.” “Bloß Worte” gibt es nicht. Jedes Wort, jeder Satz kommuniziert eine ganze Fülle an Ideen, die wir mit diesen Wörtern und Sätzen in Verbindung bringen. Das, was wir tatsächlich lesen oder hören oder sehen, schafft nur einen Rahmen dafür, wie wir das Gelesene oder Gehörte verstehen. So gesehen sind also Worte wirklich nur Worte. Doch das, was sie in unseren Gehirnen auslösen, ist weitaus wirkungsmächtiger als wir denken.

Man kann nicht nicht framen

Sprache ist mächtig. Das ist nicht neu. Sprache hilft uns, Dinge auszudrücken. Gedanken, aber auch Gefühle. Sprache befähigt uns zu abstraktem Denken. Damit wir Schritt für Schritt auch die restlichen Rätsel der Menschheit und der Natur ergründen können. Zumindest bis wieder neue auftauchen. Sprache hilft uns, all das gesammelte Wissen zu speichern, nicht nur in unseren Köpfen, sondern auch in Büchern oder Datenbanken, und dieses Wissen immer und überall — per Knopfdruck quasi — wiederzufinden.

Wir haben es uns also angewöhnt, das Wissen der Menschheit in Sprache zu gießen. Sprache determiniert unser Denken nicht. Das würde das Lernen — eines mathematischen Axioms, des Aufbaus einer Zelle, einer neuen Sprache — praktisch unmöglich machen. Sprache lenkt unser Denken. Sie schafft Bedeutung. Und das, ohne dass wir es bewusst im Alltag wahrnehmen.

Wörter können — genauso wie Bilder, Gerüche, Geräusche oder Emotionen — Deutungsrahmen in unserem Kopf aufspannen, sogenannte Frames. Und diese Frames haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie wir Informationen aufnehmen.

Ein einfaches Beispiel aus dem Alltag:

Ich kann mein Wasserglas auf dem Tisch entweder als halbvoll oder als halbleer beschreiben. Ich kann nicht sagen: es ist halb  — halb was? Die Aussage ist nur sinnvoll, wenn ich eine der beiden Perspektiven einnehme.

Am Wasserglas lässt sich dieser Zusammenhang sehr gut verdeutlichen. Weil die Perspektive hier — voll oder leer — explizit mit versprachlicht wird.

In anderen Fällen ist das Ganze nicht so einfach.

Warum bewegen wir uns langsamer, wenn wir das Wort “Schildkröte” hören? Warum lehnen wir uns zurück, wenn wir über die Vergangenheit sprechen, und vor wenn es um die Zukunft geht?

Warum sind wir überzeugt davon, das Wort “Hammer” gehört zu haben, wenn man uns den folgenden Satz vorliest:“Hans wollte das Vogelhaus reparieren. Er schlug au  den Nagel, als sein Vater hinzukam“ (Bransford / Johnson 1976).

Warum ist die Brücke für Deutschsprachige elegant und schön, le pont für Französischsprachige kräftig und gigantisch? Oder umgekehrt der Schlüssel für Deutschsprachige hart, schwer und schroff, und la llave für Spanischsprachige komplex, niedlich oder klein?

Diese Beispiele verdeutlichen, dass Worte weiter wirken, als es auf den ersten Blick scheint. Sie zeigen, dass Sprache, zumindest kurzfristig, starke Auswirkungen auf unser Denken und unser Handeln haben kann.

Wir sehen also:

Man kann praktisch nicht nicht framen.

Was sind Frames?

Frames sind, grob gesagt, nichts anderes als Deutungsrahmen. Unter Framing versteht man die Einbettung eines Ereignisses oder eines Themas in ein bestimmtes Bedeutungsumfeld. So kann ein einziges Wort eine ganze Fülle an Gedanken oder Gefühlen hervorrufen.

Das ist im ersten Moment ganz normal. Durch das Rahmen all der vielen Informationen, die ständig aus der Umwelt auf uns einprasseln, geben wir der Welt um uns herum — und uns in ihr — erst Sinn.

Durch bewusstes Framing — etwa in den Medien oder in der Politik — kann aber auch manipuliert werden. Denn durch das gezielte Einsetzen von Frames werden Entscheidungen oder Urteile der Leser*innen oder Wähler*innen beeinflusst. Komplexe Informationen werden in einer Art und Weise beleuchtet, die mit den Anschauungen der Journalist*innen oder Politiker*innen übereinstimmt.

Doch wie weit wirkt Framing? Sind wird geframten Aussagen schutzlos ausgeliefert?

Alles Metapher?

Einer der ersten, die sich mit dem Framing beschäftigt haben, ist der US-amerikanische Kognitionswissenschaftler und Linguist George Lakoff. Er geht mit seiner Definition von Frames noch ein Stückchen weiter.

Für Lakoff existieren Frames buchstäblich als mentale Strukturen im Gehirn. Ein bestimmter Sprachgebrauch verändere unser Gehirn. Der wiederholte Gebrauch konkreter Begriffe im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema — seien es Asyltouristen, Genderfantiker oder Klimakleber — würde spezifische neuronale Schaltkreise ausbilden.

Hier kommt die Hebbsche Lernregel ins Spiel: “Neurons that fire toghether, wire together.” Je öfter wir etwas sagenoder hören, desto stärker werden die synaptischen Verbindungen zwischen einzelnen Neuronen. Dadurch dass die Neurone immer wieder gemeinsam aktiviert werden, verstärken sich diese Verbindungen, bis ganze Netzwerke entstehen, die uns beim Lernen und Erinnern helfen.

Hat sich ein solches Netzwerk in unserem Gehirn erst einmal verfestigt, verfestige sich auch, so Lakoff, unser Denken. Es wird einfacher für uns, ja fast automatisch, die Welt durch genau diesen Rahmen zu sehen — und nicht durch einen anderen.

Und schließlich tut sich unser Gehirn dann schwer damit, Fakten als solche zu akzeptieren, wenn sie nicht in die existierende neuronale Architektur passen.

Diese Theorie hat weitreichende Folgen. Für Lakoff und andere kognitive Linguist*innen ist die Art und Weise, wie wir uns die Welt vorstellen, metaphorisch. Dabei verstehen sie Metaphern aber nicht nur als rhetorische Figuren, wie wir sie alle aus dem Literaturunterricht kennen. Metaphern sich überall, nicht nur in der poetischen Sprachen sondern auch in der Alltagssprache.

Das Wissen über die Welt konstruierten wir uns mit Hilfe sogenannter “konzeptueller Metaphern”. Diese konzeptuellen Metaphern sind keine rhetorischen Figuren, die sich sprachlich in einen Text einbauen lassen, sondern die allgemeinen metaphorischen Konzepte, die wir mit diesen rhetorischen Figuren zum Ausdruck bringen.

So, wie ich das gerade eben gemacht habe: “etwas in den Text einbauen” ist die rhetorische Figur und das dahinterliegende Konzept wäre die Idee, dass Texte Gebäude sind.

Ähnlich verhält es sich mit den vielbemühten Flüchtlingswellen. Die “Flüchtlingswelle” ist die rhetorische Figur, die Idee, dass migratorische Bewegungen Naturphänomene sind, ist das dahinterliegende Konzept. Dieses Konzept bestimmt, wie wir die Dinge wahrnehmen. Ob wir Flüchtlinge als Bedrohung wahrnehmen, die über unser Land schwappt, und vor der wir uns schützen müssen, oder nicht.

Besonders in der Politik ist metaphorischer Sprachgebrauch weit verbreitet.

Virus oder Bestie?

Wenn es um gesellschaftspolitische Themen geht, sind die Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Parteien oft unerbitterlich. Das Klima, Frauenrechte, die Einwanderungspolitik. All das sind diskursive Felder, die hart umkämpft sind.

In einer amerikanischen Studie wurden Teilnehmer*innen gebeten, sich eine Lösung für die gestiegene Kriminalitätsrate in einer fiktiven Stadt zu überlegen. Eine Hälfte bekam einen Bericht zu lesen, in dem die Kriminellen als Bestien bezeichnet wurden, die die Bewohner*innen Stadt heimsuchen würden. Die andere Hälfte bekam einen Bericht, in dem die Kriminellen mit einem Virus verglichen wurden, das die Stadt infiziert hatte. Der Rest des Berichts war in beiden Fällen identisch.

Dennoch lieferten die Gruppen unterschiedliche Lösungsvorschläge: War die Kriminalität als Bestie dargestellt, schlugen die Teilnehmer*innen mehrheitlich vor, die Kriminellen einzusperren und forderten strengere Strafen. War die Kriminalität als Virus dargestellt, rieten die meisten Teilnehmer*innen dazu, zunächst die Wurzeln des Problems zu erfassen und dann soziale Reformen umzusetzen, mit besonderem Augenmerk auf Verbesserungen im Bereich Bildung und Armutsbekämpfung.

Diese Unterschiede traten auch zu Tage, wenn sich die beiden Berichte in nur zwei Wörtern unterschieden: “Bestie sucht heim” und “Virus infiziert”. Bereits zwei Wörter lösten bei den Teilnehmer*innen ganz andere Assoziationsketten aus.

Den Studienteilnehmer*innen selbst war dies aber gar nicht bewusst: Als sie angeben sollten, wie sie zu ihrer Lösung gekommen waren, erklärten die meisten ihre Entscheidung mit anderen, weniger metaphorischen Textteilen sowie mit statistischen Zahlen.

Die Studie wurde übrigens vor der Coronakrise durchgeführt. Es wäre interessant zu sehen, ob und wie sich die Ergebnisse seitdem verändert haben.

Doch nicht nur in der Sicherheitspolitik sind Frames wirkungsvoll.

Gerade auch in der Klimapolitik zum Beispiel, in der es vorrangig darum geht, nicht nur mit Inhalten zu überzeugen, sondern auch zum Handeln zu bewegen, spielen verschiedene Deutungsrahmen eine besondere Rolle.

Erderwärmung, Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe, Klimanotstand. All diese Begriffe lassen uns das Phänomen, für das sie stehen, anders wahrnehmen.

Und motivieren uns mal mehr und mal weniger stark, etwas zu tun. Der Wandel ist für viele etwas Positives, was sollten wir gegen den Wandel schon haben? Die Erwärmung ist noch positiver besetzt. Wer hat es denn nicht schön kuschelig warm? Anders wirken schon die Begriffe Krise oder Katastrophe. Der Notstand allerdings hat sich mit der Corona-Pandemie weitgehend abgenutzt.

Worte hinterfragen

Oft kommt es uns vor, als wäre Sprache die natürlichste Sache der Welt. Und trotzdem — oder gerade deswegen — sollten wir sie nicht leichtfertig einsetzen.

“Das Problem ist nicht, was du sagst, sondern wie du es sagst.” Dieser Vorwurf erscheint nach dem, was wir heute gehört haben, in einem ganz anderen Licht.

Noch ist empirisch nicht geklärt, inwieweit Frames nun wirken, wie stark sie unser Denken und Handeln tatsächlich beeinflussen. Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit spielen hier zusätzlich zur sprachlichen Rahmung auch kulturelleAspekte und nationale Narrative eine entscheidende Rolle.

Müssen wir also Angst vor dem Framing haben? Nein. Manchmal ist das Glas einfach halbleer. Da kann niemand was dafür. Aber Angst war schon immer eine schlechte Voraussetzung für Wandel. Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir lernen, bewusster zu formulieren, und die Worte anderer zu hinterfragen. “Bloß Worte” gibt es nicht.

Wir haben Sprache gemacht. Sprache zeigt uns, wie wir die Welt sehen, nicht wie sie ist. Das ist alles, was wir uns merken müssen. Und zum Glückt gibt es dafür auch eine ganz einfache Formel:

“Think before you speak; and think when you listen.”.

Weiterlesen

  • Giessen, Hans W. (2021) Framing — Wie man mit Sprache manipulieren kann, SWR Wissen: Aula, Sendung von Sonntag, 2. Jänner 2021
  • Kertész, András (2004) Die kognitive Metapherntheorie als metalinguistisches Unterfangen, Sprachtheorie und germanistische Linguistik, 14.1, 39-60.
  • Matlock, Teenie (2005) Fictive motion as simulation, Memory & Cognition 32(8):1389-400.
  • Thibodeau, Paul H.; Boroditsky, Lera (2011) Metaphors We Think With: The Role of Metaphor in Reasoning,PLOS ONE 6(2): e16782.