Ver-rückte Wörter
Being with people
Wir Menschen sind erfinderisch. Wir haben das Rad erfunden, die Demokratie, den Sollbruchstellenverursacher und: Sprache. Heute sprechen etwa 8 Milliarden Menschen rund 7.000 Sprachen weltweit. Dafür braucht man nicht nur schlaue Köpfe, sondern auch einen ganzen Haufen Wörter. Einen ganz schön großen Haufen Wörter. Wörter, die unsere Welt bedeuten. Hier kommt eine Auswahl.
Es gibt keine unübersetzbaren Wörter. Keine getönten Brillengläser, die unsere Welt in Deutsch, Türkisch oder Koreanisch erstrahlen lassen. Keine Sprache der Welt bestimmt unsere Sicht auf das, was vor uns und in uns liegt. Und doch machen sie etwas mit uns. Sprachen sind ein Teil von uns. In uns und um uns herum. Immer und überall. Beinahe alles, was wir in unserem Leben erfahren, erfahren wir im weitesten Sinne in und durch Sprache.
Sprachen sind Teil unseres Lebens. Teil unseres ganz persönlichen Lebenswegs. Wie wir sie lernen, mit wem wir sie sprechen, welchen Stellenwert sie in der Gemeinschaft haben, all das ist tief in uns verankert. Unser sprachliches Repertoire besteht nicht nur aus Wortschatz und Grammatik. Es besteht aus einem ganzen Netz an Fähigkeiten, Fertigkeiten, Gefühlen, Erinnerungen und Beziehungen. Beziehungen zu den Sprachen, zu uns selbst und zu anderen, mit denen wir über diese Sprachen verbunden sind.
Sprache verbindet.
Jede Sprache kennt Wörter, die diese Verbindungen beschreiben.
Episode zwei: Being with people
Erster Akt: Vom Suchen und Finden
iktsuarpok (Inuktitut): ungeduldig nach draußen gehen, um nachzusehen, ob der*diejenige, auf den*die man wartet, schon kommt
Und dann: endlich.
retrouvailles (Französisch): das Wiederfinden eines Menschen, den man lange nicht gesehen hat
tartle (Schottisch): den Namen jener Person vergessen haben, die man gerade vorstellen will
mamihlapintapai (Yagan): der Blickwechsel zwischen zwei Menschen, die sich beide wünschen, der oder die andere werde aktiv, aber keiner der beiden macht den Anfang
Alles ist plötzlich ganz still.
mokita (Kilivila): etwas das offensichtlich ist, über das man aber nicht spricht
Und dann passiert es.
cafuné (Portugiesisch): sanft mit den Fingern durchs Haar einer geliebten Person gleiten
Gesucht. Gefunden.
Zweiter Akt: Vom Zusammenhalten
greng jai (Thai): feines Bewusstsein für die Gefühle anderer, der Wunsch sich so zu verhalten, dass andere sich wohl fühlen
Oder auch:
nunchi (눈치, Koreanisch): die subtile Kunst, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen rasch zu erfassen, um Vertrauen, Harmonie und Verbindung aufzubauen
ah-un (阿吽, Japanisch): “der Anfang und das Ende der Dinge”; eine harmonische Beziehung zwischen Menschen, die sich auch ohne Worte verstehen
oodal (Tamil): leidenschaftlicher, aber friedlicher Streit zwischen zwei Liebenden, der sie nur näher zusammenbringt
Sprache verbindet. Sie lässt uns manchmal aber auch im Stich.
Dritter Akt: Vom Verlassen und Vergehen
Trepverter (Jiddisch): ein Treppenwitz, eine schlagfertige Antwort, die erst einfällt, wenn es schon zu spät ist
ilunga (Tshiluba): ein Mensch, der ein Fehlverhalten einmal verzeiht, ein zweites Mal toleriert, aber kein drittes Mal mehr hinnimmt
Kummerspeck (Deutsch): eine Gewichtszunahme durch emotionales Überessen unter seelischer Belastung
ya’aburnee (يقبرني , Arabisch): “du begräbst mich”; der Wusch vor einer geliebten Person zu sterben, weil ein Leben ohne sie unerträglich wäre
Wir alle sind anders.
Frostbeulen.
friolero (Spanisch) — eine (männliche) Person, der schnell kalt wird
Träumelinchen.
Luftmensch (Jiddisch): eine träumerische Person ohne berufliche Ambitionen
Löcher-in-den-Bauch-Frager*innen.
pochemuchka (почемучка, Russisch): ein Kind, das viele Fragen stellt
Wir bewohnen die unterschiedlichsten Teile dieser Erde. Und sprechen Sprachen, die wir nicht alle verstehen. Doch wir teilen uns diesen Planeten.
ubuntu (Xhosa): Verbundenheit und gegenseitiger Respekt, der im Zusammenleben entsteht, der Glaube an ein„universelles Band des Teilens, das alles Menschliche verbindet“
Wir sind nicht allein. “Ich bin weil wir sind”
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Viele der Wörter aus dieser Staffel stammen aus einem der beiden folgenden Bücher. Beide sind ausgesprochen schön illustriert und enthalten ganz besonders schöne Wort-schätze. Es handelt sich jedoch bei keinem der beiden um wissenschaftlich fundierte Arbeiten. Bei meinen Recherchen ließen sich nicht alle angegebenen Wortbedeutungen bestätigen. Einige der schönen Wörter haben es aus diesem Grund auch nicht in diese Episode geschafft. Auf der Suche nach „Unübersetzbaren“ muss man eben auch etwas vorsichtig sein.
- Edwards, Nicola; Luisa Uribe (2018) Total verrückte Wörter. Schriesheim: 360 Grad Verlag.
- Sanders, Ella Frances (2015) Lost in Translation. London: Square Peg.