Ver-rückte Wörter
One big world
Wir Menschen sind erfinderisch. Wir haben das Rad erfunden, die Demokratie, den Sollbruchstellenverursacher und: Sprache. Heute sprechen etwa 9 Milliarden Menschen rund 7.000 Sprachen weltweit. Dafür braucht man nicht nur schlaue Köpfe, sondern auch einen ganzen Haufen Wörter. Einen ganz schön großen Haufen Wörter. Wörter, die unsere Welt bedeuten. Hier kommt eine Auswahl.
Sprache gibt uns nicht vor, was wir denken. Sie beeinflusst lediglich, wie wir denken. Worauf wir achten, was uns auffällt. Warum können wir uns dann des Eindrucks nicht erwehren, dass die Welt in anderen Sprachen anders aussieht? Mehr noch: Dass Sprache uns einen ganz eigenen Zugang zu dieser Welt verschafft?
Ludwig Wittgenstein hat einmal behauptet: “Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.” Doch wo geht der Rest der Welt hin, wenn wir sprechen?
Episode eins: One big world
Doch wo beginnt diese Welt? Genau hier? Bei uns daheim?
gluggavedur (Isländisch): Wetter, das von drinnen schön aussieht, aber eigentlich zu ungemütlich ist, um hinauszugehen („Fensterwetter“)
Vor unserer Tür?
gökotta (Schwedisch): Ausflug in die Natur am frühen Morgen zur Frühlingszeit, mit dem Ziel den Kuckuck zu hören
Oder wollen wir weiter? Weiter reisen, weiter sehen?
vacilando (Spanisch): reisen um des Reisens willen
Schließlich ist der Weg das Ziel. Oder?
akihi (Hawaiianisch): nach dem Weg fragen, aber die Beschreibung bereits beim Losgehen wieder vergessen haben
litost (Tschechisch): das Gefühl der Trauer, das in dem Moment ausgelöst wird, in dem man sich über das eigene Unglück klar wird
Dabei liegen Glück und Unglück oft sehr nah beieinander. Sein und Nichtsein.
chaos (χάος, Griechisch): der Urzustand von Unordnung vor der Entstehung der Welt
Wir sind alle aus dem gleichen Stoff. Über viele Milliarden Jahre sind wir zu dem geworden, was wir heute sind. Und plötzlich erscheint alles vollkommen okay.
copacetic (Englisch): in perfekter Ordnung
Alles ist da. Vögel, Regen, schwarze Löcher. Sogar das Nichts ist da.
boketto (ぼけっと, Japanisch): regungslos und abwesend in die Ferne blickend
Doch wie weit weg ist fern?
kalpa ( कल्प, Sanskrit): die Zeit, die das Universum braucht, um zu entstehen und wieder zu vergehen
Ist das weit genug? Unbegreifbar eigentlich. Und doch sind wir in Gedanken gerade alle dort.
Die Grenzen meiner Sprache sind eben doch einfach nur die Grenzen meiner Sprache. Die Welt ist so viel größer als das, was wir — in all unseren Sprachen — über sie zu sagen haben.
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Viele der Wörter aus dieser Staffel stammen aus einem der beiden folgenden Bücher. Beide sind ausgesprochen schön illustriert und enthalten ganz besonders schöne Wort-schätze. Es handelt sich jedoch bei keinem der beiden um wissenschaftlich fundierte arbeiten. Bei meinen Recherchen ließen sich nicht alle angegebenen Wortbedeutungen bestätigen. Einige der schönen Wörter haben es aus diesem Grund auch nicht in diese Episode geschafft. Auf der Suche nach „Unübersetzbaren“ muss man eben auch etwas vorsichtig sein.
- Edwards, Nicola; Luisa Uribe (2018) Total verrückte Wörter. Schriesheim: 360 Grad Verlag.
- Sanders, Ella Frances (2015) Lost in Translation. London: Square Peg.