Versprechen. Versprach. Versprochen.
Was verraten Versprecher über uns?
Wir alle versprechen uns. Und zwar ständig. Aber gewähren diese verbalen Ausrutscher auch Einblick in unser Innerstes? In dieser Folge verrate ich euch, was wir wirklich aus Versprechern lernen können.
Meine sehr geehrten Dramen und Herren!
Was für ein Fauxpas. Und natürlich immer genau dann, wenn man ihn überhaupt nicht gebrauchen kann.
Da ist Reden doch lieber Schweigen, und Silber einfach Gold.
Doch Fakt ist:
Wer spricht, macht Fehler. Fehler gehören zum Sprechen dazu. Wir versprechen uns im Schnitt bei jedem tausendsten Wort. Bei normaler Sprechgeschwindigkeit, rechnet man also mit rund 120 bis 150 Wörtern pro Minute, unterläuft uns also etwa alle 10 Minuten ein solcher Fehler. Oder anders: Bei 16.000 Wörtern pro Tag kommen da schon einige Versprecher zusammen. (Quelle)
Wenn wir uns tatsächlich so oft versprechen, warum — könnte nun die berechtigte Frage lauten — kugeln wir uns dann nicht permanent lachend über den Boden? Zum einen liegt das natürlich daran, dass nicht alle Versprecher das gleiche komische Potential haben. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass uns viele Versprecher einfach gar nicht auffallen. Wir korrigieren die kleinen Fehlerchen entweder selbst oder sie beeinträchtigen das Verständnis so gut wie nicht, und werden von der Hörerin oder dem Hörer unbewusst im Kopf korrigiert.
So weit, so gut. Wir alle versprechen uns. Aber was sagt denn ein Versprecher über uns aus? Was sagt es über mich aus, wenn ich statt von einer Sisyphusarbeit von einer Syphilisarbeit spreche?
Freud’sche Versprecher
Siegmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, war sich sicher: Versprecher sind Ausdruck unserer innersten Wünsche und Konflikte. In einer sprachlichen Fehlleistung würden unsere “wahren” Gedanken oder Intentionen zu Tage treten. Sprachliche Fehlleistungen brächten Dinge zum Vorschwein, äh Vorschein natürlich, die sonst verborgen blieben. Für Freud oft etwas Bedrückendes, etwas Traumatisches oder, wenn gar nichts mehr geht, etwas Sexuelles.
Verbale Ausrutscher, die als besonders peinlich oder unangenehm empfunden werden, werden daher heute oft als Freud’sche Versprecher bezeichnet. Oder zumindest denken wir, einen solchen Freud’schen Versprecher gehört zu haben. In Wahrheit sich diese assoziativen Rückschlüsse von einem falsch gewählten oder falsch platzierten Wort auf die Gedanken eines Menschen zweifelhaft. Sogar Freud selbst war sich dessen bewusst. Auch wenn natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass Fehlleistungen durch externe Faktoren oder andere Gedanken beeinflusst werden, entsteht der Großteil unserer Versprecher direkt im internen Sprachplanungssystem.
Doch wenn Versprecher nicht Tür und Tor in unsere “Seele” öffnen, was verraten sie uns dann?
Typen von Versprechern
Eine erste systematische Annäherung an diese Frage lieferten der Sprachwissenschaftler Rudolf Meringer und der Neurologe Karl Mayer Ende des 19. Jahrhunderts. Sie entwickelten damals einen Katalog mit sprachlichen Fehlleistungen, der großteils auch heute noch in der Versprecherforschung eingesetzt wird.
Zu den 5 zentralen Typen von Versprechern gehören
- Vertauschungen, bei denen Laute, Silben oder ganze Wörter Platz tauschen (wie in “der hat ein Pferd wie ein Gebiss” oder in “schweiß-warz”)
- Kontaminationen, bei denen Wörter oder Phrasen mit ähnlicher Bedeutung miteinander konkurrieren und dann miteinander verknüpft werden (wie in “Abfüll” als Verknüpfung von Abfall und Müll)
- Antizipationen, bei denen Elemente einer Äußerung zu früh realisiert werden (wie in “Schweinschwangerschaft”statt “Scheinschwangerschaft”)
oder auch Perseverationen, bei der das Gegenteil passiert: Elemente, die bereits geäußert wurden, werden noch einmal realisiert (wie in “er wünscht zu wünschen” statt “er wünscht zu wissen”) - Substitutionen, bei denen Wörter durch andere, form- oder inhaltsähnliche Wörter ersetzt werden (z. B. wenn jemand “seine Beine für etwas ins Feuer legt”
Andere Sprachliche Fehlleistungen kommen eher selten vor. So wie Auslassungen, bei denen Elemente ganz verschwinden (wie in ein „Terrordächtiger” statt ein “Terrorverdächtiger”) oder Verschmelzungen, bei denen zwei hintereinander liegende Elemente eben miteinander verschmelzen (wie in “setz dich auf den Stuhlrich” statt “auf den Stuhl, Ulrich”). Auch die bekannten Zungenbrecher, wie etwa des “Fischers frische Fische” und so weiter, zählen nicht zu den klassischen Versprechern, da sie erst im Moment der Aussprache passieren und nicht mehr während des inneren Sprachplanungsprozesses.
Unser Sprachplanungssystem
Wir stellen uns das Sprechen meist sehr einfach vor: Überlege dir, was du sagen willst, und dann sag es. Doch unsere menschliche Sprachfähigkeit ist äußerst komplex. Nicht nur sind die Dinge, die wir normalerweise so sagen wollen, mehr oder weniger kompliziert. Unsere Vorfahren haben sich auch ein ganz besonders ausgeklügeltes Sprachproduktionssystem ausgedacht, das rasend schnell funktionieren muss, damit wir überhaupt erst einen geraden Satz herausbringen.
In unserem Arbeitsgedächtnis haben gerade einmal rund 7 Silben am Stück Platz. Sobald die ersten in der Reihe mal ausgesprochen sind, müssen auch schon wieder neue nachrücken, damit der Redefluss nicht ins Stocken gerät.Wenn wir also eine Botschaft senden wollen, setzt dieses Sprachplanungssystem eine ganze Reihe an Abläufen in Gang, die so rasch hinter- und nebeneinander ablaufen, dass wir den Eindruck haben, alles, was wir zu tun hätten, wäre, nachzudenken und dann zu sprechen. Easy, peasy.
In Wahrheit müssen wir nicht nur für unsere Ideen passende Wörter finden, wir müssen sie auch in eine geordnete Reihenfolge bringen und sie in die richtige grammatische Form gießen. Anschließend braucht das Ganze auch noch eine lautliche Form, die natürlich auch in die richtige Abfolge gebracht und schließlich geschickt artikuliert werden muss.
Wenn man es also genau nimmt, dann ist der eine Fehler alle 1000 Wörter eigentlich vernachlässigbar. Die allermeiste Zeit arbeitet unser Sprachproduktionssystem also nahezu fehlerfrei. Doch gerade diese Fehler, Fehler, die passieren, obwohl sonst nie Fehler passieren, verraten uns viel darüber, wie wir Sprache in unseren Köpfen planen und nach außen bringen.